Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Frau Agnes und ihre Nonnen

          Ein Klosterhof, ein Lenzestag!
Ein schwarzer Lindenschatten,
Wo der gekrönte Habsburg lag
Erstochen auf den Matten.

Frau Agnes, die gestrenge Frau
Des Vaters Blut zu rächen
Rief mordend aus: »Ich bad in Tau!«
Und schritt in roten Bächen.

Sie freute sich, in warmes Blut
Die Knöchel einzutauchen,
Sie warf in stille Dörfer Glut,
Sie liess die Burgen rauchen.

Nachdem Gericht gehalten war,
Vollbracht die Totenfeier,
Verbarg sie das Medusenhaar
Mit einem Nonnenschleier.

Sie schuf ein Kloster, wo hervor
Aus Grüften Geister schweben,
Sie füllt mit Blumen an den Chor,
Mit lauter jungem Leben:

Sie raubt das krause Blondgelock
Manch einem Edelkinde,
Beschert ihm einen schwarzen Rock
Und eine blanke Binde.

Sie geisselt sich den weissen Leib,
Bis rote Tupfen rinnen.
Sie will, das unbarmherzge Weib,
Den zarten Heiland minnen.

Dort sitzt sie unter Lindennacht
Am kühlen Klosterbronnen,
Sie hat die Bibel mitgebracht
Zur Andacht ihrer Nonnen.

Am Gatter lauschen Kinder scheu
Mit frisch gepflückten Veilchen,
Ein Weiblein hinkt mit Holz vorbei,
Bückt tief sich vor der Heilgen.

Dem jüngsten Nönnchen gibt das Buch
Sie jetzt, der lieblich Bleichen:
»Wir blieben bei Sankt Pauli Spruch.
Sieh her! Da steckt das Zeichen!«

Die Zarte, die das Buch empfing,
Beschaut Sankt Paulum denkend.
Sie liest. Ihr lauscht der Schwestern Ring,
Die Wimper züchtig senkend –

»Was frommte mir die Fastenzeit,
Was frommten Geisselhiebe,
Was frommt es, trüg ich hären Kleid
Und mangelte der Liebe?«

Da schwellt ein Seufzer manche Brust
Im Nonnenrock erbaulich,
Und manche kecke Lebenslust
Blickt traurig und beschaulich ...

 


 


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