Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Die spanischen Brüder

            »Da find ich dich! In Wintergraus
Hält dich ein deutsches Donaunest,
Ein schneebelastet Giebelhaus,
Kind einer heissen Sonne, fest.

Was treibst du hier? Mit toller Brunst
Bohrst du dich in Folianten ein?
Vom Teufel kommt die schwarze Kunst!
Griechisch? Die Kirche spricht Latein!

Darüber sitzest, Nacht um Nacht,
Du auf? Noch qualmt der Lampe Docht!
Auch siehst du bleich und überwacht,
Der sonst so weidlich ritt und focht!

Du darbst? Du meidest jede Lust?
Von allem Denken mach dich frei!
Verbrenn an einer warmen Brust,
Ertränk in Wein die Ketzerei!

Ergreife Schwert und Eisenhut!
Dem Spanier ward die Welt zum Raub!
Nach Flandern! Eh dein Edelblut
Versiegt in ekelm Bücherstaub!

Mein Bruder Juan, komm mit mir,
Beflecke nicht der Diaz Ruhm!
Ersäufe im Guadalquivir
Das gottverdammte Luthertum!

In Wittenberg hast du – absurd!
Auf einer Schule Bank gehockt!
Bei diesem Dolch an meinem Gurt
Ich morde den, der dich verlockt!

Der Vater ist ein alter Christ
Und sähe lieber dich im Grab!
Die Mutter, welche gläubig ist –
Der Mutter drückst das Herz du ab!

Nie hat ein Diaz falsch geglaubt!
Nicht wahr? Uns tust du nicht die Schmach,
Geliebter Bruder, teures Haupt
Ich eilte deinen Schritten nach!

Juan, ich reisse dich heraus
Mit dieser meiner Arme Kraft!
Die Rosse stampfen vor dem Haus,
Geführt von meiner Dienerschaft.

Du schweigst? Bekenn mir, obs geschah!
Tatst du den Schritt? Du schüttelst: Nein!
Wirst du ihn tun? Ja? Du nickst: Ja? ...
Juan, es muss geschieden sein!«

Eng hält den Bruder er umfasst,
Bang stöhnend senkt er Blick in Blick,
Küsst, küsst ihn noch einmal in Hast –
Und stösst den Dolch ihm durchs Genick.

Er hält den Bruder lang im Arm,
Mit unerschöpften Tränen netzt
Und badet er den Toten warm:
»Noch starbest als ein Christ du jetzt!«

 


 


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