Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Lenz Wanderer, Mörder, Triumphator

I

                Ich lag an einem Raine
Mit einem dürren Stab.
Was lauf ich? Meine Beine
Erlaufen nur das Grab ...

Ein Wandrer zog derenden,
War noch ein Knabe fast,
Der hielt als Stab in Händen
Den blütenreichsten Ast.

»Grüss Gott dich, schöner Wandrer!
Bist du es, Knabe Lenz?«
Er rief: »Ich bin kein andrer
Und komme von Florenz!«

Das musste mich erwecken.
»Kind Lenz, ich wandre mit!«
Wir hoben unsre Stecken
In einem Schritt und Tritt.

Die beiden Stäbe hoben
Kind Lenz und ich zugleich;
Auch meiner ward von oben
Bis unten blütenreich.

II

Nieder trägt der warme Föhn
Der Lawine fern Getön,
Hinter jenen hohen Föhren
Kann den dumpfen Schlag ich hören.

In des Lenzes blauen Schein
Aus der Scholle dunkelm Schrein
Drängt und drückt das neue Leben
Lüftet Kleid und Decken eben –

Von derselben Kraft und Lust
Wächst das Herz mir in der Brust,
Heute kann es noch sich dehnen
Mit den Liedern, mit den Tränen!

Aber blauen wird ein Tag,
Da sichs nicht mehr dehnen mag –
Mit den Veilchen, mit den Flöten
Kommt mich dann der Lenz zu töten.

III

Frühling, der die Welt umblaut,
Frühling mit der Vöglein Laut,
Deine blühnden Siegespforten
Allerenden, allerorten
Hast du niedrig aufgebaut!

Ungebändigt, kreuz und quer,
Über alle Pfade her
Schiessen blütenschwere Zweige,
Dass dir jedes Haupt sich neige,
Und die Demut ist nicht schwer.

 


 


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