Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Einsiedel

              »Was pocht mir an das Fenster?
Was klopft an meine Tür so laut?«
– »Ich bin ein junger Wildfang
Und nass bis auf die Haut.

Ich bin der Gerold Wendel,
Wir ziehen an den Hof zu zwein,
Der andre ist ein Konrad
Und nennt sich Lützelstein.

Der duckt sich etwo anders
Vor Blitzgezuck und Wetterzorn
Und bläst mich morgen munter
Mit seinem Jägerhorn.

Einsiedel, frommer Bruder,
Ihr sehet, wie es um mich steht!
Gewährt mir Euer Lager
Und sprecht mein Nachtgebet!«

Er lallt es, halb entschlummert,
Und streckt die Glieder aus zur Ruh,
Einsiedel deckt sein Lämpchen
Mit beiden Händen zu.

»Wie lieblich ist die Jugend!
Hätt ich ein Füllhorn voller Glück
Ich leert es dir zu Häupten,
Es bliebe nichts zurück.«

Der Schlummrer wird zum Träumer,
In hastgen Worten redet er,
Lacht, weint in einem Atem
Und wirft sich hin und her.

– »Ich habe Blut vergossen!«
Einsiedel fasst besorgt ihn an.
»Du träumst nicht gut. Erwache!
Die Augen aufgetan!«

Er starrt mit wilden Blicken.
»Mein Kind, wie hast du mich erschreckt!«
– »Einsiedel, frommer Bruder,
Ich bin mit Blut bedeckt.

Wir sassen unter Linden,
Ich und der Konrad Lützelstein,
Ein Fräulein von dem Hofe
Bot lachend uns den Wein.

Sie streift' mich mit dem Ärmel,
Die binsenschlank gewachsen war,
Sie hatte schnelle Augen
Und aschenblondes Haar.

Sie streift mich mit der Achsel
Und lispelt mir ins Ohr hinein:
›Wilt, junger Edelknabe,
Mein Trautgeselle sein?‹

Da schwang man einen Reigen,
Sie reigte mit dem Lützelstein –
›Wilt, junger Edelknabe,
Mein Trautgeselle sein?‹

Mir schwoll die Brust vor Eifer
Ein Hader reisst die Klingen bloss –
›Herzbruder, mein Herzbruder
Gabst mir den Todesstoss!‹«

Einsiedel mahnt: »Erwache!«
Und schiebt zurück sein Fensterlein.
Da strömt mit Tannendüften
Ein Erdgeruch herein.

Und horch, ein Hifthorn schmettert
Und eine frische Stimme schallt:
»Wo steckt der Gerold Wendel?
Den such ich durch den Wald!«

 


 


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