Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Il Pensieroso

                In einem Winkel seiner Werkstatt las
Buonarotti, da es dämmerte;
Allmählich vor dem Blicke schwand die Schrift ...
Da schlich sich Julianus ein, der Träumer,
Der einzige der heitern Medici,
Der Schwermut kannte. Dieser glaubte sich
Allein. Er setzte sich und in der Hand
Barg er das Kinn und hielt gesenkt das Haupt.
So sass er schweigend bei den Marmorbildern,
Die durch das Dunkel leise schimmerten,
Und kam mit ihnen murmelnd ins Gespräch,
Geheim belauscht von Michelangelo:
»Feigheit ists nicht und stammt von Feigheit nicht,
Wenn einer seinem Erdenlos misstraut,
Sich sehnend nach dem letzten Atemzug,
Denn auch ein Glücklicher weiss nicht, was kommt
Und völlig unerträglich werden kann –
Leidlose Steine, wie beneid ich euch!«
(Die Worte stammen aus einem erhalten gebliebenen Sonett Julians)
Er ging, und aus dem Leben schwand er dann
Fast unbemerkt. Nach einem Zeitverlauf
Bestellten sie bei Michelangelo
Das Grabbild ihm und brachten emsig her,
Was noch in Schilderein vorhanden war
Von schwachen Spuren seines Angesichts.
So waren seine Züge, sagten sie.
Der Meister schob es mit der Hand zurück:
»Nehmt weg! Ich sehe, wie er sitzt und sinnt,
Und kenne seine Seele. Das genügt.«

 


 


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