Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Das Reiterlein

        Das Bächlein nimmt nach der Loire den Gang,
An beiden Seiten
Auf und ab, die Ufer entlang
Spähn sie und reiten.
Sie sind sich so nahe! Sie sind sich so fern!
»Bon jour, meine Herrn!«
Grüsst keck eine Stimme.

Ein feurig, unbändig Reiterlein
Springt ab behende,
Setzt rechts ein Bein und links ein Bein
In beide Gelände:
»Gross ist der Sonne Glut –
Liebe Herrn, meint ihrs gut,
Schafft eins zu trinken!«

Rechts kommt ein Pokal und links ein Pokal
Von verschiedener Helle,
Der: schäumender Champagnerstrahl,
Der andre: Purpurwelle –
»Katholik? Calvinist?
Hier ein Christl Dort ein Christ!«
Er schlürft aus beiden Bechern.

»Mit streitender Theologie
Mach ich mir nichts zu schaffen.
Den Guisen überlass ich sie,
Den Weibern und den Pfaffen!
Predgerrock? Messgewand?
Stich und Schuss! Mord und Brand!
Ins Meer geschwemmte Leichen!

Bekennt mir, Herren, frei und frank:
Wie tut ihr, wann ihr dürstet?
Ihr setzt euch rittlings auf die Bank
Und ruft nach Wein und bürstet!
Zug und Schluck! Schluck und Zug!
Noch ein Trunk! Nie genug!
Die einen wie die andern.

Geniesst ihr wonnge Minnelust
Nach Dogmen oder Schulen?
Kost alle nicht ihr Brust an Brust
Mit euren trauten Buhlen?
Tört ihr nicht? Trügt ihr nicht?
Schwört ihr nicht? Lügt ihr nicht?
Die einen wie die andern.

Drum lassen wir auf sich bestehn
Die Lehren, die uns trennten,
Da wir erbaulich einig gehn
In allen Elementen:
Erntefest! Winzertanz!
Ährenkranz! Traubenkranz!
Feldruhm und edle Waffen!«

Sprichts und es fährt ein elektrischer Schlag
Rundum und setzt alles in Flammen:
Frankreich hoch! Freudetag!
Heut wächst es zusammen!
Sie springen ins Wasser, sie waten im Fluss,
Sie spitzen die bärtigen Lippen zum Kuss,
Sie fallen sich all in die Arme.

Der Kleine drückt und küsst und herzt
Sie alle wie alte Bekannte.
»Wie aber, Herren, steht es«, scherzt
Er, »mit dem Proviante?
Alles her! Fleisch oder Fisch!
Ihr seid geladen heut zu Tisch
Bei Heinrich von Navarra.«

 


 


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