Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Alte Schrift

        Jüngst verlockt' es mich im Abendglimmen,
Zum Lombardenturm emporzuklimmen,
Dem verschollnen Herrscher hier im Gaue,
Der die Ferne noch beherrscht, die blaue.

In den Mauern bin ich lang geblieben:
Alte Namen standen rings geschrieben
Hoch im Raume, wo die Luken schimmern,
Doch die Wendeltreppe lag in Trümmern.

Die den Blick ins Weite dort gerichtet,
Ihre Wanderstäbe sind vernichtet,
Ihre leichten Mäntel sind verstoben,
Ihre Sprüche blieben aufgehoben.

Einer dichtet Anno fünfzehnhundert:
»Gott hab ich in der Natur bewundert!«
»Gaudeamus!« gräbt ein flotter Zecher
Um den keck entworfnen Riesenbecher.

Dort ein Herz von einem Pfeil durchschnitten:
»Hedewig« steht auf des Bolzes Mitten;
Dicht daneben schrieb ein Fahrtgenosse
Gut lateinisch eine derbe Posse –

Dann in des Kastelles tiefem Schatten
Warfen sich die Schüler auf die Matten,
Leerten einen Humpen und von dannen
Pilgerten sie singend durch die Tannen.

 


 


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