Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Venedigs erster Tag

                Eine glückgefüllte Gondel gleitet auf dem Canal grande,
An Giorgione lehnt die Blonde mit dem roten Samtgewande.
»Giorgio, deiner Laute Saiten hör ich leise, leise klingen –«
»Julia Vendramin, Erlauchte, was befiehlst du mir zu singen?«

»Nichts von schönen Augen, Giorgio! Solches Thema sollst du lassen!
Singe, wie dem Meer entstiegen diese wunderbaren Gassen!
Fessle kränzend keine Locken, die sich ringeln los und ledig!
Giorgio, singe mir von meinem unvergleichlichen Venedig!«

»Meine süsse Muse will es! Es geschieht!« Er präludierte.
»Weiland, eh des heilgen Markus Flagge dieses Meer regierte,
Drüben dort, wo duftverschleiert Istriens schöne Berge blauen,
Sank vor ungezählten Jahren eine Dämmrung voller Grauen.

Durch das Dunkel huschen Larven, angstgeschreckte Hunde winseln,
Schreie gellen, Stimme warnen: ›Löst die Böte! Nach den Inseln!‹
In den Lüften haucht ein Odem, wie es in den Gräbern modert –
Schaurig tagen Meer und Himmel! Aquileja brennt und lodert!

Von der Stätte, wo die stillen, ungezähmten Flammen wogen,
Kommt ein dumpfes Menschenbrausen nach dem freien Strand gezogen:
Attila, die Gottesgeissel, jagt auf blutbesprengten Pfaden
Krieger mit zerbrochnen Schwertern, Fraun mit Schätzen schwer beladen.

Wie zum Hades Schatten wandern, ziehn zum Meere die Gescheuchten,
Das die purpurrot gefärbten Wolken weit hinaus beleuchten,
Witwen, Waisen schreiten jammernd, schweigend stürzen wunde Männer,
Mitten im Gewühle bäumen Wagen sich und scheue Renner.

Knie wanken, Füsse gleiten, Kästchen brechen, draus die hellen
Goldnen Reife rollend springen und die weissen Perlen quellen.
Nackte Küstenkinder starren gierig auf das rings zerstreute
Gold, und doch betastets keines – Etzels ist die ganze Beute!

Schiffer rüsten dunkle Nachen, drüber Wogen schäumend schlagen,
Durch die weisse Brandung werden bleiche Fraun an Bord getragen –
Mit der Rechten an die phrygsche Mütze langt der Meerplebejer
Beut zum Sprung ins Boot die Linke dem behelmten Aquilejer.

Schon entflieht ein Schiff mit wehnden Segeln, flatternden Gewanden
Drin sich weitgetrennte Lose sonder Wahl zusammenfanden,
Unbekannte Hände drücken sich in angstbeklommenem Traume
Aquilejas Überbleibsel schmiegen sich in engem Raume.

Letzte Scheideblicke wendend, sehn sie noch den Himmel bluten
Aber tiefer stets und ferner brennen die gesunknen Gluten.
Still verglimmt der Heimat müde Todesfackel. Auf die Ruder
Beugt sich Unglück neben Unglück, Bruder seufzend neben Bruder.

Eine Fürstin küsst ein Knäblein, ein dem Edelblute fremdes,
Eine Sklavin wärmt ein fürstlich Kind im Schoss des Wollenhemdes –
Unter ihnen eine Tiefe, über ihnen eine Wolke –
Liebe taut vom Himmel, Liebe wächst in diesem neuen Volke.

Über eines Mantels Flattern, sturmverwobten greisen Haaren
Will das Schweben einer Glorie einen Heilgen offenbaren,
Dieses ist der heilge Markus, rüstig rudernd wie ein andrer –
Nach den nahenden Lagunen lenkt die Fahrt der selge Wandrer.

Neben ihm der Jugendschlanke schlägt die Wellen, dass sie schallen,
Wirren Locken sind die Kränze schwelgerischer Lust entfallen.
Der Bacchant wird zum Äneas. Niederbrannte Trojas Feuer.
Mit den rudernden Genossen sucht er edles Abenteuer.

Mählich lichtet sich der Osten. In der ersten Helle schauen
Kecke Männer tief ins Antlitz morgenbleicher schöner Frauen
Lieblich Haupt, das blonde Flechten wie mit lichtem Ring umwinden,
Bald an einem tapfern Herzen wirst du deine Heimat finden!

Scharf gezeichnet neigt sich eines Helden narbge Stirne denkend
In das göttliche Geheimnis ewgen Werdens sich versenkend;
Rings in Stücke sprang zerschmettert Romas rostge Riesenkette,
Neue Weltgeschicke gönnen junger Freiheit eine Stätte ...

Wie geworfen aus dem Himmel heiter spielend von Auroren
Schwimmt ein lichter Kranz von Inseln in die blaue Flut verloren,
Durch die Brandung gehn die Kähne mit beseelten Ruderschlägen,
Fischer stehen, schaumgebadet, und sie rufen sich entgegen:

›Flehnde kommen wir, Veneter! Drüben flammt ein weit Verderben!
Unsre Seelen sind entronnen einem ungeheuern Sterben!‹
›Freuet euch! Ihr lebt und atmet! Hier ist euch Asyl gegeben!
Friede sei mit euren Toten! Freude denen, die da leben!‹

Machtvoll, Schwert und Ruder tragend, wallen Genien vor den Böten;
Auch ein Schwarm von Liebesgöttern flügelt durch die jungen Roten –
Über das Gestein der Insel geht ein Hauch von Lust und Wonne
Ahnungsvollem Meer entsteigend, prangt Venedigs erste Sonne.

Blonde Julia, deiner Heimat Ursprung hab ich dir verkündet,
Liebe hat die Stadt Venedig, Liebe hat die Welt gegründet –
Deiner Augen strahlend blauer Himmel würde bleichen ohne
Liebesfeuer und verstummen, wie die Laute des Giorgione!«

 


 


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