Conrad Ferdinand Meyer
Gedichte
Conrad Ferdinand Meyer

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Der Berg der Seligkeit

            Ein Bergesrücken stillbesonnt,
Allum der duftge Horizont! –
Hier sass der Christ und rings im Kreis
Die Galiläer, stufenweis
Gelagert, auf den steilen Triften.
Der Meister lobt' der Lilie Kleid,
Hiess göttlich Werk das Friedestiften
Und rühmte die Barmherzigkeit.
Er liess die Segensschwingen breiten
All seines Reiches Seligkeiten.
Dann ist er sacht hinabgegangen ...
Und hat am Kreuzesstamm gehangen.

Am Berg der Seligkeiten irrten
Der Hirtin Stapfen und des Hirten.
Wie Wolken still, wie Stürme brausend,
Zog dran vorüber ein Jahrtausend.
Die Lilie blieb des Lobes froh,
Sie kleide sich wie Salomo,
Die Luft, drin nie das Erz erscholl
Ist noch von Friedeworten voll.
Drommetenstoss! Jach klimmt empor
Ein Heer, das Schlacht und Raum verlor.

Kreuzritter sinds, von Saladin
Versprengt, die wild zur Höhe fliehn!
Heiss unter ihren Schritten her
Entflammt den dürren Rasen er,
In schwarzen Wolken wallt der Qualm.
Schlachtrosse schnauben auf der Alm.
Scharf pfeifen Sarazenenpfeile
Durch dieses Fluchtgedränges Eile.
Fort! Ein verfärbter Purpur weht,
Ein junger König wankt entkräftet,
Doch dieses Reiches Majestät
Ist König Christ, ans Kreuz geheftet,
Drum tragen sie das Kreuz voran,
Der Welterbarmer schwebte dran,
Das bittre Kreuz, davon herab
Er seines Mordes Schuld vergab.
Sie wuschens dann mit roten Bächen,
Um des Erbarmers Tod zu rächen ...
Das Wüten, Morden, Bluten, Streiten
Ersteigt den Berg der Seligkeiten.
Erklommen ist der Gipfel jetzt,
Und hinter ihm erbraust das Meer.
Der Kurdenschleuder ausgesetzt,
Steht auf dem Kulm das Christenheer.

Drommetenstoss! »Der Heiland lebt!
Christus regiert!« Der Berg erbebt.
»Hilf, König, der gekreuzigt wurde!« –
»Zielt auf das Kreuz!« befiehlt der Kurde.
»Wie blöde Falter um die Flamme,
So flattern sie am Kreuzesstamme!«
Es saust. Steilnieder zu der Bucht
Stürzt Ross und Reiter in die Schlucht.
Das Kreuz mit Glut und brünstger Hast
Umfängt ein Mönch und hälts umfasst:
»Hörst, König, du der Heiden Spott?
Vernichte sie, verhöhnter Gott!
In heller Rüstung komm gefahren
Mit deines Vaters Engelscharen!

Lebst du, regierst du, Christe, nicht?«
Kein Engelschwert erblitzt im Licht.
Die Luft verfinstert Pfeilgesaus –
»Komm!« schreit der Mönch und atmet aus.

Des Himmels innigtiefer Schein
Umfliesst ein menschenleer Gestein.
Vom Schwert erkämpft, vom Schwert zerstört,
Dies Reich hat nicht dem Christ gehört.

 


 


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