- Mir brach den Schlaf im Haupt ein Donnerkrachen,
So schwer, daß ich zusammenfuhr dabei,
Wie einer, den Gewalt zwingt, zu erwachen.
- Ich warf umher das Auge wach und frei,
Emporgerichtet spähend, daß ich sähe
Und unterschied’, an welchem Ort ich sei.
- So fand ich mich am Talrand, in der Nähe
Des qualenvollen Abgrunds, dessen Kluft
Zum Donnerhall vereint unendlich Wehe.
- Tief war er, dunkel, nebelhaft die Luft,
Drum wollte nichts sich klar dem Blicke zeigen,
Den ich geheftet an den Grund der Gruft.
- "Laß uns zur blinden Welt hinunter steigen,
Ich bin der Erste, du der Zweite dann."
So sprach Virgil, um drauf erblaßt zu schweigen.
- Ich, sehend, wie die Bläss’ ihn überrann,
Sprach: Scheust du selber dich, wie kann ich’s wagen
Der Trost im Zweifel nur durch dich gewann?
- Und er zu mir: "Des tiefen Abgrunds Plagen
Entfärben mir durch Mitleid das Gesicht,
Und nicht, so wie du meinst, durch feiges Zagen.
- Fort, zaudern läßt des Weges Läng’ uns nicht."
So ging er fort und rief zum ersten Kreise
Mich auch hinein, der jene Kluft umflicht.
- Mir schien, nach meinem Ohr, des Klanges Weise,
Der durch die Luft hier bebt’ im ew’gen Tal,
Nicht Klaggeschrei, nur Seufzer dumpf und leise.
- Und dieses kam vom Leiden ohne Qual
Der Kinder, Männer und der Frau’n, in Scharen,
Die viele waren und von großer Zahl-
- Da sprach der Meister: "Willst du nicht erfahren,
Zu welchen Geistern du gekommen bist?
Bevor wir fortgehn, will ich offenbaren,
- Daß sie nicht sündigten; doch g’nügend mißt
Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf entbehrten,
Die Pfort’ und Eingang deines Glaubens ist.
- Und lebten sie vor Christo auch, so ehrten
Sie doch den Höchsten nicht, wie sich’s gebührt;
Und diese Geister nenn’ ich selbst Gefährten.
- Nur dies, nichts andres hat uns hergeführt.
Daß wir in Sehnsucht ohne Hoffnung leben,
Ward uns Verlornen nur als Straf erkürt."
- Groß war mein Schmerz, als er dies kundgegeben,
Denn Leute großen Wertes zeigten sich,
Die unentschieden hier im Vorhof schweben.
- Und ich begann: Mein Herr und Meister, sprich
(Ich wollte mich in jenem Glauben stärken,
Vor dessen Licht des Irrtums Nacht entwich),
- Kam keiner je durch Kraft von eignen Werken,
Durch fremd Verdienst von hier zur Seligkeit? –
Er schien des Worts versteckten Sinn zu merken
- Und sprach: "Ich war noch neu in diesem Leid,
Da ist ein Mächtiger hereingedrungen.
Bekrönt mit Siegesglanz und Herrlichkeit.
- Der hat des Urahns Geist der Höll" entrungen,
Auch Abels, Noahs; und auch Moses hat,
Der Gott gehorcht, mit ihm sich aufgeschwungen.
- Abram und David folgten seinem Pfad,
Jakob, sein Vater, seine Söhne schieden,
Und Rahel auch, für die so viel er tat.
- Sie und viel andre führt’ er ein zum Frieden,
Und wissen sollst du nun: Vor diesen war
Erlösung keinem Menschengeist beschieden."
- Obwohl er sprach, ging’s vorwärts immerdar,
So daß wir unterdes den Wald durchdrangen,
Den Wald, mein’ ich, der dichten Geisterschar.
- Nicht weit von oben waren wir gegangen,
Als ich ein Feu’r in lichten Flammen sah,
Die rings im halben Kreis die Nacht bezwangen.
- Zwar waren wir dem Ort nicht völlig nah,
Doch einen Kreis von ehrenhaften Leuten,
Die diesen Platz besetzt, erkannt’ ich da.
- "Du, des sich Wissenschaft und Kunst erfreuten,
Beliebe, wer sie sind, und was sie ehrt
Und von den andern trennt, mir auszudeuten."
- Ich sprach’s, und er: "Für hochgepriesnen Wert,
Der oben widerklingt in deinem Leben,
Ward ihnen hier vom Himmel Huld gewährt."
- Da hört’ ich eine Stimme sich erheben:
Der hohe Dichter, auf jetzt zum Empfang!
Sein Schatten kehrt, der jüngst sich fortbegeben.
- Sobald die Stimme, die dies sprach, verklang,
Sah ich heran vier große Geister schreiten,
Im Angesicht nicht fröhlich und nicht bang.
- Da sprach der gute Meister mir zur Seiten:
"Sieh diesen, in der Hand das Schwert, voran
Den andern gehn, um sie als Fürst zu leiten.
- Du siehst Homer, den Dichterkönig, nah’n;
Ihm folgt Horaz, berühmt durch Spott dort oben
Ovid der Dritt’, als letzter kommt Lukan.
- Im Namen, den die eine Stimm’ erhoben,
Kommt mit mir selber jeder überein,
Drum ehren sie mich, und dies ist zu loben."
- So war die schöne Schul’ hier im Verein
Des hohen Herrn der höchsten Sangesweise,
Der ob den andern fliegt, ein Aar, allein.
- Ein Weilchen sprachen sie im trauten Greise,
Doch als sie grüßend sich zu mir gekehrt,
Da lächelte Virgtl zu solchem Preise.
- Allein noch höher ward ich dort geehrt,
Indem sie mich in ihrer Schar empfingen
Als Sechsten unter solchem Geist und Wert,
- Wobei wir hin bis zu dem Lichte gingen,
Sprechend, wovon ich schicklich schweigen muß,
Wie man dort schicklich sprach von solchen Dingen.
- Bald kamen wir an eines Schlosses Fuß,
Von siebenfacher hoher Mau’r umfangen,
Und rings beschützt von einem schönen Fluß.
- Als wir mit trocknem Fuße durchgegangen,
Ging’s weiter dann durch sieben Tore fort,
Und eine Wiese sah ich grünend prangen.
- Wir fanden Leute strengen Blickes dort,
Mit großer Würd’ in Ansehn, Gang und Mienen
Und wenig sprechend, doch mit sanftem Wort.
- Und wir ersah’n dort seitwärts nah bei ihnen
Frei eine Höh’ hellem Lichte glüh’n,
Vor welcher alle klar vor uns erschienen.
- Dort gegenüber auf dem samtnen Grün
Sah ich die Großen, ewig Denkenswerten,
Die heut mir noch in solzer Seele blüh’n.
- Elektren sah ich dort mit viel Gefährten,
Äneas, Hektorn hatt’ ich bald erkannt,
Cäsarn, den mit dem Adlerblick bewehrten.
- Penthesilea war auf grünem Land;
Zur andern Seite sah ich auch Latinen,
Der bei Lavinien, seiner Tochter, stand.
- Ich sah den Brutus, der verjagt Tarquinen,
Lucrezien, Julien, Marzien, und, allein
Beiseite sitzend, sah ich Saladinen.
- Dann, höher blickend, sah im hellen Schein
Ich auch den Meister derer, welche wissen,
Der von den Seinen schien umringt zu sein,
- Sie all ihn hochzuehren sehr beflissen;
Den Plato ihm zunächst und Sokrates,
Die dort den Sitz vor andern an sich rissen.
- Den Anaxagoras, Diogenes,
Den Demokrit, des Welt der Zufall machte,
Den Zeno, Heraklit, Empedokles.
- Ihn, der ans Licht der Pflanzen Kräfte brachte,
Den Dioskorides, den Orpheus dann,
Den Seneka, der Schmerz und Luft verlachte.
- Auch Ptolemäus kam, Euklid heran,
So auch Averroes, der, seinen Weisen
Erklärend, selbst der Weisheit Ruhm gewann.
- Doch nicht vermag ich jeden hier zu greifen,
Denn also drängt des Stoffes Größe mich,
Daß ihren Dienst mir kaum die Wort’ erweisen.
- Hier teilten nun die sechs Gefährten sich.
Mich führt’ auf anderm Weg mein weiser Leiter
Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,
- Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.
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