- Indes ins Laubwerk meine Blicke drangen,
So scharf und spähend, wie sie einer spannt,
Der seine Zeit verliert mit Vogelfangen,
- Rief er, der mehr als Vatersorg’ empfand:
"Sohn, komm. Die Zeit, die uns verlieh’n zum Reisen,
Sei eingeteilt und nützlicher verwandt."
- Schnell wandt’ ich Blick und Schritt zu beiden Weisen,
Die also sprachen, daß zum leichten Gang
Die Mühe ward, den Felsen zu umkreisen.
- Sieh, da erklangen Klagen und Gesang:
"Herr, meine Lippen," klang’s mit einem Stöhnen,
Das mich zugleich mit Lust und Leid durchdrang.
- "Mein süßer Vater, welche Stimmen tönen?"
Ich rief’s, und er drauf: "Schatten sind’s, die nun
Für einst versäumte Pflicht den Herrn versöhnen."
- Wie unterweges eil’ge Wandrer tun,
Die Leut’ einholen, welche sie nicht kennen,
Und sich zwar umsehn, doch nicht stehn und ruh’n;
- So kam jetzt hinter uns in schnellerm Rennen
Ein frommer Haufe, lief vorbei und schaut’
Uns staunend an, um schweigend fortzurennen.
- Die Augen tief und hohl und nachtumgraut,
Erschienen sie, die Hagern, die Erblaßten,
Die Knochen alle sichtbar durch die Haut.
- So mager, glaub’ ich, war nach langem Fasten,
So ausgetrocknet nicht Erisichthon,
Als nun sein eignes FIeisch die Zähn’ erfaßten.
- Sie gleichen jenen, dacht’ ich, da sie floh’n,
Die einst Jerusalem verloren haben,
Wo selbst die Mutter fraß den eignen Sohn.
- Tief war das Aug’ in seinem Rund vergraben,
Das einem Ringe sonder Gemme glich,
Und Nas’ und rings die Knochen scharf erhaben.
- Daß eines Apfels Duft so jämmerlich
Zurichten könn’ und Duft von einer Quelle,
Begier erzeugend, wer wohl dächt’ es sich?
- Schon staunt’ ich, wie der Hunger sie entstelle,
Indem ich noch die Ursach’ nicht verstund,
Von ihrem magern Leib und traur’gem Felle.
- Da sah ich, wie aus seines Hauptes Grund
Ein Geist auf mich die Augen forschend richte,
Der ausrief: Welche Gnade wird mir kund?
- Nie hätt’ ich ihn erkannt am Angesichte,
Doch durch die Stimme ward mir offenbart,
Wie Hunger Ansehn und Gestalt vernichte.
- Und dieser Funke machte völlig klar
Mir die Erinnrung, daß ich sein gedachte,
Und sah, daß dies Foreses Antlitz war.
- Und er begann nun flehend: "Ach, verachte
Die dürre Haut nicht, noch mein blaß Gesicht,
Ob auch die Schuld um alles FIeisch mich brachte.
- Gib wahrhaft mir von deinem Los Bericht,
Und von den zwei’n, die bei dir sind – ich flehe! –
Verweigre mir erwünschte Kunde nicht."
- "Dein Angesicht, bei dem mit tiefem Wehe,"
Begann ich, "als ich’s tot sah, ich geklagt,
Betrübt mich mehr, da ich’s so hager sehe.
- Drum sprich, bei Gott, was so dein Laub zernagt.
Nicht wolle, daß ich, weil ich staun’, erzähle,
Denn übel spricht, wen selbst die Neugier plagt." –
- "Vom ew’gen Rat", so sprach Foreses Seele,
"Sinkt eine Kraft, die Bach und Baum durchdringt,
Durch die ich hier mich abgemagert quäle.
- Sie ist’s, die jeden, der hier weinend singt,
Zur Heiligkeit vom wüsten Schwelgerleben
Durch Hunger und durch Durst zurückebringt.
- Der Duft, den jene Früchte von sich geben,
Der Quell auch, der sie netzt, entflammt der Brust
Nach Speis und Trank ein nie gestilltes Streben.
- Sooft im Kreis wir dorthin zieh’n gemußt,
Wird immer diese Pein in uns erneuert.
Ich sage Pein und sollte sagen: Lust,
- Weil nach dem Baum uns jener Drang befeuert,
Der Christum froh dahin zum Kreuz gebracht,
Wo unsrer Schmach sein teures Blut gesteuert."
- Drauf ich: "Forese, seit du jene Nacht
Vertauscht mit diesem bessern Leben, zählte
Man nur fünf Jahr’, die kaum den Lauf vollbracht.
- Wenn dir die Kraft zu sünd’gen eher fehlte,
Als du durchdrungen warst von gutem Leid,
Das stets die Seele neu mit Gott vermählte,
- Wie stiegst du in so kurzer Frist so weit?
Dort unten dich zu finden mußt’ ich meinen,
Wo man verlorne Zeit ersetzt durch Zeit."
- Und er: "Zum süßen Wermutstrank der Peinen
Hat mich befördert meiner NeIIa Fleiß
In frommem FIeh’n und ihr unendlich Weinen.
- Denn ihr Gebet, ihr Stöhnen fromm und heiß,
Hat mich der Küste, wo man harrt, entzogen
Und mich befreit aus jedem andern Kreis.
- Ihr. die ich so geliebt, ist Gott gewogen,
Weil sie, der nur der Tugend Reiz gefällt,
Sich ganz vom Pfad der andern abgezogen.
- Der Sarden rohes Bergesland enthält
Mehr Scham und Sitte noch in feinen Frauen
Als das, wo ich sie ließ in jener Welt.
- O süßer Bruder, soll ich dir’s vertrauen?
Ich glaube schon die Zukunft, der das Heut
Nicht alt erscheinen wird, vor mir zu schauen,
- Wo man den frechen Frau’n, die ungescheut
Den Busen mit den Brüsten offenbaren,
Dies von der Kanzel in Florenz verbeut.
- Wann mußten Frau’n von Türken und Barbaren,
Um mit bedeckter Brust einherzugehn,
Von Staat und Kirche Rügen erst erfahren?
- Doch könnten nur die Unverschämten sehn,
Was ihnen schon der Himmel vorbereitet,
Sie wurden heulend, offnen Mundes, stehn.
- Sie jammern, wenn kein Wahn mich hier verleitet,
Eh’ auf des Wange, der jetzt eingelullt
Von Eipopeia wird, sich Flaum verbreitet.
- Jetzt sprich von dir und zahle mir die Schuld.
Sieh alle, die dorthin die Augen lenken,
Wo du die Sonne deckst, voll Ungeduld."
- Und ich versetzt’ ihm: "Willst du des gedenken,
Was du mit mir einst warst, und ich mit dir,
So wird noch jetzt dich die Erinnrung kränken.
- Vor kurzem hat von dort er, der vor mir
Als Führer geht, mich mit sich fortgenommen,
Als rund euch schien der Bruder dieser hier."
- – Die Sonne zeigt’ ich – "Mir zum Heil und Frommen
Bin ich durch wahren Todes tiefe Nacht
Mit ihm in diesem wahren Fleisch gekommen.
- Er hat im Kreislauf mich emporgebracht
Zu diesem Berg, wo die sich g’rad’ erheben,
Die einst das Erdenleben krumm gemacht.
- Er wird mir sein Geleit so lange geben,
Bis ich gelangt zu Beatricen bin;
Ohn’ ihn dann muß ich weiter aufwärts streben.
- Es ist Virgil" – hier zeigt’ ich nach ihm hin –
"Sieh auch den andern und erkenne diesen
Als den, ob des der Berg gebebt vorhin,
- Da euer Reich ihn von sich weggewiesen."
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