- Das viele Volk und die verschiednen Wunden,
Sie hatten so die Augen mir berauscht,
Daß sie vom Schau’n mir ganz voll Zähren stunden.
- Da sprach Virgil: "Was willst du noch? Was lauscht
Und starrt dein Auge so nach diesen Gründen,
Wo’s Greuelbild um Greuelbild vertauscht?
- Nicht also tatst du in den andern Schlünden.
An zweiundzwanzig Miglien kreist dies Tal,
Drum kannst du hier nicht jegliches ergründen.
- Schon unter unserm Fuß glänzt Lunens Strahl,
Und wenig dürfen wir uns nur verweilen,
Denn noch zu sehn ist viel und große Qual."
- Ich sprach: "Erlaubtest du, dir mitzuteilen,
Welch einen Grund ich hatt’, hinabzuspäh’n,
So würdest du wohl minder mich beeilen."
- Er ging und ich ihm nach und gab im Gehn
Dem Meister von dem Grund des Forschens Kunde
Und sprach: "Wohl hab’ ich scharf hinabgesehn,
- Denn eine Seele wohnt in diesem Schlunde
Von meinem Stamm, und sicher ist an ihr
Bestraft die Schuld durch manche schwere Wunde."
- Mein Meister sprach darauf: "Nicht mache dir
Noch länger Sorg’ um diesen Anverwandten;
An andres denk’, er aber bleibe hier.
- Ich sah ihn bei der Brücke den Bekannten
Dich zeigen und dir mit dem Finger droh’n
Und hörte, wie sie ihn del Bello nannten.
- Doch du bemerktest eben nichts davon,
Weil auf dem Beltram deine Blicke weilten.
Als dieser ging, war jener schon entfloh’n."
- "Weil Rach’ und Schwert des Feindes ihn ereilten",
Sprach ich, "und keiner seinen Tod gerächt,
Von allen denen, so die Kränkung teilten,
- Zürnt’ er auf mich und zürnt’ auf sein Geschlecht
Und ging drum, ohne mich zu sprechen, weiter,
Und darin, glaub’ ich, hat der Arme recht."
- Nun folgt’ ich hin zum FeIsen meinem Leiter,
Von wo man überblickt den nächsten Schlund,
Wär’ irgend nur von Licht die Tiefe heiter.
- Von seiner Höh’ ward unserm Auge kund
Der letzte Klosterbann von Übelsäcken,
Und viel Bekehrte waren tief im Grund.
- Und gleich den Pfeilen drangen, mir zum Schrecken,
Gespitzt durch Mitleid, Jammertön’ heraus
Und zwangen mich, die Ohren zu bedecken.
- Wär’ aller Schmerz aus jedem Krankenhaus
Zur Zeit, da wild die Sommergluten flammen,
Und Valdichianas und Sardiniens Graus
- Und Seuch’ und Pest in einem Schlund beisammen,
Nicht ärger wär’s als hier, wo fauler Duft
Und Stank vom Eiter in den Lüften schwammen.
- Wir stiegen auf den Rand der letzten Kluft
Vom langen Felsen niederwärts zur Linken,
Und deutlicher erschien der Schoß der Gruft.
- In diesem Grund läßt nach des Höchsten Winken
Die nimmer irrende Gerechtigkeit
Zur wohlverdienten Quäl die Fälscher sinken.
- Nicht in Ägina ist vor alter Zeit
Des Volkes Anblick trauriger gewesen,
Das krank darniedersank, dem Tod geweiht,
- Ja bis zum kleinsten Wurm jedwedes Wesen,
Durch tückisch böse Luft, worauf im Land,
Wie wir für sicher in den Dichtern lesen,
- Ein neues Volk aus Ämsenbrut entstand;
Als hier zu sehn war, wie sich schwach und siechend
Das Geistervolk in manchem Haufen wand.
- Die einen auf der andern Rücken liegend,
Die auf dem Bauch, und die von einem Ort
Zum andern hin auf allen vieren kriechend.
- Wir gingen Schritt um Schritt und schweigend fort,
Sahn Kranke dort, unfähig aufzustehen
Und horchten auf ihr kläglich Jammerwort.
- Sich gegenseitig stützend, saßen zween,
Wie in der Küche Pfann’ an Pfanne lehnt,
Mit Grind gefleckt vom Kopf bis zu den Zehen.
- Gleich wie ein Stallknecht, der nach Schlaf sich sehnt
Und bald sein Tagwerk hofft vollbracht zu haben,
Die Striegel eiligst führt und öfters gähnt;
- So sah ich sie sich mit den Nägeln schaben
Und hier und dort sich kratzen und geschwind,
So gut es ging, ihr wütend Jucken laben.
- Und schnell war unter ihren Klau’n der Grind
Wie Schuppen von den Barschen abgegangen,
Die unterm Messer schneller Köche sind.
- "Du, vor des Fingern Schien’ und Masche sprangen,"
Begann Virgil zu einem von den zwei’n,
"Und der du sie auch oft gebrauchst wie Zangen,
- Sprich: Fanden sich auch hier Lateiner ein
Und mögen dich zu kratzen und zu krauen,
Dafür dir ewig scharf die Nägel sein."
- "Lateiner kannst du in uns beiden schauen,"
Erwidert einer drauf, von Qual durchbebt,
"Doch wer du bist, magst du mir erst vertrauen."
- Mein Führer sprach: "Von Fels zu Felsen strebt
Mein Fuß hinab in diesen Finsternissen;
Die Höll’ zeig’ ich diesem, der da lebt."
- Da schien das Band, das beide hielt, zerrissen,
Und jeder, dem’s der Rückhall kundgetan,
War zitternd nur mich anzuschau’n beflissen.
- Dicht drängte sich an mich mein Meister an
Und sprach: "Du magst sie nach Belieben fragen!"
Und ich, da er es so gewollt, begann:
- "Soll dein Gedächtnis noch in späten Tagen
Auf unsrer Welt und in der Menschen Geist
Erhalten sein, so magst du jetzo sagen,
- Wie du dich nennst und deine Heimat heißt?
Und, trotz der ekeln Qual, nimm dich zusammen,
Daß du in deinen Reden offen seist."
- "Mich zeugt’ Arezzo, und den Tod in Flammen
Verschafft’ einst Albero von Siena mir,
Doch andrer Grund hieß Minos mich verdammen.
- Wahr ist’s, ich sagt’ im Scherz: ins Luftrevier
Verstünd’ ich mich im Fluge hinzuschwingen.
Er, klein an Witz und groß an Neubegier,
- Bat mich, ihm diese Kenntnis beizubringen,
Und nur weil er durch mich kein Dädal ward,
Befahl sein Vater dann, mich umzubringen.
- Doch Minos, dem sich alles offenbart,
Hat, weil ich mich der Alchimie ergeben,
Im letzten Schlund der zehen mich verwahrt."
- Zum Dichter sagt’ ich: "Sprich, ob man im Leben
So eitles Volk wie die Sanesen fand?
Selbst die Franzosen sind ja nichts daneben."
- Der andre Grind’ge, welcher mich verstand,
Rief: "Mag nur Stricca ausgenommen bleiben,
Der all sein Gut so klüglich angewandt;
- Und Nikel, dem die Ehre zuzuschreiben,
Daß er zuerst die Braten wohl gewürzt,
Dort, wo dergleichen Saaten wohl bekleiben;
- Und jener Klub, der wohl die Zeit gekürzt,
In dem Caccia d’Ascian samt seinem Witze,
Auch Wald und Weinberg durch den Schlund gestürzt.
- Doch willst du wissen, wer dir half, so spitze
Den Blick auf mich und stelle dich dahin,
Gerade gegenüber meinem Sitze;
- Dann wirst du sehn, daß ich Capocchio bin.
Metall verfälscht’ ich, daß ich Gold erschaffe,
Und, sah ich recht, so ist dir’s noch im Sinn,
- Ich war von der Natur ein guter Affe".
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