Dante Alighieri
Die Göttliche Komödie
Dante Alighieri

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Vierzehnter Gesang

  1. "Wer ist der, welcher unsern Berg umgeht,
    Eh’ ihn der Tod beschwingt – dem, nach Behagen,
    Das Auge bald sich schließt, bald offen steht?"
  2. "Daß er allein nicht ist, das kann ich sagen,
    Nicht wer er ist. Da ich ihm ferner bin,
    Magst du, damit er red’, ihn höflich fragen."
  3. So redeten, von mir zur Rechten hin,
    Zwei Geister dort, sich zueinander neigend,
    Dann, um zu sprechen, hoben sie das Kinn.
  4. "O Seele, die, empor zum Himmel steigend,"
    Sprach dann der eine, "noch im Körper steckt,
    O sprich, dich hold und trostreich uns erzeigend,
  5. Woher? Wer bist du? Denn solch Staunen weckt
    Die Gnade, die wir an dir schauen sollen,
    Wie wenn, was nie gescheh’n, sich uns entdeckt."
  6. Und ich: "Ein Fluß, der Falteron’ entquollen,
    Lustwandelt mitten durch das Tuscierland,
    Dem hundert Miglien Laufs nicht g’nügen wollen.
  7. Ich bringe diesen Leib von seinem Strand.
    Doch sagt’ ich, wer ich sei – nicht würd’ euch’s frommen,
    Da wenig Ruhm bis jetzt mein Name fand."
  8. "Bin ich auf deiner Meinung Grund gekommen,
    Meinst du den Arno und sein Talgebiet?"
    So sprach jetzt, der zuerst das Wort genommen.
  9. Der zweite sprach darauf: "Warum vermied
    Er, jenes Flusses Namen zu verkünden,
    Wie’s sonst nur mit Abscheulichem geschieht?"
  10. Und jener sprach: "Nicht kann ich dies ergründen,
    Doch wert des Untergangs ist jenes Wort,
    Das nur Erinnrung weckt an Schmach und Sünden.
  11. Denn von dem Ursprung im Gebirge dort,
    Von dem sich einst Pelorum trennen müssen,
    Dort wasserreich, wie sonst an keinem Ort,
  12. Bis dahin, wo der Fluß mit ew’gen Güssen
    Das, was dem Meer die Sonn’ entsaugt, ersetzt,
    Was Nahrung gibt den Bächen und den Flüssen,
  13. Wird, sei’s durch schlechte Sitt’ und Neigung jetzt,
    Sei’s, daß der Ort an einem Fluche leide,
    Die Tugend, gleich den Schlangen, fortgehetzt.
  14. Denn was im Tal, gedrückt von schwerem Leide,
    Nur irgend wohnt, hat die Natur verkehrt,
    Als hätt’ es mitgeschmaust auf Circes Weide.
  15. Zu garst’gen Schweinen, mehr der Eicheln wert
    Als dessen, was Natur den Menschen spendet,
    Ist erst sein wasserarmer Lauf gekehrt.
  16. Dann, wie er weiter seine Wogen sendet,
    Trifft er ohnmächt’ge kleine Kläffer an,
    Von welchen er die Stirn unwillig wendet
  17. Je mehr er schwillt in seiner tiefern Bahn,
    Sieht der unsel’ge maledeite Graben
    Die Hund’ an Art sich mehr den Wölfen nah’n.
  18. In tiefen Tümpeln scheint er drauf vergraben
    Und trifft dann Füchs, in List so eingeweiht,
    Daß sie nicht scheu mehr vor dem Schlau’sten haben.
  19. Frei red’ ich. Sei der Horcher auch nicht weit,
    Und gut wird’s diesem sein, das zu behalten,
    Was der wahrhafte Geist mir prophezeit.
  20. Ich sehe deinen Neffen furchtbar schalten,
    Der jene Wölfe so zu jagen weiß,
    Daß sie vor grauser Todesangst erkalten.
  21. Denn er verkauft sie lebend scharenweis,
    Dann sticht er sie, gleich einem alten Schlachtvieh, nieder.
    Das Leben raubt er vielen, sich den Preis.
  22. Zuletzt verläßt er, blutbespritzt die Glieder,
    Den Wald gefällt, und ringsum öd und tot,
    Und tausend Jahr’ erneu’n sein Laub nicht wieder."
  23. Wie bei Verkündigung zukünft’ger Not
    Des bangen Hörers Züge sich umschatten,
    Der sich gefährdet glaubt und rings bedroht,
  24. So sah ich jetzo jenen andern Schatten,
    Der zugehorcht, verstört und bange stehn,
    Wie seinen Geist erfüllt die Worte hatten.
  25. Was ich von dem gehört, von dem gesehn,
    Mich reizt’ es, ihren Namen nachzufragen,
    Und bittend ließ ich meine Frag’ ergehn.
  26. Und den, der erst gesprochen, hört’ ich sagen:
    "Du also willst, für dich tun soll ich dies,
    Was du für mich zu tun mir abgeschlagen?
  27. Doch kargen will ich nicht, denn herrlich ließ
    Gott in dir strahlen seine Huld und Güte.
    Drum wisse, daß ich Guid del Duca hieß.
  28. Von Neid verbrannt war also mein Gemüte,
    Daß, wenn ich sah, ein andrer sei erfreut,
    Ich schwarz vor Gall’ in bitterm Ingrimm glühte.
  29. Hier mäh’ ich Saat, die ich dort ausgestreut.
    O Sterbliche, was müßt ihr das begehren,
    Was Ausschluß der Genossenschaft gebeut!
  30. Der hier ist Rainer, der zu Preis und Ehren
    Das Haus von Calboli gebracht, des Mut
    Und Kraft und Wert die Erben ganz entbehren.
  31. Denn alle sieht man jetzt aus seinem Blut
    Das Schlechte tun, das Rechte träg versäumen,
    Und zwischen Po, Berg, Ren und Meeresflut
  32. Sieht man’s nur sprossen noch in gift’gen Bäumen,
    Und keinem Gärtner glückt’s, der schlechten Art
    Wildwucherndes Gewürzel wegzuräumen.
  33. Wo mag der wackre Licio, wo Manard,
    Wo Traversar, wo Guid Carpigna bleiben?
    Ist jeder Romagnol heut ein Bastard?
  34. Ein Schmied muß in Bologna Äste treiben,
    Und in Faenza jetzt ein Bernardin,
    Der edle Sproß aus niederm Keim, bekleiden!
  35. Nicht staune, Tuscier, daß ich traurig bin,
    Wenn ich des Guid von Prata noch gedenke,
    Und des, der mit uns war, des Ugolin.
  36. Dann auf Tignoso die Erinnrung lenke,
    Auf Traversars und Anastasens Haus,
    Und über den enterbten Stamm mich kränke;
  37. Auf Ritter, Frau’n, auf Ruhe, Müh’ und Strauß,
    Was wir aus Lieb’ und Edelsinn begannen,
    Wo jetzt die Herzen sind voll Tück’ und Graus.
  38. Brettinoro, fliehst du nicht von dannen,
    Da, um zu flieh’n Verderben, Schand und Hohn,
    Die Guten allesamt aus dir entrannen!
  39. Wohl dir, Bagnacaval, dir fehlt der Sohn!
    Weh, Castrocaro, dir, da mit Verderben
    Dich solche Grafen, wie du zeugst, bedrohen!
  40. Gut handeln einst, wird erst ihr Dämon sterben,
    Faenzas Herr’n, doch nimmer werden sie
    Des Ruhmes reines Zeugnis sich erwerben.
  41. Dir, Ugolin von Fantoli, wird nie
    Des edlen Namens reiner Glanz gebrechen,
    Da dir das Schicksal keinen Sohn verlieh.
  42. Doch jetzt, Toskaner, geh; denn nicht zum Sprechen,
    Mich reizt zum Weinen nur mein armes Land,
    Und preßt mein Herz durch Untat und Verbrechen."
  43. Durchs Ohr ward jenen unser Gehn bekannt,
    Drum wußten wir, da sie es schweigend litten,
    Daß wir uns auf den rechten Weg gewandt.
  44. Indem wir einsam nun von dannen schritten,
    Scholl eine Stimm’ uns zu, eh wir’s gedacht,
    Gleich einem Blitze, der die Luft durchschnitten:
  45. Mich tötet, .wer mich trifft! Sie rief’s mit Macht
    Und floh im schnellen Flug dann und verhallte,
    Dem Donner gleich, der aus den Wolken kracht.
  46. Und wie sie kaum an uns vorüberwallte,
    Braust’ eine zweite schon an unser Ohr,
    Die schrecklich, wie ein zweiter Donner schallte:
  47. Ich bin Aglauros, die zum Stein erfror!
    Und als ich an Virgil mich drängen wollte,
    Schritt ich vor großer Angst zurück, nicht vor.
  48. Schon schwieg die Luft, kein dritter Donner rollte,
    Da sprach Virgil: "Dies ist der harte Zaum,
    Der auf der rechten Bahn euch halten sollte.
  49. Doch winkt des alten Feindes Köder kaum,
    So laßt ihr euch in seinem Hamen fangen,
    Gebt nicht dem Rufe, nicht dem Zügel Raum.
  50. Euch rufend, hält der Himmel euch umfangen,
    Der, ewig schön, rings seine Kreise zieht,
    Doch euer Blick bleibt an der Erde hangen,
  51. Und deshalb schlägt euch der, der alles sieht."

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