- "Wer ist der, welcher unsern Berg umgeht,
Eh’ ihn der Tod beschwingt – dem, nach Behagen,
Das Auge bald sich schließt, bald offen steht?"
- "Daß er allein nicht ist, das kann ich sagen,
Nicht wer er ist. Da ich ihm ferner bin,
Magst du, damit er red’, ihn höflich fragen."
- So redeten, von mir zur Rechten hin,
Zwei Geister dort, sich zueinander neigend,
Dann, um zu sprechen, hoben sie das Kinn.
- "O Seele, die, empor zum Himmel steigend,"
Sprach dann der eine, "noch im Körper steckt,
O sprich, dich hold und trostreich uns erzeigend,
- Woher? Wer bist du? Denn solch Staunen weckt
Die Gnade, die wir an dir schauen sollen,
Wie wenn, was nie gescheh’n, sich uns entdeckt."
- Und ich: "Ein Fluß, der Falteron’ entquollen,
Lustwandelt mitten durch das Tuscierland,
Dem hundert Miglien Laufs nicht g’nügen wollen.
- Ich bringe diesen Leib von seinem Strand.
Doch sagt’ ich, wer ich sei – nicht würd’ euch’s frommen,
Da wenig Ruhm bis jetzt mein Name fand."
- "Bin ich auf deiner Meinung Grund gekommen,
Meinst du den Arno und sein Talgebiet?"
So sprach jetzt, der zuerst das Wort genommen.
- Der zweite sprach darauf: "Warum vermied
Er, jenes Flusses Namen zu verkünden,
Wie’s sonst nur mit Abscheulichem geschieht?"
- Und jener sprach: "Nicht kann ich dies ergründen,
Doch wert des Untergangs ist jenes Wort,
Das nur Erinnrung weckt an Schmach und Sünden.
- Denn von dem Ursprung im Gebirge dort,
Von dem sich einst Pelorum trennen müssen,
Dort wasserreich, wie sonst an keinem Ort,
- Bis dahin, wo der Fluß mit ew’gen Güssen
Das, was dem Meer die Sonn’ entsaugt, ersetzt,
Was Nahrung gibt den Bächen und den Flüssen,
- Wird, sei’s durch schlechte Sitt’ und Neigung jetzt,
Sei’s, daß der Ort an einem Fluche leide,
Die Tugend, gleich den Schlangen, fortgehetzt.
- Denn was im Tal, gedrückt von schwerem Leide,
Nur irgend wohnt, hat die Natur verkehrt,
Als hätt’ es mitgeschmaust auf Circes Weide.
- Zu garst’gen Schweinen, mehr der Eicheln wert
Als dessen, was Natur den Menschen spendet,
Ist erst sein wasserarmer Lauf gekehrt.
- Dann, wie er weiter seine Wogen sendet,
Trifft er ohnmächt’ge kleine Kläffer an,
Von welchen er die Stirn unwillig wendet
- Je mehr er schwillt in seiner tiefern Bahn,
Sieht der unsel’ge maledeite Graben
Die Hund’ an Art sich mehr den Wölfen nah’n.
- In tiefen Tümpeln scheint er drauf vergraben
Und trifft dann Füchs, in List so eingeweiht,
Daß sie nicht scheu mehr vor dem Schlau’sten haben.
- Frei red’ ich. Sei der Horcher auch nicht weit,
Und gut wird’s diesem sein, das zu behalten,
Was der wahrhafte Geist mir prophezeit.
- Ich sehe deinen Neffen furchtbar schalten,
Der jene Wölfe so zu jagen weiß,
Daß sie vor grauser Todesangst erkalten.
- Denn er verkauft sie lebend scharenweis,
Dann sticht er sie, gleich einem alten Schlachtvieh, nieder.
Das Leben raubt er vielen, sich den Preis.
- Zuletzt verläßt er, blutbespritzt die Glieder,
Den Wald gefällt, und ringsum öd und tot,
Und tausend Jahr’ erneu’n sein Laub nicht wieder."
- Wie bei Verkündigung zukünft’ger Not
Des bangen Hörers Züge sich umschatten,
Der sich gefährdet glaubt und rings bedroht,
- So sah ich jetzo jenen andern Schatten,
Der zugehorcht, verstört und bange stehn,
Wie seinen Geist erfüllt die Worte hatten.
- Was ich von dem gehört, von dem gesehn,
Mich reizt’ es, ihren Namen nachzufragen,
Und bittend ließ ich meine Frag’ ergehn.
- Und den, der erst gesprochen, hört’ ich sagen:
"Du also willst, für dich tun soll ich dies,
Was du für mich zu tun mir abgeschlagen?
- Doch kargen will ich nicht, denn herrlich ließ
Gott in dir strahlen seine Huld und Güte.
Drum wisse, daß ich Guid del Duca hieß.
- Von Neid verbrannt war also mein Gemüte,
Daß, wenn ich sah, ein andrer sei erfreut,
Ich schwarz vor Gall’ in bitterm Ingrimm glühte.
- Hier mäh’ ich Saat, die ich dort ausgestreut.
O Sterbliche, was müßt ihr das begehren,
Was Ausschluß der Genossenschaft gebeut!
- Der hier ist Rainer, der zu Preis und Ehren
Das Haus von Calboli gebracht, des Mut
Und Kraft und Wert die Erben ganz entbehren.
- Denn alle sieht man jetzt aus seinem Blut
Das Schlechte tun, das Rechte träg versäumen,
Und zwischen Po, Berg, Ren und Meeresflut
- Sieht man’s nur sprossen noch in gift’gen Bäumen,
Und keinem Gärtner glückt’s, der schlechten Art
Wildwucherndes Gewürzel wegzuräumen.
- Wo mag der wackre Licio, wo Manard,
Wo Traversar, wo Guid Carpigna bleiben?
Ist jeder Romagnol heut ein Bastard?
- Ein Schmied muß in Bologna Äste treiben,
Und in Faenza jetzt ein Bernardin,
Der edle Sproß aus niederm Keim, bekleiden!
- Nicht staune, Tuscier, daß ich traurig bin,
Wenn ich des Guid von Prata noch gedenke,
Und des, der mit uns war, des Ugolin.
- Dann auf Tignoso die Erinnrung lenke,
Auf Traversars und Anastasens Haus,
Und über den enterbten Stamm mich kränke;
- Auf Ritter, Frau’n, auf Ruhe, Müh’ und Strauß,
Was wir aus Lieb’ und Edelsinn begannen,
Wo jetzt die Herzen sind voll Tück’ und Graus.
- Brettinoro, fliehst du nicht von dannen,
Da, um zu flieh’n Verderben, Schand und Hohn,
Die Guten allesamt aus dir entrannen!
- Wohl dir, Bagnacaval, dir fehlt der Sohn!
Weh, Castrocaro, dir, da mit Verderben
Dich solche Grafen, wie du zeugst, bedrohen!
- Gut handeln einst, wird erst ihr Dämon sterben,
Faenzas Herr’n, doch nimmer werden sie
Des Ruhmes reines Zeugnis sich erwerben.
- Dir, Ugolin von Fantoli, wird nie
Des edlen Namens reiner Glanz gebrechen,
Da dir das Schicksal keinen Sohn verlieh.
- Doch jetzt, Toskaner, geh; denn nicht zum Sprechen,
Mich reizt zum Weinen nur mein armes Land,
Und preßt mein Herz durch Untat und Verbrechen."
- Durchs Ohr ward jenen unser Gehn bekannt,
Drum wußten wir, da sie es schweigend litten,
Daß wir uns auf den rechten Weg gewandt.
- Indem wir einsam nun von dannen schritten,
Scholl eine Stimm’ uns zu, eh wir’s gedacht,
Gleich einem Blitze, der die Luft durchschnitten:
- Mich tötet, .wer mich trifft! Sie rief’s mit Macht
Und floh im schnellen Flug dann und verhallte,
Dem Donner gleich, der aus den Wolken kracht.
- Und wie sie kaum an uns vorüberwallte,
Braust’ eine zweite schon an unser Ohr,
Die schrecklich, wie ein zweiter Donner schallte:
- Ich bin Aglauros, die zum Stein erfror!
Und als ich an Virgil mich drängen wollte,
Schritt ich vor großer Angst zurück, nicht vor.
- Schon schwieg die Luft, kein dritter Donner rollte,
Da sprach Virgil: "Dies ist der harte Zaum,
Der auf der rechten Bahn euch halten sollte.
- Doch winkt des alten Feindes Köder kaum,
So laßt ihr euch in seinem Hamen fangen,
Gebt nicht dem Rufe, nicht dem Zügel Raum.
- Euch rufend, hält der Himmel euch umfangen,
Der, ewig schön, rings seine Kreise zieht,
Doch euer Blick bleibt an der Erde hangen,
- Und deshalb schlägt euch der, der alles sieht."
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