Dante Alighieri
Die Göttliche Komödie
Dante Alighieri

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigster Gesang

  1. Erfreue dich, Florenz, du bist so groß,
    Daß du zu Land und Meer die Flügel schwingest,
    Und selbst dein Nam’ erklingt im Höllenschoß.
  2. Fünf deiner Bürger fand ich – also zwingest
    Du mich zur Scham – den Dieben beigefügt,
    Wodurch du dir nicht größern Ruhm erringest.
  3. Doch wenn, was man am Morgen träumt, nicht lügt,
    So wirst du großes Unglück bald empfinden,
    Und Prato selbst, so nah dir, sieht’s vergnügt.
  4. War’s jetzt, nicht würde man’s zu zeitig finden,
    So, da’s nun einmal sein muß, war’s jetzt doch.
    Denn, älter, werd’ ich’s schwerer nur verwinden.
  5. Wir gingen fort, und übers Felsenjoch
    Stieg, wie hinab, hinauf die Zackenleiter
    Mein Führer und war meine Stütze noch.
  6. Und, folgend zwischen mancher Felsenscheiter
    Und manchem Block dem Pfad im öden Raum,
    Kam, wenn die Hand nicht half, der Fuß nicht weiter.
  7. Ich fühlte Schmerz – jetzt fühl’ ich mindern kaum,
    Wenn ich zurück an das Erblickte denke,
    Und schärfer fass’ ich da des Geistes Zaum,
  8. Damit ich nicht den Lauf vom Rechten lenke,
    Und, was zu meinem Wohl mein Stern bezweckt,
    Was höh’re Huld, mir selber feind, nicht kränke.
  9. Soviel der Bau’r, am Hügel hingestreckt,
    Zur Zeit, da er, des Blick die Erde lichtet,
    Sein Antlitz uns am wenigsten versteckt,
  10. Wenn sich die Fliege vor der Mücke flüchtet,
    Johanniswürmchen sieht im Tal entlang,
    Wo er mit Hipp’ und Pflug sein Tun verrichtet;
  11. So viele Flammen sah den tiefen Gang
    Des achten Tals mein Auge jetzt verklären,
    Sobald ich dort war, wo’s zur Tiefe drang.
  12. Wie der, der sich gerächt durch wilde Bären,
    Elias’ Wagen sah von dannen zieh’n,
    Als das Gespann aufstieg zu Himmelssphären,
  13. Umonst ihm mit dem Auge folgt’ und ihn
    Gestaltlos nur als ferne Flamm’ erkannte.
    Die wie ein leichtes Abendwölkchen schien.
  14. So war’s, wie wandelnd hier manch Flämmchen brannte,
    Doch keines war, das seine Beute wies,
    Ob jegliches gleich einem Geist entwandte.
  15. Am Brückenrande stehend, sah ich dies
    Und fiel’, hielt’ ich nicht fest an einem Blocke,
    Hinunter, ohne daß mich jemand stieß.
  16. Virgil, der sah, wie mich der Anblick locke,
    Sprach nun: "Jedwedes Feu’r birgt einen Geist,
    Und das, worin er brennt, dient ihm zum Rocke."
  17. Drauf ich: "Die Kunde, die du mir verleihst
    Macht mich gewiß; schon glaubt’ ich’s zu erkennen.
    Und fragen wollt’ ich schon, wie jener heißt.
  18. Ich sah die Flamm’ in zwei sich oben trennen.
    Als sah’ ich in des Scheiterhaufens Glut
    Eteokles und seinen Bruder brennen."
  19. Und er: "Sie dämpft Ulysseus Übermut
    Und Diomeds. Sie laufen hier zusammen
    In ihrer Qual, wie einst in ihrer Wut.
  20. Ums Trugroß klagen sie in diesen Flammen,
    Und um das Tor, das Ausgang jenen bot,
    Der Heldenschar, von der die Römer stammen.
  21. Die List beweinen sie, durch die, schon tot,
    Noch Deidamia den Achill beklagte,
    Auch das Palladium rächt nun ihre Not."
  22. "Vermögen sie noch hier zu sprechen," sagte
    Ich drauf zum Meister, "o, dann bitt’ ich dich
    Vieltausendmal, da ich sie gern befragte,
  23. Laß mich, bis die geteilte Flamme sich
    Zu uns hierherbewegt, ein wenig weilen.
    Sieh, hin zu ihr zieht die Begierde mich."
  24. "Der Bitte", sprach er, "muß ich Lob erteilen,
    Wie sie verdient; sie sei darum gewährt,
    Doch laß die Sprechlust nicht dich übereilen.
  25. Laß mir das Wort; ich weiß, was du begehrt.
    Spröd blieben sie gewiß bei deinem Worte,
    Denn Griechen sind sie, stolz auf ihren Wert.
  26. Als nun die Flamme nah war unserm Orte,
    Da hört’ ich diese Red’, als Ort und Zeit
    Er für geeignet hielt, von meinem Horte:
  27. "Ihr, die ihr zwei in einer Flamme seid,
    Wenn ich euch jemals Grund gab, mich zu lieben,
    Da ich dem Ruhm der Helden mich geweiht,
  28. Und in der Welt das hohe Lied geschrieben,
    So weilt bei mir und sag’ Ulyß mir an,
    Wo auf der Irrfahrt sein Gebein geblieben."
  29. Der alten Flamme größres Horn begann
    Zu flackern erst und murmelnd sich zu regen.
    Als wäre sie vom Wind gefaßt, und dann
  30. Rasch hin und her die Spitze zu bewegen,
    Gleich einer Zung’, und deutlich tönt’ und klar
    Dann aus der Flamm’ uns dieses Wort entgegen:
  31. "Als ich von Circen schied, die mich ein Jahr
    Und länger bei Gaëta festgehalten,
    Eh’s so benannt noch von Äneas war,
  32. Da ließ ich nicht das Mitleid für den alten
    Gebeugten Vater, nicht die Gattenpflicht,
    Noch Vaterzärtlichkeit im Herzen walten.
  33. Sie tilgten all in mir das Sehnen nicht,
    Die Welt zu sehn und alles zu erkunden,
    Was sie besitzt, wie das, was ihr gebricht.
  34. Drum warf ich mich, kaum meiner Haft entbunden,
    In einem einz’gen Schiff ins offne Meer,
    Samt einem Häuflein, das ich treu erfunden.
  35. Nach Spanien führt’ und Libyen hin und her
    Ich meine wackre Schar, als kühner Leiter,
    Und jedem Eiland jenes Meers umher.
  36. Alt war ich schon und schwach, auch die Begleiter,
    Da war mein Schiff am engen Schlunde dort,
    Wo Herkuls Säulenpaar gebeut: Nicht weiter!
  37. Als hinter uns nun rechts Sevillas Bord
    Und links in Libyen Septas Zinnen waren,
    Sprach ich zu den Gefährten dieses Wort:
  38. Brüder, die durch Tausend’ von Gefahren
    Ihr hier im Abend kühn euch eingestellt,
    Verwendet jetzt, um Neues zu erfahren,
  39. Weil Seele noch und Leib zusammenhält,
    Den kurzen Rest von eurem Erdenleben;
    Der Sonne nach zur unbewohnten Welt!
  40. Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben;
    Nicht um dem Viehe gleich zu brüten, nein,
    Um Wissenschaft und Tugend zu erstreben.
  41. Den Meinen schien dies Wort ein Sporn zu sein,
    Kaum hielt ich sie, hätt’ ich gewollt, im Zügel,
    Und rastlos ging’s ins weite Meer hinein.
  42. Erst morgenwärts gewandt des Schiffes Spiegel
    Ging unser toller Flug dann linker Hand,
    Und seiner Eil’ verlieh’n die Ruder Flügel.
  43. Schon alle Sterne jenes Poles fand
    Der Blick der Nacht, und die des unsern klommen
    Kaum übers Meer noch an des Himmels Rand.
  44. Schon fünfmal war entzündet und verglommen
    Des Mondes Licht, seit wir, dem Glück vertraut,
    Durch den verhängnisvollen Paß geschwommen,
  45. Als uns ein Berg erschien, von Dunst umgraut
    Vor weiter Fern’, und schien so hoch zu ragen,
    Wie ich noch keinen auf der Erd’ erschaut.
  46. Erst jubeln ließ er uns, dann bang verzagen,
    Denn einen Wirbelwind fühlt’ ich entstehn
    Vom neuen Land und unsern Vorbord schlagen.
  47. Er macht’ uns dreimal mit den Fluten dreh’n,
    Dann, als der hintre Teil emporgeschossen,
    Nach höh’rem Spruch, den vordern untergehn,
  48. Bis über uns die Wogen sich verschIossen."

 << zurück weiter >>