- Sol war zum Horizont herabgestiegen,
Des Mittagskreis, wo er am höchsten steht,
Sieht unter sich die Feste Zions liegen.
- Nacht, welche sich ihm gegenüber dreht,
War mit der Wag’ am Ganges vorgegangen,
Die, wenn sie zunimmt, ihrer Hand entgeht.
- Drum hatten Eos weiß’ und rote Wangen
Dort, wo ich war, weil ihre Jugend schwand,
In hohem Gelb zu schimmern angefangen.
- Wir waren noch am niedern Meeresstrand,
Und gingen, ob des fernen Wegs in Sorgen,
Im Herzen fort, indes der Körper stand.
- Und wie in trüber Röte, wenn der Morgen
Sich nähert, Mars, im Westen, nah dem Meer
Sich zeigt, von dichten Dünsten fast verborgen,
- So sah ich jetzt ein Licht – o säh’ ich’s mehr!
Und eilig, wie kein Vogel je geflogen,
Glitt’s auf des Meeres glattem Spiegel her.
- Als ich von ihm die Augen abgezogen
Ein wenig hatt’ und zu dem Führer sprach,
Schien’s heller dann und größer ob den Wogen.
- Dann auf des Lichtes beiden Seiten brach
Ein weißer Glanz hervor, und er entbrannte,
Wie’s näher kam, von unten nach und nach.
- Mein Meister, der nach ihm sich schweigend wandte,
Solang der Flügel erstes Weiß erschien,
Rief, wie er nun den hehren Schiffer kannte:
- "O eile jetzt, o eile, hinzuknien!
Sieh Gottes Engel! Falte deine Händel
Nun siehst du solche Gottes Wink vollziehen.
- Sieh, er verschmäht, was Menschenwitz erfände.
Nicht Segel, Ruder nicht – sein Flügelpaar
Braucht er zur Fahrt ans ferneste Gelände.
- Sieh, wie’s gen Himmel strebt so schön und klar!
Die Luft bewegt das ewige Gefieder,
Das nicht sich ändert wie der Menschen Haar."
- Und wieder naht’ er sich indes und wieder
In hellerm Glanz, daß näher solchen Schein
Mein Auge nicht ertrug, drum schlug ich’s nieder.
- Und leicht und schnell sah ich durch ihn allein
Das Schiff des Eilands niedern Strand gewinnen,
Auch drückt’ es kaum die Spur den Fluten ein.
- Und als ein Sel’ger stand vor meinen Sinnen
Am Hinterteil des Schiffes Steuermann,
Und mehr als hundert Geister saßen drinnen.
- "Als aus Ägypten Israel entrann";
Die Schar, gewiß, das Ufer zu erreichen,
Fing diesen Psalm einstimm’gen Sanges an.
- Er macht’ auf sie des heil’gen Kreuzes Zeichen,
Drum warf sich jeder hin am Meeresbord,
Dann sah man ihn schnell, wie er kam, entweichen.
- Fremd schienen alle, welche blieben, dort,
Und um sich blickend sah ich sie verweilen,
Wie den, der Neues sieht am fremden Ort.
- Von allen Seiten schoß mit Feuerpfeilen
Den Tag die Sonne, die vom Meridian
Den Steinbock schon gezwungen, zu enteilen
- Da hoben, die wir eben kommen sahn,
Nach uns die Stirn empor mit diesem Worte:
"Zeigt uns, dafern ihr könnt, zum Berg die Bahn."
- Erwidert ward darauf von meinem Horte:
"Wißt, wenn ihr wähnt, wir wüßten hier Bescheid;
Wir sind so fremd wie ihr an diesem Orte.
- Denn kurz vorher, eh’ ihr gekommen seid,
Sind auf so rauhem Weg wir angekommen,
Daß hier zu klimmen Spiel, nicht Müh’ und Leid."
- Wie jene nun am Atmen wahrgenommen,
Daß ich noch lebe, schienen sie bewegt,
Ja, vor Erstaunen ängstlich und beklommen.
- Und wie dem Boten, der den Ölzweig trägt,
Die Menge folgt, voll Neubegier sich pressend,
Und Tritt’ und Stöße sonder Scheu erträgt,
- So drängten jetzt, mich mit den Augen messend,
Zu mir die hochbeglückten Seelen sich,
Beinah den Gang zur Reinigung vergessend.
- Hervor trat eine jetzt, so inniglich
Mich zu umarmen, mit so holden Mienen,
Daß mein Verlangen ganz dem ihren glich.
- Leere Schatten, die Gestalt nur schienen!
Dreimal halt’ ich die Hände hinter ihr,
Und dreimal kehrt’ ich zu der Brust mit ihnen.
- Das Antlitz, glaub’ ich, malt’ Erstaunen mir,
Und jenen sah ich lächelnd rückwärts schweben,
Doch folgt’ ich ihm mit liebender Begier.
- Und lieblich hört’ ich ihn die Stimm’ erheben:
"Sei ruhig!" Da erkannt’ ich ihn und bat,
Er möge weilen und mir Antwort geben.
- "Dich lieb’ ich," sprach er, als ich ihn genaht,
"Wie einst im Leib, so jetzt der Haft entbunden,
Drum weil’ ich – doch was gehst du diesen Pfad?"
- "O mein Casella, hier nur eingefunden
Hab’ ich mich, um zur Welt zurückzugehn.
Doch wie bist du beraubt so vieler Stunden?"
- Und er: "Drob ist kein Unrecht mir gescheh’n.
Mußt’ er auch öfters mich zurückeweisen,
Der mit sich fortnimmt, wann er will und wen.
- Denn sein Will’ ist nur der des Ewig-Weisen.
Und seit drei Monden hat er gern gewährt,
Wenn irgendwer verlangt hat, mitzureisen.
- Auch mich, der ich mich zu dem Strand gekehrt,
Wo salzig wird der Tiber süße Welle,
Empfing er liebevoll, da ich’s begehrt.
- Jetzt schwebt er wieder hin zu jener Stelle,
Wo er vereint mit freudigem Empfang
Die, so nicht Sünde stürzt zur Nacht der Hölle."
- Und ich: "Hat dir nicht jenen Liebessang,
Den du geübt, ein neu Gesetz entrissen,
Der öfters mir gestillt des Herzens Drang,
- So laß mich jetzt nicht seinen Trost vermissen;
Denn meine Seele, die der Leib umflicht,
Schwebt, da sie hier erscheint, in Kümmernissen."
- "Die Liebe, die zu mir im Herzen spricht
Begann er jetzt, und ach, die süße Weise
Verklingt noch jetzt in meinem Innern nicht.
- Mein Herr und ich, wir standen still im Kreise
Der andern dort und alle so beglückt,
Als kennten wir kein andres Ziel der Reise,
- Nur seinen Tönen horchend, hochentzückt.
Da sieh bei uns den ehrenhaften Alten:
"Was, träge Geister, ist’s, das euch berückt?
- Nachlässige, so lang’ euch aufzuhalten!
Zum Berg hin, wo man frei der Hüllen wird,
Die Gottes Anblick noch euch vorenthalten!
- Wie wenn, von Weizen oder Lolch gekirrt,
Die Tauben still im Stoppelfelde schmausen
Und keine mehr umherstolziert und girrt,
- Dann aber, wenn erscheint, wovor sie grausen,
Sie alle jäh, mit größrer Sorg’ im Sinn,
Von ihrer Weid’ empor im Fluge brausen;
- So lief die Schar der Seelen jetzt dahin,
Vom Sange fort, zum Berge sonder Weile,
Wie wer da läuft, allein nicht weiß wohin;
- Wir aber folgten mit nicht mindrer Eile.
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