- Wie wenn der erste Strahl vom jungen Tage
Im Lande glänzt, benetzt von Gottes Blut,
Wenn Ebro hinfließt unter hoher Wage.
- Und Mittagshitz’ erwärmt des Ganges Flut,
So stand die Sonn’ itzt, drob der Tag entflohe,
Als uns ein Engel glänzt’ in heitrer Glut.
- Er sang am Felsrand, außerhalb der Lohe:
"Beglückt, die reines Herzens sind!" – und mehr
Als menschlich war sein Ton, der mächt’ge, frohe.
- Drauf: "Weiter nicht, ihr Heil’gen, bis vorher
Die Glut euch nagte! Tretet in die Flammen,
Und seid nicht taub dem Sang von dortenher!"
- Dies Wort ertönte jetzt, da wir zusammen
Uns ihm genaht, so schrecklich in mein Ohr,
Als hört’ ich mich zum schwersten Tod verdammen.
- Ich sank auf die gefaltnen Hände vor,
Ins Feuer schauend – wen ich brennen sehen,
Des Bild stieg jetzt vor meinem Geist empor.
- Die Führer nahten sich, mir beizustehen,
Und tröstend sprach zu mir Virgil: "Mein Sohn,
Du kannst zur Qual hier, nicht zum Tode gehen.
- Gedenk’, gedenke – konnt’ ich früher schon
Dich sicher auf Geryons Rücken führen
Wie jetzt, viel näher hier bei Gottes Thron?
- War’ auch die Glut noch loher anzuschüren,
Und stündest du auch tausend Jahre drin,
Doch dürfte sie dir nicht ein Haar berühren.
- Glaubst du, daß ich nicht treu der Wahrheit bin,
So nahe dich und halt, um selbst zu schauen,
Des Kleides Saum mit deinen Händen hin.
- Leg’ ab, mein Sohn, leg’ ab hier jedes Grauen,
Dorthin sei sicher jetzt dein Fuß gewandt!"
Doch säumt’ ich, wider besseres Vertrauen.
- Er, sehend, daß ich starr und stille stand,
Sprach, fast unwillig: "Wie, Sohn, noch verdrossen?
Von Beatricen trennt dich diese Wand!"
- Wie sterbend Ppyramus den Blick erschlossen,
Da’s: Thisbe! klang, gekehrt zum teuren Bild,
Als blut’ges Rot die Maulbeer’ übergossen;
- So kehrt’ ich, nicht mehr hart, nein, sanft und mild,
Zum Führer mich, sobald der Nam’ erschollen,
Der ewig frisch in meinem Herzen quillt.
- Drob schüttelt er das Haupt und sagte: "Sollen
Wir diesseits bleiben?" lächelnd, denn ich tat
Wie Knaben, die, besiegt vom Apfel, wollen.
- Drauf trat er vor mir in die Flamm’ und bat
Den Statius, uns folgend, nachzukommen,
Der uns vorher getrennt den langen Pfad.
- Ich folgt’ und hätt’, um Kühlung zu bekommen,
Mich in geschmolznes Glas gestürzt. So war
Im höchsten Übermaß die Flamm’ entglommen.
- Doch bot mir Trost mein süßer Vater dar,
Sprechend von ihr, und half mir weiter dringen,
Und sprach: "Ich seh’ im Geist ihr Augenpaar!"
- Wir hörten jenseits eine Stimme singen,
Und dieser folgten wir, ihr horchend, nach,
Indem wir, wo man stieg, der Flamm’ entgingen.
- "Gesegnete des Vaters, kommt!" so sprach
Die Stimm’ aus einem Licht, dort aufgegangen,
Bei dessen Anschau’n mir das Auge brach.
- "Die Sonne geht, der Abend kommt" – so klangen
Die Töne fort – "nicht weilt, beeilt den Lauf,
Bevor den Westen dunkles Grau umfangen."
- G’rad’ durch den Felsen ging der Weg hinauf,
Und, ostwärts steigend, hielt vor meinen Tritten
Ich die schon matten Sonnenstrahlen auf.
- Und als wir wenig Stufen aufgeschritten,
Bemerkten wir am Schatten, der verging,
Sol, uns im Rücken, sei ins Meer geglitten.
- Eh gleiches Grau den Horizont umfing
In allen seinen unermeßnen Teilen,
Eh Nacht um alles ihren Schleier hing,
- Da mußt’ auf einer Stufe jeder weilen,
Die uns zum Bett ward, denn die Zeit benahm
Die Macht mehr, als die Lust, empor zu eilen.
- Gleichwie die Ziegenherde, satt und zahm,
Im Schatten wiederkäut in stillem Brüten,
Die, hungrig, jähen Sprungs zur Höhe kam,
- Wenn nun im Mittagsbrand die Luft’ entglühten,
Indes der Hirt den Stab zur Stütze macht,
Und dorten steht, gestützt, um sie zu hüten;
- Und wie ein Hirt im freien Feld bei Nacht,
Damit kein wildes Tier der Herde schade,
Und sie zerstreu’, entlang der Hürde wacht;
- So jetzt wir drei auf engem Bergespfade,
Der Zieg’ ich gleich, den Hirten jenes Paar,
Umschlossen hier und dort vom Felsgestade.
- Ob wenig gleich zu sehn nach außen war,
Doch sah ich durch dies wenige die Sterne
Weit mehr, als sonst gewöhnlich, groß und klar.
- Indes ich staunt’ in unermeßne Ferne,
Befiel mich Schlaf, der öfters uns befällt,
Damit der Geist die Zukunft kennen lerne.
- Zur Stunde, glaub’ ich, da vom Sternenzelt
Cytherens erster Strahl die Höhe schmückte.
Wie immerdar, von Liebesglut erhellt,
- Sah ich im Traum, der mich mir selbst entrückte,
Ein schönes junges Weib, das hold bewegt,
Durch Wiesen ging und singend Blumen pflückte.
- "Lea bin ich, dies wisse, wer mich fragt,
Ich liebe, Kränze windend, hier zu wallen,
Und emsig wird die schöne Hand geregt.
- Ich will, geschmückt, im Spiegel mir gefallen.
Die Schwester Rahel liebt es, stets zu ruh’n,
Und läßt dem Spiegel keinen Blick entfallen.
- Und freut sie sich der schönen Augen nun,
So bin ich froh, mich mit den Händen schmückend,
Denn schau’n befriedigt sie, und mich das Tun."
- Des Tages Vorlicht, um so mehr entzückend,
Je mehr des Pilgrims Nachtquartier dem Ort
Der Heimat nah ist, scheuchte, höher ruckend,
- Die Finsternis von allen Seiten fort,
Mit ihr den Traum; drum eilt’ ich, aufzusteigen,
Und sah schon aufrecht beide Meister dort.
- "Die süße Frucht, die auf so vielen Zweigen
Voll Eifer sucht der Sterblichen Begier,
Bringt alle deine Wünsche heut zum Schweigen!"
- Mit dieser Rede sprach Virgil zu mir,
Und nie empfand bei Erdenherrlichkeiten
Ein Mensch noch solche Lust, als ich bei ihr.
- Hinauf! Mich trieb’s und trieb’s, hinauf zu schreiten!
So fühlt’ ich nun mit jedem Schritt zum Flug
Die Schwingen wachten und sich freier breiten.
- Und wie er mich empor die Stufen trug,
Stand bald ich auf der höchsten dort mit beiden,
Wo fest auf mich Virgil die Augen schlug.
- "Des zeitlichen und ew’gen Feuers Leiden
Sahst du, und bist, wo weiterhin nichts mehr
Ich durch mich selbst vermag zu unterscheiden.
- Durch Geist und Kunst geleitet’ ich dich her;
Zum Führer nimm fortan dein Gutbedünken;
Dein Pfad ist fürderhin nicht steil und schwer.
- Sieh dort die Sonn’ auf deine Stirne blinken,
Sieh, durch des Bodens Kraft und ohne Saat
Entkeimt, dir Gras, Gesträuch und Blumen winken.
- Bis sich dir froh ihr schönes Auge naht
Das mich zu dir einst rief mit bittern Zähren,
Ruh’ oder wandle hier auf heiterm Pfad.
- Nicht harre fürder meiner Wink’ und Lehren,
Frei, g’rad’, gesund ist, was du wollen wirst,
Und Fehler wär’ es, deiner Willkür wehren,
- Drum sei fortan dein Bischof und dein Fürst.
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