- Wenn etwas, was uns wohltut oder kränkt,
Uns eine Seelenkraft in Aufruhr brachte,
Und sich die Seel’ in diese ganz versenkt,
- Dann scheint’s, als ob sie keiner andern achte;
Und dies beweist genugsam gegen den,
Der uns belebt von mehrern Seelen dachte.
- Indem wir etwas hören oder sehn,
Was stark uns anzieht, ist die Zeit verschwunden,
Bevor wir’s glauben und es uns versehn.
- Denn anders wird die Kraft, die hört, empfunden,
Und anders unsrer Seele ganze Kraft;
Frei ist die erste, diese scheint gebunden.
- Davon erhielt ich jetzo Wissenschaft –
Indessen ich gehorcht und stillgeschwiegen,
Weil Staunen mir die Seele hingerafft,
- War fünfzig Grad’ die Sonn’ emporgestiegen,
Eh’ ich’s bemerkt – da ward ein Ruf mir kund
Von den gesamten Seelen: "Seht die Stiegen!"
- Die Öffnung, die mit einem Dorngebund,
Wenn sich die Traube bräunt, die Winzer schließen,
Ist weiter oft als hier der Felsenschlund,
- Durch welchen uns die Seelen klimmen hießen.
Er vor, ich folgend, stiegen wir allein
Den Felsweg, da die ändern uns verließen.
- Empor zu Bismantova und bergein
Bei Noli kann man auf den Füßen dringen,
Doch wer hier aufstrebt, muß beflügelt sein;
- Ich meine, mit der großen Sehnsucht Schwingen,
Die mich dem Führer nachzog mit Gewalt,
Der Licht mir gab und Hoffnung zum Gelingen.
- Wir stiegen innerhalb dem Felsenspalt,
Von ihm bedrängt, und fanden kaum mit Händen
Und Füßen unter uns am Boden Halt.
- Nachdem wir aus den rauhen. schroffen Wänden
Emporgelangt zum offenen Gestad,
Da fragt’ ich: "Meister, sprich, wohin uns wendend"
- Und er: "Mir nach, zur Höhe geht dein Pfad!
Rückwärts darf keiner deiner Schritte weichen,
Bis irgendwo ein kund’ger Führer naht!"
- Den Gipfel konnte kaum der Blick erreichen;
Die Seite ging, stolz, senkrecht fast, hinan,
Dem Hang der Pyramide zu vergleichen.
- Ich war bereits ermattet und begann:
"O süßer Vater, peinlich wird die Reife!
Schau’ her und sieh, daß ich nicht folgen kann!"
- "Bis dorthin schleppe dich!" So sprach der Weise
Und zeigt’ auf einen Vorsprung nahe dort,
Von dem es schien, daß er den Berg umkreise.
- Mir war ein Sporn des edlen Meisters Wort,
Mit aller Kraft die Reise fortzusetzen;
So kroch ich bis zum Bergesgürtel fort.
- Und dort verweilten wir, um uns zu setzen,
Ostwärts, nach dem erklommnen Pfad gewandt,
An dem sich gern der Wandrer Blicke letzen.
- Die Augen kehrt’ ich erst zum tiefen Strand,
Dann als ich sie zur Sonn’ emporgeschlagen,
Die uns zur Linken, Gluten sprühend, stand,
- Da sah Virgil, daß ich des Lichtes Wagen
Anstaunte, weil er zwischen Mitternacht
Und unserm Standort schien dahinzujagen,
- Und sprach: "Wenn jenem Spiegel ew’ger Macht
Castor und Pollux jetzt Begleiter wären,
Ihm, welcher auf- und abführt Licht und Pracht,
- So würd’ er, kreisend näher bei den Bären,
Wenn er vom alten Weg nicht abgeirrt,
Mit seiner Glut den Zodiak verklären.
- Bedenke nur, wenn dich dies Wort verwirrt,
Daß dieser Berg mit Zions heil’gen Höhen
Begrenzt von einem Horizonte wird,
- Doch beid’ auf andern Hemisphären stehen;
Die Bahn, die Phaethon, der Tor, durchreist,
Ist drum von hier zur linken Hand zu sehen,
- Indes sie dorten sich zur rechten weist –
So hoff ich denn, daß du zur klaren Kenntnis,
Wenn du wohl aufgemerkt, gefördert seist."
- "Gewiß, mir ward so klar noch kein Verständnis
Als hier," begann ich, "wo mir dein Beweis
Ersetzt den Mangel eigener Erkenntnis.
- Der ewigen Bewegung mittler Kreis,
Den man Äquator in der Kunst benannte,
Der fest bleibt zwischen Sonn’ und Wintereis,
- Zeigt, wie ich wohl aus deiner Red’ erkannte,
Sich nordwärts hier, wie ihn die Juden sahn,
Wenn sich ihr Antlitz gegen Süden wandte.
- Doch sprich, wie weit hinauf geht unsre Bahn?
Denn sieh, so hoch, wie kaum die Augen kommen,
Steigt ja des Berges Gipfel himmelan."
- Und er: "Wer ihn zu steigen unternommen,
trifft große Schwierigkeit an seinem Fuß,
Die kleiner wird, je mehr man aufgeklommen.
- Drum, wird dir erst die Mühe zum Genuß,
Erscheint dir’s dann so leicht, emporzusteigen,
Als ging’s im Kahn hinab den muntern Fluß,
- Dann wird sich bald das Ziel des Weges zeigen,
Dann wirst du sanft von deinen Mühen ruh’n.
Dies ist gewiß, vom andern will ich schweigen."
- Er sprach’s, und eine Stimm’ ertönte nun
Ganz nah bei uns: "Eh’ ihr so weit gegangen,
Wird euch vielleicht zu sitzen nötig tun."
- Wir sahn dorthin, woher die Wort’ erklangen,
Und linkshin lag ein Felsenblock uns nah,
Der bis dahin mir und auch ihm entgangen.
- Hin schritten wir und fanden Leute da
Verdeckt vom Felsen und in seinem Schatten,
In welchen ich ein Bild der Trägheit sah.
- Und einer, wie im gänzlichen Ermatten,
Saß dorten und umarmte seine Knie,
Die das gesunkne Haupt inmitten hatten.
- "Der ist gewiß der Faulheit Bruder! sieh,"
Begann ich, "sieh nur hin, mein süßer Leiter,
Denn sicher sahst du einen Trägern nie."
- Da kehrt’ er sich zu mir und dem Begleiter,
Hob, doch nur bis zum Schenkel, das Gesicht
Und sprach: "Bist du so stark, so geh nur weiter."
- Und da erkannt’ ich ihn und säumte nicht,
Noch atemlos vom Klettern, vorzustreben
Bis hin zu ihm, und sah ihn, als ich dicht
- Schon bei ihm stand, das Haupt kaum merkbar heben.
"Zur Linken fährt der Sonnenwagen fort,"
Begann er nun, "hast du wohl acht gegeben?"
- Ich mußte lächeln bei dem kurzen Wort
Und bei den faulen, langsamen Gebärden;
Worauf ich sprach: "Belaqua, dieser Ort
- Bezeugt mir deutlich, du wirst selig werden.
Doch sprich: harrst du des Führers sitzend hier?
Wie? oder treibst du’s hier noch wie auf Erden?"
- "Bruder," sprach er, "was hilft das Steigen mir?
Ich würde doch zur Qual nicht kommen sollen,
Denn Gottes Pförtner weist mich weg von ihr.
- Hier außen muß um mich der Himmel rollen,
So oft als er im Leben tat, da spät
Und erst im Tod mein Herz bereuen wollen,
- Wenn mir nicht früher beispringt das Gebet,
Das sich aus gläub’ger Brust emporgerungen.
Was hülf ein andres, da es Gott verschmäht?"
- Schon war vor mir Virgil hinaufgedrungen,
Und rief: "Jetzt komm, schon hat in lichter Pracht
Die Sonne sich zum Mittagskreis geschwungen,
- Und Mauritanien deckt der Fuß der Nacht."
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