Dante Alighieri
Die Göttliche Komödie
Dante Alighieri

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Dreißigster Gesang

  1. Zur Zeit, da Junos Herz in Zorn geraten
    Ob Semeles, in Zorn auf Thebens BIut,
    Wie sie so manches Mal gezeigt durch Taten,
  2. Ergriff den Athamas so tolle Wut,
    Daß er, als auf sein Weib der Blick gefallen,
    Das jeden Arm mit einem Sohn belud,
  3. Den wilden Ruf des Wahnsinns ließ erschallen:
    "Die Löwin samt den Jungen sei gefaßt!"
    Dann streckt er aus die mitleidlosen Krallen;
  4. Und wie er einen, den Learch, mit Hast
    Gepackt, geschwenkt und am Gestein zerschlagen,
    Ertränkte sie sich mit der zweiten Last.
  5. Und als das Glück, das alles kühn zu wagen,
    Die stolzen Troer trieb, sein Rad gewandt,
    So daß zusammen Reich und Fürst erlagen,
  6. Und Hekuba, gefangen und verbannt,
    Geopfert die Polyxena erblickte,
    Und sie ihr Mißgeschick an Thraziens Strand
  7. Zum Leichnam ihres Polydorus schickte,
    Da bellte sie, wahnsinnig, wie ein Hund,
    Weil Schmerz den Geist verkehrt’ und ganz bestrickte.
  8. Doch nichts in Theben ward noch Troja kund
    Von einer Wut, die Vieh und Menschen packte,
    Wie ich hier sah in diesem zehnten Schlund.
  9. Ein Paar von Geistern, totenfahle, nackte,
    Brach vor, so wie aus seinem Stall das Schwein,
    Indem’s auf alles mit den Hauern hackte.
  10. Der schlug sie in den Hals Capocchios ein
    Und schleppt’ ihn fort, und nicht gar sanft gerieben
    Ward ihm dabei der Bauch am harten Stein.
  11. Der Aretiner, der voll Angst geblieben,
    Sprach: "Schicchi ist’s, der tolle Poltergeist,
    Der solch ein wütend Spiel schon oft getrieben."
  12. "Wie du geschützt vor jenes Hauern seist,"
    Entgegnet’ ich, "so sprich, eh’ er entronnen,
    Wer dieser Schatten ist und wie er heißt."
  13. "Die Myrrha ist’s, die schnöden Trug ersonnen,"
    Erwidert’ er, "die mehr als sich gebührt
    Vor alter Zeit den Vater liebgewonnen,
  14. Und die mit ihm das Werk der Lust vollführt,
    Weil sie die fremde Form sich angedichtet;
    Wie jener, der Capocchio dort entführt,
  15. Weil Simon ihn durchs beste Roß verpflichtet,
    Als falscher Buoso sich ins Bett gelegt
    Und so für ihn ein Testament errichtet."
  16. Als nun die Tollen sich vorbeibewegt,
    Ließ ich mein Auge durch die Tiefe streichen
    Und sah, was sonst der Schlund an Sündern hegt.
  17. Der eine war der Laute zu vergleichen,
    Hätt’ ihm ein Schnitt die Gabel weggeschafft,
    Die jeder Mensch hat abwärts von den Weichen.
  18. Die Wassersucht, durch schlechtverkochten Saft
    Ein Glied abmagernd und das andre blähend,
    Die hart den Bauch macht, das Gesicht erschlafft,
  19. Hielt ihm die beiden Lippen offen stehend,
    Die nach dem Kinn, und die emporgekehrt,
    Und dem Schwindsücht’gen gleich, vor Durst vergehend.
  20. "Ihr, die ihr schmerzlos geht und unversehrt,
    Wie? weiß ich nicht, in diesen Schmerzenstalen,"
    Er sprach’s, "o schaut und merkt und seid belehrt
  21. Von Meister Adams schreckenvollen Qualen.
    Kein Tröpflein, ach, stillt hier des Durstes Glüh’n;
    Dort konnt’ ich, was ich nur gewünscht, bezahlen.
  22. Die muntern Bächlein, die vom Hügelgrün
    Des Casentin zum Arno niederrollen
    Und frisch und lind des Bettes Rand besprüh’n,
  23. Ach, daß sie mir sich ewig zeigen sollen,
    Und nicht umsonst – mehr, als die Wassersucht,
    Entflammt dies Bild den Durst des Jammervollen.
  24. Denn die Gerechtigkeit, die mich verflucht,
    Treibt durch den Ort, wo ich in Schuld verfallen,
    Zu größrer Eile meiner Seufzer Flucht.
  25. Dort liegt Romena, wo ich mit Metallen
    Geringern Werts verfälscht das gute Geld,
    Weshalb ich dort der Flamm’ anheimgefallen.
  26. Doch wäre Guido nur mir beigesellt,
    Und jeder, der zum Laster mich verführte,
    Ich gäbe drum den schönsten Quell der Welt.
  27. Zwar, wenn der Tolle Wahrheit sagt, so spürte
    Er jüngst den einen auf in dieser Nacht.
    Doch da dies übel meine Glieder schnürte,
  28. Was hilft es mir? Hätt’ ich nur so viel Macht,
    Um zollweis’ im Jahrhundert vorzuschreiten,
    Ich hätte schon mich auf den Weg gemacht,
  29. Ihn suchend durch dies Tal nach allen Seiten,
    Mag’s in der Rund’ auch sich elf Miglien zieh’n,
    Und minder nicht als eine halbe breiten.
  30. Bei diesen Krüppeln hier bin ich durch ihn,
    Denn er hat mich verführt, daß ich den Gulden
    An schlechterm Zusatz drei Karat verlieh’n."
  31. Und ich: "Was mochten jene zwei verschulden,
    Die, dampfend, wie im Frost die nasse Hand,
    Fest an dir liegend, ihre Straf erdulden?"
  32. Er sprach: "Sie liegen fest, wie ich sie fand,
    Als ich hierhergeschneit nach Minos’ Winken,
    Und werden ewiglich nicht umgewandt.
  33. Die ist das Weib des Potiphar; zur Linken
    Liegt Sinon mir, berühmt durch Trojas Roß.
    Im faulen Fieber liegen sie und stinken."
  34. Und dieser Letzte, den’s vielleicht verdroß,
    Daß Meister Adams Wort ihn so verhöhnte,
    Gab auf den harten Wanst ihm einen Stoß,
  35. Daß dieser gleich der besten Trommel tönte.
    Doch in das Angesicht des andern warf
    Herr Adam die gleich harte Faust und stöhnte:
  36. "Ob ich mich gleich nicht fortbewegen darf,
    Doch ist mein Arm noch, wie du eben spürtest,
    Noch frei und flink zu solcherlei Bedarf."
  37. "Als du zum Feuer gingst," rief Sinon, "rührtest
    Du nicht den Arm schnell, wie er eben war,
    Doch schneller, da du einst den Stempel führtest."
  38. Der Wassersücht’ge: "Darin sprichst du wahr,
    Doch stelltest du in Troja kein Exempel
    Von einem so wahrhaft’gen Zeugnis dar."
  39. "Fälscht’ ich das Wort, so fälschtest du den Stempel.
    Hier bin ich doch für einen Fehler nur,
    Du aber dientest stets in Satans Tempel."
  40. So Sinon. "Denk’ ans Roß, du Schelm!" so fuhr
    Ihn jener an mit dem geschwollnen Bauche,
    "Qual sei dir, daß es alle Welt erfuhr."
  41. "Qual sei dir", rief der Grieche drauf, "die Jauche,
    Und blähe stets zum Bollwerk deinen Wanst,
    Der Durst, der deine Zung’ in Flammen tauche."
  42. Der Münzer: "Der du stets auf Lügen sannst,
    Dein Maul zerreiße dir für solch Erfrechen!
    Wenn du mich dürstend. schwellend sehen kannst,
  43. So möge Durst dich quälen, Kopfweh stechen.
    Sprach’ einer kurz: Sauf aus den ganzen Bach!
    Du würdest dessen wohl dich nicht entbrechen."
  44. Ich horchte stumm, was der und jener sprach,
    Da rief Virgil: "Nun, wirst du endlich kommen?
    Zu lange sah ich schon der Neugier nach."
  45. Als ich des Meisters Wort voll Zorn vernommen,
    Wandt’ ich voll Scham zu ihm das Angesicht
    Und fühle jetzt noch mich von Scham entglommen.
  46. Wie man im schreckenvollen Traumgesicht
    Zu wünschen pflegt, daß man nur träumen möge,
    Und das, was ist, ersehnt, als wär’ es nicht;
  47. So bangt’ ich, daß mir Scham das Wort entzöge;
    Entschuld’gen wollt’ ich mich – Entschuld’gung kam,
    Indem ich glaubte, daß ich’s nicht vermöge.
  48. Da sprach mein guter Meister: "Mindre Scham
    Wäscht größern Fehler ab, als du begangen,
    Darum entlaste dich von jedem Gram;
  49. Doch wenn wir je zu solchem Streit gelangen,
    So denke stets, daß ich dir nahe bin,
    Und bleibe nicht daran voll Neugier hangen;
  50. Denn drauf zu horchen, zeigt gemeinen Sinn."

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