- Dieselbe Zunge, die mich erst verletzte
Und beide Wangen überzog mit Rot,
War’s, die mich dann mit Arzeneien letzte.
- So, hör’ ich, hat der Speer Achills gedroht,
Und seines Vaters, der mit einem Zücken
Verletzt’ und mit dem andern Hilfe bot.
- Wir kehrten nun dem Jammertal den Rücken,
Den Damm durchschneidend, der es rings umlag,
Um, schweigend, mehr nach innen vorzurücken.
- Dort war’s nicht völlig Nacht, nicht völlig Tag,
Daher die Blicke wenig vorwärts gingen;
Doch tönt’ ein Horn – der stärkste Donner mag
- Bei solchem Ton kaum hörbar noch erklingen –
Drum sucht’ ich nur, entgegen dem Gebraus,
Mit meinem Blick zu seinem Quell zu dringen.
- Nicht tönte nach dem unglücksel’gen Strauß,
Der Karls des Großen heil’gen Plan vernichtet,
Des Grafen Roland Horn mit solchem Graus.
- Wie ich mein Auge nun dorthin gerichtet,
Glaubt’ ich, viel hohe Türme zu ersehn,
Und sprach: "Ist eine Feste dort errichtet?"
- Mein Meister drauf: "Weil du zu weit zu späh’n
Versuchst in diesen nachterfüllten Räumen,
Mußt du dich selber öfters hintergehn.
- Dort siehst du, daß, wie oft, zu eitlen Träumen
Aus der Entfernung das Geschaute schwoll,
Drum schreite vorwärts, ohne lang zu säumen."
- Dann faßt’ er bei der Hand mich liebevoll
Und sprach: "Ich will dir die Bewandtnis sagen,
Weil’s nah dann minder seltsam scheinen soll.
- Ob’s Türme wären, wolltest du mich fragen?
Nein, Riesen sind’s, die rings am Brunnenrand
Vom Nabel aufwärts in die Lüfte ragen."
- Wie wenn der Nebel fortzieht, der das Land
In Dunst gehüllt, allmählich unsre Blicke
Das klar erkennen, was er erst umwand;
- So, bohrend durch die Luft, die trübe, dicke,
Und mehr und mehr genaht dem tiefen Schlund,
Scheucht’ ich den Wahn, doch kam die Furcht zurücke
- Wie um Montereggiones Zinnenrund
Rings eine Krone hohe Türme machen,
So türmten sich, mit halbem Leib im Grund,
- Mit halbem Leib rings um des Brunnens Rachen
Giganten, Kämpfer jenes großen Streits,
Sie, welchen nach die Donner Jovis krachen.
- Von einem sah ich das Gesicht bereits
Und Schultern, Brust und großen Teil vom Bauche,
Herabgestreckt die Arme beiderseits.
- Wenn die Natur nicht mehr nach altem Brauche
Dergleichen Wesen schafft, so tut sie recht,
Damit nicht Mars sie mehr als Schergen brauche.
- Schafft sie den Walfisch auch und das Geschlecht
Der Elefanten noch, doch sicher findet, .
Wer reiflich urteilt, sie hierin gerecht,
- Weil, wenn die Überlegung sich verbindet
Mit bösem Willen und mit großer Macht,
Jedwede Schutzwehr dann dem Volke schwindet.
- Das Antlitz schien mir lang und ungeschlacht,
Dem Turmknopf von Sankt Peter zu vergleichen,
Und jedes Glied nach solchem Maß gemacht.
- Es mochten wohl vom Strand, der von den Weichen
Ihn abwärts barg, der oberen Gestalt
Drei Friesen ausgestreckt nicht dahin reichen,
- Wo seine Stirn das borst’ge Haar umwallt,
Denn aufwärts maß er dreißig große Palmen,
Bis zu dem Ort, wo man den Mantel schnallt.
- Raphegi mai amech itzabi Almen!
So tönt’ es aus den dicken Lippen vor,
Für die sich nicht geziemten sanftre Psalmen.
- Mein Führer rief: "Nimm doch dein Horn, du Tor,
Und magst du Zorn und andern Trieb empfinden,
So sprudl’ ihn flugs durch seinen Bauch hervor.
- Du kannst an deinem Hals den Riemen finden,
Verwirrter Geist, der’s angebunden hält.
Sieh doch ihn dort die dicke Brust umwinden!"
- Darauf zu mir: "Sich selbst verklagt der Held;
Der Nimrod ist’s, durch dessen toll Vergehen
Man nicht mehr eine Sprach’ übt in der Welt.
- Mit ihm ist nicht zu sprechen. Mag er stehen!
Kein Mensch versteht von seiner Sprach’ ein Wort,
Und er kann keines andern Wort verstehen."
- Wir gingen nun zur Linken weiter fort,
Und fanden schon in Bogenschusses Weite
Den zweiten größern, wilden Riesen dort.
- Nicht weiß ich, wem’s gelang, daß er im Streite
Ihn fing und band, doch vorn geschnürt erschien
Sein linker Arm und hinter ihm der zweite;
- Denn eine Kett’ umwand vom Nacken ihn,
Um, was von seinem Leib nach oben ragte,
Nach unten hin fünf Male zu umzieh’n.
- Da sprach mein Meister: "Mit dem Donnrer wagte
Sein kühner Stolz des großen Kampfes Los.
Hier aber sieh den Preis, den er erjagte.
- Ephialtes ist’s. Sein Tun war kühn und groß
Im Riesenkampfe, zu der Götter Schrecken;
Nun ist sein droh’nder Arm bewegungslos."
- Und ich zu ihm: "Den ungeheuern Recken,
Den Briareus, wenn dies geschehen kann,
Möcht’ ich wohl gern in diesem Tal entdecken."
- Mein Führer drauf: "Du siehst hier nebenan
Antäus stehn. Er spricht, ist ungebunden
Und setzt uns nieder in den tiefsten Bann.
- Der, den du suchst, wird weiterhin gefunden,
Gleich diesem hier, nur schrecklicher zu schau’n,
Allein wie er mit Ketten fest umwunden."
- Hier schüttelt’ Ephialtes sich, und traun!
Kein Erdenstoß, von dem die Türme schwanken,
War heftiger, erregte tiefres Grau’n.
- Ich glaubte schon dem Tode zuzuwanken,
Und sah ich nicht, wie ihn die Kett’ umschloß,
So genügten, mich zu töten, die Gedanken.
- Wir gingen weiter, ich und mein Genoß,
Und sahn Antäus, der dem tiefen Bronnen,
Zehn Ellen bis zum Haupte hoch, entsproß.
- "Der du im Tal, das ew’gen Ruhm gewonnen,
Weil Hannibal in ihm, der kühne Feind,
Mit seiner Schar vor Scipios Mut entronnen,
- Einst tausend Löwen fingst, wenn du, vereint
Mit deinen Brüdern kühn den Arm geschwungen
Im hohen Krieg, so hätten, wie man meint,
- Die Erdensöhne doch den Sieg errungen.
Jetzt setz’ uns dort hinab, wo, fern dem Licht,
Die starre Kälte den Kozyt bezwungen.
- Zu Tiphöus oder Tityus schick’ uns nicht.
Das, was man hier ersehnt, kann dieser geben,
Drum wende nicht so mürrisch dein Gesicht.
- Er kann auf Erden deinen Ruf erheben.
Er lebt und hofft, wenn ihn nicht vor der Zeit
Die Gnade zu sich ruft, noch lang zu leben."
- Er sprach’s, und jener, schnell zum Griff bereit,
Streckt’ aus die Hand, um auf ihn loszufahren,
Die Hand, die Herkul fühlt’ im großen Streit.
- Virgil, kaum konnt’ er sich gepackt gewahren,
Rief: "Komm hierher, wo dich mein Arm umstrickt!"
Drauf macht’ er’s, daß wir zwei ein Bündel waren.
- Wie Carisenda, unterm Hang erblickt,
Sich vorzubeugen scheint und selbst zu regen,
Wenn Wolken ihr den Wind entgegenschickt,
- So schien Antäus jetzt sich zu bewegen,
Als er sich niederbog, und großen Hang
Empfand ich, fortzugehn auf andern Wegen.
- Doch leicht zum Grund, der Luzifern verschlang
Und Judas, setzt’ er nieder unsre Last,
Und, so geneigt, verweilt’ er dort nicht lang
- Und schnellt’ empor, als wie im Schiff der Mast.
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