- Schon hatt’ ich, auf der Spur des Führers steigend,
Mich ganz von jenen Seelen abgewandt,
Als ein’, auf mich mit ihrem Finger zeigend,
- Mir nachrief: "Seht den untern linker Hand
Die Sonne teilen und den Grund beschatten
Und tun, als lebt’ er noch in jenem Land."
- Sobald mein Ohr erreicht die Töne hatten,
Kehrt’ ich mich ihnen zu, und jene sahn
Erstaunt nur mich, nur mich und meinen Schatten.
- Da sprach Virgil: "Was zieht dich also an,
Daß du den Gang zum Gipfel aufgeschoben"
Und jenes Flüstern, was hat dir’s getan?
- Was man auch spreche, folge mir nach oben!
Steh wie ein fester Turm, des stolzes Haupt
Nie wankend ragt, wenn auch die Winde toben.
- Das Ziel entweicht, dem man sich nah geglaubt,
Wenn sich Gedanken und Gedanken jagen
Und einer stets die Kraft dem andern raubt."
- "Ich komme schon!" Was könnt’ ich anders sagen,
Da mich mein Fehler zum Erröten zwang,
Das oft mir schon Verzeihung eingetragen?
- Indessen sahn wir quer am Bergeshang
Nah vor uns eine Schar von Seelen kommen,
Die Vers für Vers ihr Miserere sang.
- Wie sie an meinem Leibe wahrgenommen,
Daß er den Strahlen undurchdringlich sei,
Da ward ihr Sang zum Oh! lang und beklommen.
- Und, gleich Gesandten, kamen ihrer zwei,
Uns beide zu befragen, wer wir wären,
In vollem Laufe bis zu uns herbei.
- Da rief Virgil: "Ihr könnt zurückekehren.
Sein Leib ist wirklich ganz von Fleisch und Bein,
Und solches mögt ihr jenen dort erklären.
- Und wenn sie, wie ich glaube, dort allein,
Um seinen Schatten anzusehn, verweilen,
So wissen sie genug, um froh zu sein."
- Und schnell hingleitend, wie, gleich Feuerpfeilen,
Entflammte Dünste, wenn die Nacht beginnt,
Durchs heitere Gewölb des Himmels eilen;
- So kehrten sie empor, um dann geschwind
Sich mit den andern nach uns umzudrehen,
Gleich einer Schar, die ohne Zaum entrinnt.
- "Sieh, viele kommen jetzt, dich anzuflehen,
In dichtem Drang," so sprach mein Meister drauf,
"Doch geh nur immer fort und horch im Gehen."
- "O du, der du zum Heil den Berg herauf
Die Glieder trägst, die immer dich umfingen,"
So riefen sie, "hemm’ etwas deinen Lauf.
- Sieh, um zur Welt von uns Bericht zu bringen,
Uns an – erkennst du Antlitz und Gestalt?
Was weilst du nicht? Was eilst du, vorzudringen?
- Getötet sind wir alle durch Gewalt.
Der Sünd’ uns bis zur letzten Stunde weihend,
Allein im Tod von Himmelsglanz umwallt,
- Verstarben wir, bereuend und verzeihend,
Und fühlten Gottes Frieden und das Licht,
Nach seinem Anschau’n Sehnsucht uns verleihend."
- Und ich: "Zwar kenn’ ich keinen von Gesicht,
Doch fordert nur, ihr, die ihr wohl geboren,
Und das, was ich vermag, verweigr’ ich nicht.
- Bei jenem Frieden sei es euch beschworen,
Den ich, fortklimmend auf des Führers Spur,
Von Welt zu Welt, zum Ziele mir erkoren."
- Darauf begann der eine: "Hindert nur
Nicht Ohnmacht deinen Willen, so vertrauen
Wir dem, was du versprachst, auch ohne Schwur.
- Und solltest du, ein Lebender, die Auen
Der Mark Ankona jemals wiedersehn
So will ich fest auf deine Güte bauen.
- Laß die von Fano gläubig für mich fleh’n,
Daß mir gestatten himmlische Gewalten,
Zur Reinigung von schwerer Schuld zu gehn.
- Von dort war ich – allein die tiefen Spalten,
Woraus das Blut, in dem ich lebte, floß,
Hab’ ich in Paduas Bezirk erhalten,
- Des Schoß mich, den Vertrauenden, umschloß.
Zum Mord hatt’ Este den Befehl gegeben,
Der mehr der Gall’, als Recht, auf mich ergoß.
- Den Mordstahl sah ich bei Oriac sich heben,
Doch wenn ich Mira mir zur Flucht erkor,
So würd’ ich dort noch, wo man atmet, leben.
- Ich lief zum Sumpf, und dort, in Schlamm und Rohr,
Verstrickt’ ich mich und fiel und sah die Erde
Rings um mich her gemacht zum blut’gen Moor."
- Ein andrer: "Wie dein Wunsch befriedigt werde,
Des Fittich hin zum Bergesgipfel fleugt,
So kürz’ auch mir mitleidig die Beschwerde.
- In Montefeltro hat mich Guid’ erzeugt;
Ach wenn Johannen noch mein Schicksal rührte,
Nicht ging’ ich mehr mit diesem hier gebeugt."
- "Welche Gewalttat, welch Verhängnis führte,"
So sprach ich, "dich so weit vom Campaldin,
Daß niemand noch bis jetzt dein Grab erspürte."
- "Oh," sprach er drauf, "am Fuß des Casentin
Strömt vor der Archian, ein Fluß, entsprungen
Beim Kloster oberhalb im Apennin.
- Bis dorthin, wo sein Namenslaut verklungen,
Floh ich, durchbohrt den Hals, zu Fuße fort;
Und blutleer schon, von Todesfrost durchdrungen,
- Verlor ich dorten Augenlicht und Wort,
Um in Marias Namen wohl zu enden,
Und fiel und ließ die leere Hülle dort.
- Da fühlt’ ich mich in eines Engels Händen,
Doch schreiend fuhr ein Teufel auch herzu:
"Wie, du vom Himmel, willst mir den entwenden?
- Wahr ist’s, was ewig ist, erbeutest du
Nur durch ein Tränlein, das ihn mir entzogen,
Doch gönn’ ich nun dem andern keine Ruh’."
- Du weißt, wenn feuchten Dunst emporgezogen
Die Sonne hat, so stürzt er, wenn ihn dann
Die Kälte faßt, zurück in Regenwogen.
- Zum Willen nun, der stets nur Böses sann,
Fügt’ er Verstand, und Rauch und Sturm erregte
Die Kraft in ihm, die sie erregen kann.
- Als drauf der Tag erloschen war, belegte
Er Pratomagnos Tal mit schwarzem Duft,
Der vom Gebirg sich drohend herbewegte.
- Zu Fluten wurde nun die schwangre Luft,
Zum Strombett rann, was von den Regengüssen
Der Grund nicht trank, hervor aus Tal und Kluft.
- Der Archian, gleich andern großen Flüssen,
Ergoß zum Königsstrom den Sturmeslauf,
Dem Fels und Baum zertrümmert weichen müssen.
- Wie nun den starren Leib, nicht weit herauf
Von seiner Mündung, jene Flut gefunden,
Da löste sie das Kreuz am Busen auf,
- Das ich gemacht, da Schmerz mich überwunden,
Und wirbelte zum Strom die träge Last.
Dort liegt sie nun im Grund, von Schlamm umwunden."
- Als drauf der dritte Geist das Wort gefaßt,
Sprach er: "Wenn du, zur Welt zurückgekommen,
Erst ausgeruht vom langen Wege hast,
- So laß dein Hiersein auch der Pia frommen.
Siena gebar, Maremma tilgte mich,
Und er, von dem ich einst den Ring bekommen,
- Der Treue Pfand, er weiß, wie ich erblich."
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