- Mein hoher Lehrer hatte seiner Lehre
Ein Ziel gesetzt und blickt’ aufmerksam mir
Ins Angesicht, ob ich zufrieden wäre.
- Ich, noch gereizt von frischem Durst nach ihr,
Schwieg äußerlich, doch sprach bei mir im stillen:
"Beschwert ihn wohl zu viele Wißbegier?"
- Doch der wahrhafte Vater, der den Willen,
Den schüchternen, bemerkt, gab sprechend jetzt
Mir neuen Mut, des Sprechens Lust zu stillen.
- Drum ich: "Dein Licht, mein teurer Meister, letzt
Mein Auge so, daß es an allen Dingen,
Die du beschreibst, klar schauend sich ergötzt.
- Doch, süßer Vater, laß es tiefer dringen.
Was ist doch jene Lieb’ – ich bitte, sprich! –
Aus welcher gut’ und schlechte Werk’ entspringen?"
- "Scharf richte deines Geistes Aug’ auf mich,"
Versetzt’ er, "und den Irrtum jener Blinden,
Die sich zu Führern machen, lehr’ ich dich.
- Der Geist, geschaffen, Liebe zu empfinden,
Bewegt sich schnell zu allem, was gefällt,
Wenn Reize sich, ihn zu erwecken, finden.
- Was Wirklichkeit euch vor die Augen stellt,
paßt der Begriff, um es dem Geist zu zeigen,
Der dann dorthin nur sich gerichtet hält.
- Und diese Richtung, dies Entgegenneigen,
Lieb’ ist es, ist Natur, die dem, was schön
Und reizend ist, sich hingibt als ihm eigen.
- Dann, wie die Flamm’ emporglüht zu den Höh’n
Durch ihre Form bestimmt, dorthin zu streben,
Wo ihre Stoffe minder schnell vergeh’n,
- So scheint der Geist der Sehnsucht nur zu leben,
Der geistigen Bewegung, die nicht ruht,
Bis, was er liebt, sich zum Genuß ergeben.
- Drum sieh, wie not die Wahrheit jenen tut,
Die, lehren wollend, noch den Irrwahn hegen,
Jedwede Lieb’ an sich sei recht und gut.
- Gut ist vielleicht ihr Grundstoff allerwegen;
Doch sei das Wachs auch echt und gut, man preist
Das Bild, drin abgedrückt, noch nicht deswegen."
- Drauf ich: "Dein Wort und mein folgsamer Geist,
Sie lassen mich der Liebe Wesen sehen,
Obgleich der Geist noch zweifelschwanger kreist.
- Denn, muß durch äußern Reiz die Lieb’ entstehen,
Lenkt die Natur die Seele, wie ist’s dann
Verdienstlich, ob wir krumm, ob g’rade gehen?" –
- "Hör’ itzt, wie weit Vernunft hier schauen kann,"
So er, "dort stellt Beatrix dich zufrieden,
Denn jenseits fängt das Werk des Glaubens an.
- Die wesentliche Form – sie ist geschieden
Vom Stoff und ihm vereint, und eine Kraft,
Die ihr nur eigen ist, ist ihr beschieden.
- Sie kann, nicht fühlbar, bis sie wirkt und schafft,
Durch Wirkung nur sich zeigen und bewähren,
Wie durch das Laub des Baumes Lebenssaft.
- Daher vermag der Mensch nicht, zu erklären,
Woher zuerst in ihm Begriff entstehn,
Woher das erste Sehnen und Begehren.
- Denn wie den Trieb, dem Honig nachzugehn,
Die Bien’ erhielt, so habt ihr sie erhalten,
Die nicht zu loben ist und nicht zu schmäh’n.
- Doch fühlt ihr auch die Kraft, die Rat gibt, walten,
Und sie, der andern Haupt und Herrscherin,
Soll Wach’ an eures Beifalls Schwelle halten.
- Sie, des Verdienstes und der Schuld Beginn,
Nimmt, wie euch gut’ und schlechte Lieb’ entzündet,
Sie auf und lenkt zu eurer Wahl euch hin.
- Drum haben jene, so die Sach’ ergründet,
Die angeborne Freiheit wohl bedacht,
Und euch die Lehren der Moral verkündet.
- Mag wirklich nun im Innern, angefacht
Von der Notwendigkeit, die Lieb’ entbrennen,
So habt ihr doch auch sie zu zügeln Macht.
- Die edle Kraft wird Beatrice nennen,
Wenn sie dir kund vom freien Willen tut,
Drum merk’ es, um des Wortes Sinn zu kennen."
- Der Mond, der fast bis Mitternacht geruht,
Kam itzt hervor, der Sterne Zahl beschränkend,
Gleich einem Kessel anzusehn von Glut,
- Den Pfad dem Himmelslauf entgegenlenkend,
Den Pfad, den Sol, von Rom gesehn, durchglühe
Inmitten Sard’ und Cors’ ins Meer sich senkend.
- Der edle Geist, ob des im Ruhme blüht
Pietola vor Mantuas andern Orten,
War jetzt nicht mehr durch meine Last bemüht.
- Ich, der die Zweifel all in seinen Worten
Gelöset sah und alles hell und klar,
Stand wie ein Schläfriger hinbrütend dorten.
- Doch plötzlich naht’ im Kreislauf eine Schar
Und scheuchte diese Schläfrigkeit des Matten,
Da sie bereits in unserm Rücken war.
- Und wie Böotiens Flüss’ in nächt’gen Schatten
Ein wild Gedräng’ an ihrem Strande sah’n,
Wenn die Thebaner Bacchus nötig hatten,
- So sah ich jen’ im Kreise trabend nah’n,
Und alle trieb – so wollte mir’s erscheinen –
Gerechte Lieb’ und wackrer Eifer an.
- Und schon bei uns, denn zögern sah ich keinen,
War angelangt der ganze große Hauf,
Da riefen die zwei Vordersten mit Weinen:
- "Rasch zum Gebirge ging Marions Lauf;
Und Cäsar, um Ilerda zu gewinnen,
Umschloß Marseill und brach nach Spanien auf."
- "Rasch, laßt aus Trägheit nicht die Zeit entrinnen,"
Schrien alle nun, "es macht der rege Fleiß
Zum Guten neu der Gnade Lenz beginnen." –
- "O ihr, in denen Eifer scharf und heiß
Das, was ihr dort aus Lauheit nicht vollbrachtet,
Was ihr versäumt, wohl zu ersetzen weiß,
- Der, welcher lebt – nicht sag’ ich Lügen – trachtet
Emporzusteigen, eh’ der Morgen wach,
Drum sagt den Weg, den ihr den nächsten achtet."
- Mein Führer sagte dies, und einer sprach:
"Wollt ihr zum Orte, wo der Fels, gespalten
Zur Schlucht, euch durchzieh’n läßt. So folgt uns nach.
- Uns ist es nicht erlaubt, uns aufzuhalten,
Denn Eile treibt uns fort, drum mögt ihr nicht,
Was uns das Recht gebeut, für Grobheit halten.
- Ich übt’ in Zenos Haus des Abtes Pflicht,
Unter des guten Rotbart Herrscherstabe,
Von welchem Mailand noch mit Schmerzen spricht.
- Und einer, schon mit einem Fuß im Grabe,
Er weint, gedenkend jenes Klosters, bald,
Daß er gehabt dort Macht und Ansehn habe,
- Weil er den Sohn, verpfuscht an der Gestalt,
Noch mehr verpfuscht an Geiste, schlechtgeboren,
Anstatt des wahren Hirten dort bestallt."
- Ob er noch sprach? Ob schwieg? – vor meinen Ohren
Verklang, sich schnell entfernend, jener Ton.
Doch merkt’ ich dies und hab’ es nicht verloren.
- Und er, in jeder Not mein Helfer schon,
Sprach: "Sieh dorthin, woher die beiden kommen,
Die Trägheit scheuchend und ihr selbst entfloh’n."
- Sie riefen jenen nach: "Erst umgekommen
War jenes Volk, dem sich das Meer erschloß,
Bevor der Jordan seine Herr’n bekommen.
- Und jenes, das die edle Müh’ verdroß,
Bis an sein Ziel Äneen zu begleiten,
Es ward seitdem ein ruhmlos schlechter Troß."
- Die Schatten schwanden kaum in fernen Weiten,
Als ein Gedank’ aufs neu’ in mir entstand,
Und dieser erste zeigte bald den zweiten,
- Dem sich verwirrt der dritte, viert’ entwand,
Bis mir zuletzt die Augenlider sanken;
Und wie verschmelzend Bild um Bild verschwand,
- Da ward zum Traum das Wogen der Gedanken.
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