Dante
Die göttliche Komödie
Dante

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigster Gesang

        1


4


7


10


13


16


19


22


25


28


31


34


37


40


43


46


49


52


55


58


61


64


67


70


73


76


79


82


85


88


91


94


97


100


103


106


109


112


115


118


121


124


127


130


133


136


139


142


145


148


151
    Im jungen Jahr, wenn ihrer Locken Pracht
    Schon unterm Wassermann die Sonne spreitet
    Und schon der Gleiche nahen Tag und Nacht,
Wenn übers Feld der Reif das Abbild breitet
    Des weißen Bruders – doch von Dauer nicht
    Ist, was sein Pinsel über Nacht bereitet:
Dann geht, weils ihm an Vorrat schon gebricht,
    Der Landmann aus und schaut – und schlägt die Glieder,
    Sieht er so weiß die Flur im Morgenlicht;
Er kommt nach Haus, geht jammernd auf und nieder,
    Wie wer nicht weiß, was tun, der Unglücksmann,
    Geht nochmals hin, und Hoffnung kehrt ihm wieder;
Denn anders sieht nach kurzer Frist sich an
    Der Erden Antlitz, und er nimmt den Stecken
    Und treibt die Lämmer auf die Weide dann  . . .
So machte mich der Meister erst erschrecken,
    Da so umwölkt ich seine Stirne sah;
    So rasch gabs Balsam, das Gebrest zu decken.
Denn als den Trümmern wir der Brücke nah,
    Hat holden Blicks er sich zu mir gewendet,
    Wie einst, am Fuß des Hügels, mir geschah;
Dann breitet' er, der spähend ausgesendet
    Den Blick und Rates mit sich pflog in Eile,
    Die Arme, die mir Hilfe gleich gespendet.
Wie wer ans Werk geht und erwägt derweile,
    Als schaut' er allezeit den Weg voran,
    So hob er mich auf eines Felsens Steile 108
Und spähte schon zum nächsten Block hinan:
    »Da«, sagt' er, »findest Halt du weiter oben,
    Doch erst erprob es, obs dich tragen kann!«
Kein Weg für die in Kutten war das droben,
    Da wir mit Müh von Griff zu Griff geklommen,
    Er, der so leicht, ich schier hinaufgehoben!
Ja, war nicht minder hoch zu unsrem Frommen
    Als jener drüben unser Hang, wer weiß,
    Ob er – ich wäre nie zum Ziel gekommen.
Doch weil in Übelbuchtens ganzem Kreis
    Zum tiefsten Schacht hinabsinkt das Gelände
    Und drum in all den Klüften gleicherweis
Hier ansteigt, jenseits abfällt das Gewände,
    So hatten schließlich Fuß wir doch gefaßt
    Am Rand, wo jener Trümmerhauf zu Ende.
Der Atem war mir aus der Lunge fast
    Hinweggesaugt, und weiter konnt ich nimmer,
    So setzt' ich mich, kaum angelangt, zur Rast.
»Tu ab die Trägheit!« sprach Virgil. »Wer immer
    In Federn, unter Pfühlen säumt, erfuhr
    Vom Licht des Ruhmes nie den holden Schimmer;
Und ohne Ruhm läßt seines Lebens Spur
    Der Mensch auf Erden grade wie im Meere
    Der Wellenschaum, wie Rauch in Lüften nur.
Steh auf denn, setz der Mattheit dich zur Wehre
    Mit festem Mut, der siegt in jeder Schlacht,
    Macht ihr euch frei von eures Leibes Schwere.
Was hilfts, daß du entstiegest diesem Schacht?
    Weit längre Stiegen gibts noch zu ersteigen.
    Verstehst du mich? So nimm mein Wort in acht.«
Da stand ich, recht bei Odem mich zu zeigen,
    Mehr, als ichs war, vom Boden auf und bat:
    »Geh nur! Schon fühl ich Kraft und Mut mir eigen.«
Fort ging es übers Klippenjoch den Pfad,
    Der eng und unhold war, getürmt von Steinen,
    Und steil, wie keinen noch mein Fuß betrat.
Im Gehen redet' ich, nicht matt zu scheinen,
    Und eine Stimme hat sich da erhoben
    Im nächsten Schacht, ein wortlos wirres Greinen. 109
Weiß nicht, was sie gesprochen, ob ich droben
    Am Joche gleich des Brückenbogens stand,
    Doch schien, der sprach, vor Ingrimm so zu toben.
Ich bog mich nieder, doch vor Dunkel fand
    Mein lebend Auge nicht hinab zum Grunde,
    Drum bat ich: »Meister, laß von unsrem Rand,
Vom Grat hinab uns gehn zum nächsten Runde;
    Ob hier ich lausche, kann ich nichts verstehn,
    Ich schau und sehe nichts in diesem Schlunde.«
»Bescheid geb ich dir nicht denn im Geschehn«,
    Entgegnet' er; »so ziemliches Verlangen
    Muß in Erfüllung ohne Worte gehn.«
So stiegen wir hinab der Brücke Wangen,
    Wo sie am Bord des achten Dammes hängt:
    Da konnte ganz die Kluft mein Blick umfangen.
Und in der Tiefe, schrecklich dicht gedrängt,
    Sah ich in Haufen Schlangen aller Lande,
    Daß heute, denk ich dran, das Blut mirs sengt.
Nicht rühme Libyen sich mit seinem Sande;
    Zeugt Nattern der und Ringler, Otternbrut,
    Pfeilschlangen, Vipern – nimmer, samt dem Strande,
Daran sich bricht des Roten Meeres Flut,
    Samt ganz Äthiopien heckte solche Haufen
    So giftigen Gewürmes seine Glut!
Durch solch Gezücht des Grauens sah ich laufen
    Angstvoll die Nackten, die kein Schlupfloch fanden
    Noch Wundersteines Schutz, sich zu verschnaufen.
Von Schlangen waren sie verstrickt, die banden
    Das Kreuz durchbohrend, rücklings Hand an Hand,
    Da Kopf und Schweif sich vorn zum Knoten wanden.
Und sieh, auf einen, dicht an unsrem Rand,
    Fuhr eine Natter los, hat ihn durchstochen
    Da, wo der Hals ihm auf den Schultern stand;
Und eh das Amen einer noch gesprochen,
    Ging er in Flammen auf und brannte licht
    Und sank in Asche gleich mit Haut und Knochen.
Kaum lag er so am Boden, so zunicht,
    Da ballte sich von selbst der Staub, und wieder
    Stand selbst er da vor unsrem Angesicht. 111
So melden uns der großen Seher Lieder,
    Daß Phönix stirbt und wieder wird geboren,
    Trägt er ein Halbjahrtausend sein Gefieder:
Von Korn und Kraut die Kost hat er verschworen,
    Hat Weihrauch sich zur Speis und Spezerei
    Und Nard und Myrrhn als letztes Nest erkoren.
Wie wer da fiel und weiß nicht, was es sei,
    Was plötzlich ihn zu Boden konnte strecken,
    Ob Starrkrampf, der uns lähmt, ob Hexerei,
Wie der, erstanden, um sich starrt, vom Schrecken
    Noch ganz verstört, der so ihn übermannt,
    Und stöhnt und staunt, das Wunder zu entdecken:
Also der Sünder, als er auferstand –
    Wie streng, o Herr, ist deiner Allmacht Walten,
    Wie schrecklich züchtigt rächend deine Hand!
Mein Führer fragt' ihn, wer er sei: »Vom alten
    Etruskerland«, entgegnet' er, »nur eben
    Schneit' ich herab in diese schlimme Spalten.
Nicht menschlich führt' ich, nein, als Vieh mein Leben,
    Maulesel ich, Hans Fucci! Herberg dort
    Hat, wert des Viehs, Pistojas Stall mir geben.«
Und ich zum Meister: »Laß ihn so nicht fort!
    Frag ihn, um welche Schuld er hergekommen,
    Der kund als Bluthund mir, an diesen Ort.«
Zu mir wandt Aug und Sinn, der das vernommen,
    Der Sünder, hehlte nicht mehr seine Schande
    Und sprach, von bittrer Scham die Wang entglommen:
»Daß du mich finden mußtest hier im Stande
    Des Elends, drin ich stecke, wurmt mich mehr,
    Denn als ich kam ums Leben dortzulande!
Nicht weigern kann ich dir, was dein Begehr.
    So tief mußt' ich hinab, weil ich beraubte
    Das Heiligtum, an Prunkgeräten schwer;
Und fälschlich wards gebüßt an fremdem Haupte.
    Doch daß dich nimmer, was du sahst, soll freuen,
    Wenn Heimkehr dir das nächtige Reich erlaubte,
Tu auf dein Ohr und hör die Kunde dräuen!
    Erst treibt Pistoja seine Schwarzen aus;
    Dann in Florenz kehrt alles sich zum Neuen: 112
Mars schickt vom Magratale Nebelgraus,
    Aus dem sich finstre Wetterwolken ballen,
    Und wütend wird in wildem Sturmgebraus
Auf Camp Piceno Schlachtenlärm erschallen:
    Jach spaltet das Gewölk sein Wetterschlag,
    Der schwer aufs Haupt dann fällt den Weißen allen!
Das sag ich dir, daß dichs gereuen mag.«

 


 << zurück weiter >>