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Nicht hemmt' ein Wort den Schritt, kein Schritt das Wort: Gleich Schiffen, die mit gutem Winde fahren, So schritten wir im Reden rüstig fort; Und sie, die zwiefach, schiens, des Todes waren, Sahn starr aus ihrer Augen Gruft mich an, Da sie von meinem Lebenstag erfahren. Und ich fuhr fort im Spruch, den ich begann: »Um jenes willen hemmt er wohl die Eile, Denn schnellern Schrittes käm' er sonst voran. Doch weißt du's, sag mir, wo Piccarda weile. Und derer, die so nach mir schauen, sprich, Ist keiner kundbar wohl an seinem Teile?« »Mein Schwesterlein, so schön als tugendlich – Weiß nicht, was mehr –, sie freut am Kranz der Ehren Bereits im hohen Olymp da droben sich.« Er sprachs und weiter: »Keiner wirds verwehren, Nenn ich sie allesamt bei Namen dir, Da sonst wir so unkenntlich vom Entbehren. Sieh Bonagiunt«, – sein Finger wies ihn mir – »Den Bonagiunt von Lucca; dort das fahle Gesicht, so hohl wie keins der andren hier, Die heilige Kirche hatt es zum Gemahle! Der wars von Tours, muß fastend büßen gehn Den süßen Würzwein und Bolsenas Aale.« Noch viele ließ er, Mann für Mann, mich sehn, Und jeder schien zufrieden vom Bescheide, Denn keinen sah ich finstren Blickes stehn. Vor Hunger sah ich müßigen Zahnes Schneide Ubaldin Pila, Bonifatius wetzen, Des Hirtenstab so viele führt' auf Weide; Sah Herrn Marchese, der zum Krug sich setzen Konnt in Forli mit minder trocknem Schlunde Und ward doch nimmer satt, den Gaum zu netzen. Doch wie wer wägt, was ihm vor andrem munde, So wählte jenen ich von Lucca mir, Der allermeist verlangend schien nach Kunde. 260 Er raunt' ein Wort, und wie Gentucca schier Klangs dorther, wo er der Vergeltung Nagen Verspürt, die so verzehrt die Büßer hier. »O Seele, die so eifrig scheinst zu fragen«, Begann ich, »daß uns beide dein Bericht Erfreue, wolle mirs vernehmlich sagen!« »Es lebt ein Weib, trägt noch den Schleier nicht, Das«, sagt' er, »wird dir Freude noch bereiten An meiner Stadt, wie schlimm man von ihr spricht. Geh hin, laß solche Vorschau dich geleiten; Und irrt dich noch mein Raunen zum Beginne, Wahrhaft Erleben hellt dirs auf beizeiten! Doch sag, bist du es, dem da lag im Sinne, Die Reime neuen Klanges anzuheben: ›Ihr Frauen, die im Sinn ihr hegt die Minne‹?« »Bin einer«, sagt' ich da, »der, haucht ihr Leben Mir Minne ein, im Innern widerklinge, Die Weise tönend, die sie eingegeben.« »Jetzt, Bruder«, sagt' er, »merk ich, welche Schlinge Mich und Guittone hemmt' und den Notar, Hört' ich, wie süß im neuen Ton man singe: Seh wohl, wie euer Federkiel aufs Haar Nur ihr, die's eingibt, treulich nachgegangen, Da unsrer ganz auf andrem Wege war. Die Weitres noch zu sehn sich unterfangen, Sehn nicht, was diesen trennt von jenem Stil!« Er schwieg, als wenn befriedet sein Verlangen. Wie Vögel, die zur Winterrast am Nil Bald ziehn in Schwärmen, bald zu langer Zeile Sich wieder reihn in schnellerm Flügelspiel, So wandt all jenes Volk hier sonder Weile, Vom Fasten leicht und guten Willens Kraft, Den Blick mit eins und hob den Fuß in Eile. Und wie die Seinen, wer im Lauf erschlafft, Voran läßt, kürzern Schrittes nachzukommen, Bis Luft die Brust, die keuchende, sich schafft, So ließ Forese ziehn die Schar der Frommen, Und mit mir ihnen folgend, fragt' er mich: »Wann biet ich dir zum andern Mal Willkommen?« 261 »Nicht kenn ich meine Frist«, entgegnet' ich; »Doch kehr ich noch so bald zu diesem Strande, Voraus eilt mein Verlangen sicherlich! Denn wo ich steh im Leben, meinem Lande Schmilzt Ehr und Recht dahin von Tag zu Tag, Daß ihm ein Ende droht mit Schmach und Schande.« »Geh«, sprach er; »den, an dems vor andren lag, Ich seh an Rossesschweif hinaus ihn schleifen Zum Abgrund, wo kein Büßen frommen mag. Das wilder, Sprung für Sprung, scheint auszugreifen, Zerstampft die Glieder ihm, das flüchtige Tier, Um schnöd entstellt zuletzt sie abzustreifen! Nicht lang mehr rollen diese Räder hier«; – Zum Himmel blickt' er auf – »und was zu klären Nicht taugt mein Wort, steht klar vor Augen dir. Bleib nun zurück! Zu lange möcht es währen, Ging' ich mit dir sofort in gleichem Schritte, Und kostbar ist die Zeit in diesen Sphären.« Wie im Galopp aus des Geschwaders Mitte Vorsprengt ein Ritter, daß in Feindesreihn Des ersten Einbruchs Ruhm er sich erritte. So schied er, schnellern Schritts, und mit den zwein, Die mit so hohem Namen hier wir nennen, Blieb ich zurück auf unsrem Weg allein. Schon kam er uns so weit voraus im Rennen, Daß ihm nicht besser Folge tat mein Sehn Als eben seinem Worte mein Erkennen, Da sah ich früchteschwer und grünend stehn Den zweiten Baum, nicht weit, weil um die Ecken Wir eben erst uns hingewandt im Gehn. Und drunter sah ich sie die Hände recken Und schrein, ich weiß nicht, was, ins Laub hinauf, Wie Kinder bettelnd ihre Ärmchen strecken, Und der, zu dem sie bitten, hört nicht drauf Und hebt, wonach sie lüstern, ihr Verlangen Zu schärfen, recht vor ihren Augen auf. Dann gingen sie, enttäuscht, und also langen Am mächtigen Baum wir an, den taub ich sah Für all das Flehn, die Seufzer all, die bangen. 262 »Geht stracks vorüber! Kommt ihm ja nicht nah! Der Apfel wächst, drein Eva biß, mehr oben, Doch sproßt' aus seinem Samen dieser da.« So rief, ich weiß nicht, wer, im Laubdach droben. Drum drängt' ich seitlich mit dem Dichterpaar Mich da vorbei, wo sich die Wand erhoben. »Denkt derer, die das Wolkenbild gebar«, Riefs dann, »wie trunknen Muts mit Theseus stritten Die Doppelbrüstigen, die verworfne Schar!« »Bedenkt, wie keinen Gideon gelitten Im Heere, den beim Trunk er weichlich fand, Als er gen Midian hinabgeschritten!« So gingen wir vorüber, hart am Rand, Den Rufen lauschend, die von Sünde klangen Des Gaumens, und wie schlimmen Lohn sie fand. Dann, einsam, sind des Weges wir gegangen, Wohl tausend Schritt und mehr in einer Reih, Stumm, in Gedanken jeder streng befangen. »Was geht ihr sinnend so allein, ihr drei?« Klang eine Stimme da, und wie vor Schrecken Ein Roß scheut, fuhr ich auf aus Träumerei. Ich hob mein Haupt, den Sprecher zu entdecken, Und nie so gleißend rot war Glas zu sehn Noch Erz, das Flammen heiß im Ofen lecken, Als dort ich einen sah, der sprach: »Bleibt stehn! Wollt ihr zum Berge, müßt ihr einwärts schwenken; Hier gehet, wer da will zum Frieden gehn.« Vor seinem Glanz mein Auge mußt' ich senken; So folgt' ich blindlings meiner Lehrer Spur, Wie wer sich lauschend läßt vom Ohre lenken. Und wie die Künderin des Frühlichts nur, Die Mailuft weht und haucht die süßen Düfte, Von Blütenduft getränkt, vom Ruch der Flur, So haucht' es mir ins Antlitz vom Geklüfte, Und um die Stirn der Fittich fühlt' ich wehen, Der nach Ambrosia duften ließ die Lüfte, Und »Selig«, hört' ich, »die da leuchten sehen Die Gnade, daß Begier und Lüsternheit Und all ihr Qualm in ihrer Brust vergehen, Und die da hungert nach Gerechtigkeit!« 263 |