Dante
Die göttliche Komödie
Dante

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Fünfzehnter Gesang

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    Freundwilligkeit, darin sich stets die Liebe,
    Die nach dem Rechten zielet, kund muß tun,
    Wie alle Unbill zeugt von sündigem Triebe,
Gebot der süßen Leier Schweigen nun
    Und hieß die Saiten, die zu diesem Reigen
    Die Hand des Himmels stimmt, die heiligen, ruhn.
Wie könnten frommer Bitte taub sich zeigen,
    Die so einträchtig alle, in Geduld,
    Daß ich sie bitte, nun geharrt in Schweigen?
Ja, ewige Pein verdient für seine Schuld,
    Wer jenem Gut zuliebe, das vergehet,
    Sich scheidet ewiglich von solcher Huld!
Wie nachts ein Flammen wohl ihr zucken sehet
    Am Himmel still und klar, daß vor der Helle
    Das Auge blinzt, das still im Schauen stehet;
Als ob ein Stern aus seinen Kreisen schnelle,
    Nur daß da keiner, wo's entglommen war,
    Verlorenging, und hier verlischts zur Stelle:
So schoß vom rechten Arm, wo eine Schar
    Von Lichtern hell erstrahlt' am Kreuzeszeichen,
    Zum Fuß ein Stern hernieder, leuchtend klar.
Nicht fiel vom Band das Kleinod, fuhr die Speichen
    Entlang am Kreuz, der Flamme, deren Brand
    Durch Alabaster schimmert, zu vergleichen.
So huldvoll eilt', als er den Sohn erkannt,
    Sprach unsrer Musen Fürstin wahre Worte,
    Anchises' Schatten her im seligen Land.
»O du mein Blut! Aus Gottes Gnadenhorte
    Welch überströmend Heil! Wem ward wie dir
    Zweimal erschlossen je des Himmels Pforte?«
Also die Leuchte, und so lauscht' ich ihr;
    Und als ich wieder dann mein Auge richte
    Auf meine Herrin, staunt' es dort wie hier:
Ein Lächeln loht' in ihrer Augen Lichte,
    Daß in des Heils, in meines Himmels Grund
    Zu schaun ich glaubte so von Angesichte. 367
Der Geist sodann tat wieder auf den Mund,
    Lieblich zu hören, lieblich anzusehen,
    Doch tiefen Sinnes, daß ich nichts verstund.
Nicht hehlt' er sich mit Fleiß: so mußt' es gehen,
    Weil allzu weit sein Sinnen überflogen
    Das Ziel für alles menschliche Verstehen.
Da Liebesglut so weit entspannt den Bogen,
    Daß seiner Rede Flug herab sich wandte,
    Der Grenze zu, die unsrem Geist gezogen,
Da war das erste, was mein Ohr erkannte:
    »Dank Dir, der Drei in Einem, Lob und Preis,
    Der solche Gnade meinem Samen sandte!«
Und dann: »Was ich ersehnt so lang und heiß,
    Seit ichs im Buche las, drin nie zunichte
    Und nie gewandelt wird, was schwarz auf weiß,
Du hasts erfüllt, nun hier in diesem Lichte,
    Dank ihr, die dir zum hohen Flug die Schwingen,
    Mein Sohn, geliehn, an dich mein Wort ich richte!
Du meinst, zu mir muß dein Gedanke dringen
    Von Ihm, dem Ersten, wie, wenn Eins dir klar,
    Der Einheit Fünf und Sechs von selbst entspringen.
Drum fragst du nicht nach mir und wer ich war,
    Warum ich dein mich mehr zu freuen scheine
    Als irgendwer in dieser frohen Schar.
Wahr ists: die hier im Leben, Groß' und Kleine,
    Schaun in den Spiegel, drin, noch eh's gedacht,
    Sich alles Denken zeigt im Widerscheine;
Doch daß, die ewigen Schauens in mir wacht,
    Die heilige Liebe, voll ihr Maß empfange,
    Die mir so süßen Sehnens Durst entfacht,
Heb frei und froh die Stimme, sei nicht bange,
    Sag deinen Wunsch, sag dein Begehren an,
    Darauf die Antwort dir bereit schon lange.«
Zur Herrin blickt' ich auf, die, eh's begann,
    Mein Wort vernahm und lächelte ein Nicken
    Mir zu, das Flügel meinem Wunsch gewann;
Da hub ich an: »Euch, die ins Auge blicken
    Dem ewigen Gleichen, muß zum Gleichgewicht
    Wunsch und Vermögen sich im Geiste schicken. 369
Steht doch die Sonne, deren Glut und Licht
    Euch glüht und leuchtet, so in allen Dingen,
    Im Gleichmaß, daß ein Gleichnis gar gebricht.
Allein dem Sterblichen sind zum Vollbringen
    – Ihr wisset wohl, warum – und im Verlangen
    Ungleich befiedert immerdar die Schwingen!
Ich nun, der sterblich bin und so befangen
    In Zwiespalt, zoll im Herzen nur der Hand
    Den Dank, die mich so väterlich empfangen.
Recht bitt ich dich, du lebender Demant,
    Der du dies teure Kleinod zierst, o sage,
    Daß mir der Durst gestillt, wie du genannt!«
»Du Reis von meinem Stamm, des all mein Tage
    Ich froh geharrt, sieh deine Wurzel hier!«
    Er sprachs, und Antwort gab er meiner Frage:
»Mein Sohn, nach dem den Sippennamen ihr
    Noch führt, der hundert Jahr im ersten Kreise
    Und mehr den Berg umkreist, war Urahn dir.
Du solltest ihm nach frommer Christen Weise
    Mit gutem Werke dienen, dessen Frucht
    Ihm kürzt des Bußgangs lange Pilgerreise!
Im alten Mauerring, in dessen Flucht
    Es Terz noch heute hört und None schlagen,
    Lag noch Florenz in Frieden schlicht und Zucht.
Nicht Kett und Kopfschmuck trug in meinen Tagen,
    Nicht Schnabelschuh die Frau noch Gürtelspangen,
    Die stolzer anzuschaun, denn die's getragen.
Nicht machte die Geburt der Tochter bangen
    Den Vater: Maß und Ziel für Hochzeitstag
    Und Mitgift war noch nicht verloren gangen;
Noch gabs kein Haus, das unnütz öde lag,
    Noch kein Sardanapal kam auf, zu zeigen,
    Wie mans in Prunkgemächern treiben mag.
Nicht übern Montemalo wollte steigen
    Eur Vogelsberglein, – überwuchs es den,
    Solls ihm voran sich auch zum Sturze neigen!
Hornspang am Ledergurt, so sah ich gehn
    Bellincion Berti, ungeschminkt die Wangen,
    Pflegt' ihm sein Weib vom Spiegel aufzustehn; 370
Ein Nerlo, ein del Vecchio kam gegangen
    In blanker Schur, und ihren Frauen stand
    Nach Spindel nur und Kunkel das Verlangen.
Wohl ihnen! Daß daheim ihr Grab sie fand,
    War jede sicher; einsam lag noch keine
    Zu Bett, weil alles zog nach Frankenland.
Der Wiege wartend, wachte dir die eine,
    Am Schmeichellaut, mit dem sie stillt' ihr Kind,
    Sich freuend mit dem Vater im Vereine;
Die andre, weil sie Flachs vom Rocken spinnt,
    Erzählte Mären von Trojanern, Sagen
    Von Rom und Fiesole dem Hausgesind.
Cianghella, Saltarell wär unsren Tagen
    Ein Wunder, wie an Cincinnatus ihr
    Mögt und Cornelia kaum zu glauben wagen!
So traut, so friedreich war das Leben hier,
    So treu der Bürgersinn in unsrem Bunde,
    So hold die Herberg, die Maria mir
Auf brünstig Flehen gab, wo ich im Runde
    Von eurer alten Täuferkirche Christ
    Und Cacciaguida ward zur selben Stunde.
Moront als Bruder mir geboren ist
    Und Eliseo, und am Po-Gestade
    Mein Weib, nach der genannt du selber bist.
Dann folgt' ich Kaiser Konrad, dessen Gnade
    Mich mit dem Schwertgurt gürtend hob zu Ehren
    Für guten Dienst auf seinem Kriegespfade;
Zog wider Heidentrotz mit seinen Heeren,
    Der noch, was euch gebührt, in Krallen hält,
    Weil eure Hirten säumig, ihm zu wehren.
Durch dies Gezücht entrückt dem Trug der Welt,
    Um deren Lust, von ihrem Heil geschieden,
    So manche Seele in Verdammnis fällt,
Kam ich durch Märtyrtum allhier zum Frieden.« 371

 


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