Dante
Die göttliche Komödie
Dante

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Dreißigster Gesang

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    Sechstausend Meilen wohl von uns die Stunde
    Des Mittags glüht, und waagerecht schier fällt
    Der Schatten hier von unsrem Erdenrunde,
Wann im Zenit des höchsten Himmels Zelt
    Erbleicht und Stern auf Stern verliert den Flimmer
    Im Fluge seines Strahls nach dieser Welt.
Und kommt der Sonne Schaffnerin dann immer,
    Die lichte, näher, schließt der Himmel sacht
    Ein Aug ums andre, bis zum schönsten Schimmer. 432
So auch der Reigen, der in Siegerpracht
    Ohn End umkreist den Punkt, der mich geblendet,
    Umfassend ihn, umfaßt von seiner Macht.
Mehr losch und mehr sein Licht, und da geendet
    Die Schau, hat meinen Blick der Liebe Drang
    Zu Beatrice wiederum gewendet.
Wollt' alles, was ich ihr zum Preise sang,
    In einem Lobgesange sich ergießen,
    Der Wahrheit wärs ein karger Widerklang!
Die Schönheit, die ich sah, macht überfließen
    Fürwahr nicht unsres Fassens Maß allein:
    Nur der sie schuf, kann völlig sie genießen.
Bezwungen hier bekenn ich mich wie kein
    Poet seit je bei dem, was er begonnen,
    Mag ernst, mag heiter seine Muse sein.
Denn wie ein zitternd Aug im Strahl der Sonnen,
    So muß, sich selbst entrückt, mein Sinn erbeben,
    Gedenk ich nur an jenes Lächelns Wonnen.
Vom ersten Tag, da ich in diesem Leben
    Ihr Antlitz sah, hat unverrückt mein Sang
    Ihr bis zu diesem Blick Geleit gegeben;
Jetzt muß ich abstehn, fürder mit dem Klang
    Des Reimes nachzufolgen ihrer Schöne, –
    Kein Meister je zur letzten Höh sich schwang!
In ihrer Herrlichkeit, die hellre Töne
    Verlangt als meiner Leier, deren Pflicht
    Das strenge Werk heißt enden, dem ich fröne,
Begann sie, wie ein kundiger Führer spricht:
    »Dem weitsten Kreis der Körperwelt entronnen,
    Sind wir im Himmel nun, der pures Licht:
Ja, Licht des Geistes, aller Liebe Bronnen,
    Liebe zum wahren Gut, an Freuden reich,
    Freude und Wonne über alle Wonnen!
Sollst ein' und andren Heeresbann vom Reich
    Des Himmels sehn, und wie zum Weltgerichte
    Er einst erscheinet, zeigt sich dieser gleich.«
So wie ein Blitz mit seinem jähen Lichte
    Des Schauens Geister sprengt und, was so nah
    Und klar vor Augen, ihnen macht zunichte, 433
So loht' um mich lebendig Licht allda
    Und hat in solchen Schleier mich gewoben
    Mit seinem Glanz, daß keine Spur ich sah.
»So grüßt die Liebe, die uns stillt hier oben,
    Jedweden, den sie aufnimmt, für den Schein,
    In dem sie flammt, den Leuchter zu erproben.«
Kaum ging ihr Wort, dies kurze Wort, mir ein,
    Da fühlt' ich hoch mich selber sich erheben,
    Weit über alles, was an Kräften mein;
Und ward entzündet da zu neuem Leben
    Mein Schauen, daß fortan kein Leuchten war
    So strahlend, dem mein Auge sich ergeben.
Und sah ein Licht, von Blitzen blinkend gar,
    Gestaltet wie ein Strom, und rings erblühten
    In Frühlingspracht die Ufer wunderbar.
Und aus dem Strom lebendige Funken sprühten
    Und blieben in den Blumenkelchen hangen,
    Drin gleich Rubin, in Gold gefaßt, sie glühten.
Dann, wie berauscht von ihrem Dufte, schwangen
    Sie wieder sich hinab zum Wunderquelle,
    Und neue sprüht' er, wenn er sie empfangen.
»Das Sehnen heiß, das dich entflammt so helle
    Und drängt zu wissen, was vor Augen dir,
    Ich lobs, je sehnlicher die Brust dir schwelle;
Doch trinken mußt du von dem Wasser hier,
    Um solchen Durstes Labung zu erfahren.«
    Die Sonne meiner Augen sprachs zu mir;
Und fuhr dann fort: »Das Auf- und Niederfahren
    All der Karfunkel Strom und lachend Grün
    Sind Vorspiel nur, ein Schatten bloß vom Wahren.
Nicht, daß an sich solch Rätsel dieses Blühn;
    An deiner Schwachheit einzig kann es liegen,
    Weil deiner Blicke Flug noch nicht so kühn.«
So eilt, sein Antlitz an die Brust zu schmiegen,
    Wenn später als gewohnt er aufgewacht,
    In heller Hast kein Säugling in der Wiegen
Als ich, im Auge klarer noch die Pracht
    Zu spiegeln, zu der Flut mich neigt' hernieder,
    Davon der Quell zum Heile tüchtig macht. 435
Und wie der Saum nur nippte meiner Lider
    An ihrem Glanz, da schien die langgestreckte
    Verwandelt, und ich sah ein Rund hinwider.
Und wie ein Mann, den Maskenhülle deckte,
    Ein andrer scheint, wenn abgetan die Tracht,
    Die fremde, drin sein Wesen sich versteckte,
So wandelten sich mir in lichtre Pracht
    Die Blüten all und Funken, und ich sahe
    Enthüllt der Himmelsheere Zwillingsmacht.
O Licht des Herrn, kraft des ich also sahe
    Den hehren Siegeszug vom Reich des Wahren,
    Gib Macht mir nun zu sagen, wie ichs sahe!
Licht ist da droben, das will offenbaren
    Den Schöpfer dem Geschöpfe, das allein
    In seinem Anblick Frieden kann erfahren;
Zum Kreis sich rundend, dehnt sich solcher Schein
    So weit, daß selbst die Sonne zu umgeben
    Zu weit sein Ring als Gürtel möchte sein.
Nur Strahlen sind es, die sein Abbild weben,
    Von erstbewegten Himmels höchstem Rand
    Zurückgestrahlt, dem Kraft sie leihn und Leben.
Und wie im See der Bühl an seinem Strand
    Sich spiegelt, gleich als wollt' er prangen sehen
    In Maiengrün und Blüten sein Gewand,
So sah ich rings im Licht sich spiegelnd stehen
    Auf tausend Stufen die, so hingegangen
    Aus unsrer Welt, um droben einzugehen.
Wenn solche Flut von Licht bereits umfangen
    Die tiefste, wie unendlich muß im Breiten
    Der letzten Blätter diese Rose prangen!
Nicht irre ging in diesen Höhn und Weiten
    Mein Schauen, alles, Fülle wie Gestalt,
    Hatt es ergriffen dieser Herrlichkeiten.
Nicht Fern und Nah gibt Schranke hier und Halt:
    Wo Gott allein und ohne Mittler waltet,
    Hat kein Gesetz mehr der Natur Gewalt.
Ins Gold der ewigen Rose, die entfaltet
    So himmelweit und duftet Lob und Ehr
    Der Sonne, deren Frühling nie erkaltet, 436
Zog Beatrice jetzo mich einher
    Wie den, der schweigt und reden will; sprach: »Siehe,
    In weißen Kleidern welch unendlich Heer!
Sieh unsre Stadt, wie weit ihr Ring gediehe,
    Sieh unsre Sitze, wie sie reich besetzt,
    Wie klein die Zahl, die heute schon verziehe!
Auf jenem Hochsitz, drüber du schon jetzt,
    Da du hinaufblickst, siehst die Krone schweben,
    Thront, eh dies Hochzeitsmahl dich selber letzt,
Des hohen Heinrich Seele, der im Leben
    Zum höchsten Amt berufen, aus dem Schlamme,
    Ehs noch bereit, Italien will erheben.
Die ihr verzehrt von blinder Habgier Flamme,
    Ihr gleicht dem Säugling ja in ihrem Bann,
    Der Hungers stirbt und von sich stößt die Amme.
Und auf dem Heiligen Stuhl sitzt einer dann,
    Der offen nicht noch heimlich je in Hulden
    Mit ihm des gleichen Weges wandeln kann.
Allein nicht lange mehr wird Gott ihn dulden
    Im heiligen Amt; dann fährt er in den Schlund,
    Wo Simon büßt, der Magier, sein Verschulden,
Und bohrt den von Alagna in den Grund!«

 


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