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Der hohe Meister hielt mit Reden inne, Hat forschend dann ins Auge mich gefaßt, Ob ich befriedet nun in meinem Sinne; Und ließ mir neuer Durst auch keine Rast, Ich schwieg zu ihm und sprach bei mir: ›Mein Fragen, Frag ich zuviel, es wird ihm leicht zur Last.‹ Doch er, der wahre Vater, sah den zagen, Verschwiegnen Wunsch und hat mir Mut gemacht Mit seinem Worte, noch ein Wort zu wagen. So sprach ich: »Meister, deine Leuchte facht Mein Schauen an, daß klar ich kann ersehen, Was so dein Wort mir deutet mit Bedacht; So bitt ich, teurer Vater, dich mit Flehen: Die Liebe lehre, draus du böses Tun Herleitest so wie gutes, mich verstehen.« »Scharf richt auf mich des Geistes Auge nun! Dann«, sagt' er, »merkst die Blindheit du der Toren, Die sich als Führer denken aufzutun. Weil ihr der Trieb zu lieben eingeboren, Bewegt die Seele stets, was Lust ihr schafft, Weckt ihn zum Sein, was ihr Gelüst erkoren. Vom wahren Sein malt eure Schauenskraft Ein Spiegelbild, im Innern euchs zu zeigen, Und so erscheints der Seele wesenhaft; Und muß sie dem, was sie erblickt, sich neigen: Dies Neigen, sieh, ist Liebe, schürzt das Band Des Triebes neu, der von Natur euch eigen. Dann, wie gen Himmel loht des Feuers Brand, Geschaffen, sich zur Höhe zu erheben, Wo's recht in seinem Wesen hat Bestand, Spürt, so erfaßt, der Sehnsucht geistig Streben Die Seele, und das kann, eh sie genieße, Was Liebe weckt, ihr nimmer Ruhe geben. Nun kannst du sehn, wie weit vom Ziele schieße, Wer meint, daß alles Lieben insgemein An sich schon Lobes wert sich achten ließe. 233 Mags immerdar von gutem Stoffe sein, – Nicht jedes Siegel darfst du gütig nennen, Ob das geprägte Wachs auch noch so fein.« »Dein Wort, mich lehrts der Liebe Wesen kennen, Da treu mein Sinn ihm folgte«, sagt' ich drauf; Doch neue Zweifel drum in mir entbrennen: Drängt Liebe denn von außen uns sich auf, Kann keinen andren Schritt die Seele gehen, Ists ihr Verdienst, ob grad, ob krumm ihr Lauf?« »Ich führe dich, so weit Vernunft kann sehen,« Sprach er, »dahinter liegt des Glaubens Welt; Da muß dir Beatrice Rede stehen! Jedwede Wesenheit, die zugesellt Dem Stoff, doch seinem Zwange nicht ergeben, Ein' sondre Kraft in sich beschlossen hält; Du spürst sie nur an ihres Schaffens Weben, Und nur im Wirken kündet sie sich an, Wie grünes Laub am Baum verrät sein Leben. Bleibt, wie er ersten Wissens Licht gewann, Dem Geist verborgen, kann auch keiner sagen, Wo solchen Urbegehrens Trieb begann: Er lebt in euch, so wie's zum Honigtragen Die Biene treibt; drum kann des Urtriebs Macht Nicht Lob noch Tadel richten noch verklagen. Doch jeden Trieb zu lenken mit Bedacht, Ist euch die Kraft des Urteils eingeboren, Die auf der Schwelle zum Entschlusse wacht. Daraus, je nach dem Trieb, den ihr erkoren, Wächst euch Verantwortung, ob ihr dem Hang Zum Guten oder Bösen euch verschworen. Die, deren Geist zum Grund der Wahrheit drang, Sie sahn solch eingeborner Freiheit Walten Und wahrten drum der Welt der Sitte Zwang. Mag aus Notwendigkeit sich auch entfalten Ein jedes Lieben, das in euch entfacht, Ist Kraft in euch, den Trieb im Zaum zu halten. Freiheit des Willens heißt die edle Macht, Die das vermag, in Beatrices Munde: Hörst du's von ihr, so merk es mit Bedacht!« – 235 Träg kam der Mond zur mitternächtigen Stunde, Wie eine Schale anzusehn, die brennt, Und löschte Stern um Stern am Himmelrunde; Rückwärts lief er die Bahn am Firmament, Die von der Sonne flammt, sieht Rom im Meere Sie sinken, wo's von Sarden Korsen trennt. Der edle Schatten hatte, dem zur Ehre Vor Mantua heut noch Pietola genannt, Von mir genommen meiner Bürden Schwere; Drum ich, der offenbar gewisses Pfand Der Wahrheit nun empfing auf meine Fragen, Wie wer des Schlummers trunken, träumend stand. Doch jählings hats mir solchen Traum verschlagen, Denn hinter unsrem Rücken hört' ichs nahn Und dicht bereits auf unsren Fersen jagen. Wie Thebens Wasser längs der Uferbahn, Wenn Bacchus' Hilfe not, vom Wahn getrieben, Verzückte Schwärme nächtlich rasen sahn, So schiens ringsum durch diesen Kreis zu stieben, Wie ichs an denen sah, die ihn entlang Ihr guter Wille spornt' und rechtes Lieben. Rasch holten sie uns ein, so hurtig sprang Der ganze Hauf, und zwei da vorne fingen Mit Rufen an, drein lautes Weinen klang: »Wie rasch bergan Mariens Füße gingen!«, »Wie Cäsar, schloß er gleich Marsilia ein, Nach Spanien flog, Herda zu bezwingen!« »Schnell, schnell! Nicht Zeit vertan! Nicht lässig sein, Daß Eifer jetzt zum Guten neu uns grünen Die Gnade läßt«, rief alles hinterdrein. »Die ihr durch solche Glut euch mögt erkühnen, Die Lauheit, die euch träg und säumig dort Zu gutem Werke machte, hier zu sühnen: Der hier, der noch am Leben – auf mein Wort! –, Er will bergan beim ersten Tagesscheine; So sagt, wo geht es nächst zum höhern Bord?« So meines Führers Worte, und der eine Der Geister sagte: »Komm uns nachgegangen, So findest du den Spalt im Felsgesteine. 236 Uns treibt, den Fuß zu regen, solch Verlangen, Daß keine Rast uns frommt; verzeiht, wenn gar So gröblich unsre Pflicht euch heißt empfangen! Abt von Sankt Zeno zu Verona war Ich in des wackren Rotbart Herrschertagen, Um den noch heute Mailand rauft ihr Haar. Bald wird um selbigs Kloster einer klagen, Der jetzt mit einem Fuß im Grabe schon, Und Leid, daß dort Gewalt er hatte, tragen: Statt echter Hirten setzt' er seinen Sohn, Den mißgebornen, leiblich mißgestalten, Im Innern noch mißratnern, auf den Thron.« Ob er noch weiter sprach, ob eingehalten, Ich weiß es nicht, zu weit schon eilt' er fort; Dies hört' ich noch und habs mit Fleiß behalten. Da sagte, der in aller Not mein Hort: »Schau her auf diese zwei; es straft in herben Gewissensbissen Trägheits-Schuld ihr Wort.« Ganz hinten riefen sie: »Des Todes sterben Mußt' alles Volk, dem aufgetan das Meer, Eh Jordans Auen schauten ihre Erben!« »Die mit Anchises' Sohn der Fahrt Beschwer Nicht trugen bis zum Ende, sie erkoren Sich selbst ein Leben ohne Ruhm und Ehr!« Schon weit vor uns vorausgeeilt, verloren Die Schatten sich dem Auge, als Gedanken In mir erwacht, draus andre neu geboren, Gar mannigfach, und also schweift' in Schwanken Von einem da zum andren mir der Sinn, Bis Schweifens müde meine Lider sanken Und all mein Denken floß in Traum dahin. |