Dante
Die göttliche Komödie
Dante

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechster Gesang

        1


4


7


10


13


16


19


22


25


28


31


34


37


40


43


46


49


52


55


58


61


64


67


70


73


76


79


82


85


88


91


94


97


100


103


106


109


112


115


118


121


124


127


130


133


136


139


142


145


148


151
    Wenn's Würfelspiel zu Ende, bleibt zurück
    Mißmutig, der verlor, erprobt verdrossen
    Von vorne wieder, Wurf für Wurf, sein Glück;
Dem andren folgt die Menge dicht geschlossen:
    Der zupft ihn hinten, der läuft ihm voran,
    Der, ihm zur Seit, empfiehlt sich dem Genossen;
Er hält nicht still, hört den und jenen an,
    Und wem die Hand er drückt, der läßt ihn laufen,
    Bis er des Schwarmes sich erwehren kann.
So ging es mir in jenem dichten Haufen;
    Bald dem, bald dem mich neigend, mit Gebot
    Und mit Versprechen mußt' ich los mich kaufen.
Da waren von Arezzo: der, dem Tod
    Ghino di Taccos blutige Hand gegeben,
    Und der ertrank in wilden Jagens Not;
Da sah die Hände flehend ich erheben
    Friedrich Novello und von Pisa den,
    Der euch Marzuccos Großmut ließ erleben.
Graf Orso sah ich, hab auch sie gesehn,
    Die Seele, die, sie sagt's, durch Haß geschieden
    Und Neid vom Leibe, nicht um ihr Vergehn:
Petrus von Brossa mein' ich, – mag hienieden
    Sich hüten wohl die Dame von Brabant,
    Daß drum kein schlechtrer Platz ihr dort beschieden! 181
Da ich von all den Schatten los mich wand,
    Die nur um andrer Flehen alle flehten,
    Zu kürzen ihren Weg zum Gnadenstrand,
Begann ich: »Sagst du, Leuchte der Poeten,
    Nicht irgendwann, das könne nie geschehn,
    Daß je des Himmels Ratschluß beugt ein Beten?
Und eben das ist, was sie hier erflehn.
    So wär ihr Hoffen eitel? Oder, sage,
    Konnt ich, was du gesagt, nicht wohl verstehn?«
»Was meines Wortes Sinn, liegt klar am Tage«,
    Sagt' er, »und sie trügt doch ihr Hoffen nicht,
    Erwägt gesunder Sinn nur recht die Frage:
Nicht beugts das Recht ja, das der Höchste spricht,
    Erfüllt mit eins die Liebesglut der Frommen,
    Wofür genugzutun der Büßer Pflicht.
Und wo der Spruch gefällt, den du vernommen,
    Dort freilich sühnet keine Schuld das Flehn,
    Weil kein Gebet von dort zu Gott mag kommen.
Doch hüte dich, so auf den Grund zu gehn
    Dem Zweifel ohn Erleuchtung von der einen,
    Die Licht schafft zwischen Wahrheit und Verstehn.
Begreifst du's? Beatrice will ich meinen:
    Auf dieses Berges Gipfel wird sie dir
    Lachenden Augs, die Selige, erscheinen.«
»O mein Gebieter«, rief ich, »eilen wir!
    Schon fühl ich minder meine Glieder lasten,
    Und sieh, des Berges Gipfel schattet hier.«
»Wir gehn, so weit wir können, sonder Rasten«,
    Versetzt' er, »weil uns scheint das Tageslicht,
    Doch anders geht es, als du meinst zu hasten:
Eh du am Ziel, scheint dir ins Angesicht
    Aufs neue, die sich eben hinterm Hange
    Dort birgt und keinen Strahl an dir mehr bricht.
Doch sieh dort eine Seele, die uns lange
    Allein und abgesondert blickt entgegen;
    Die weist uns wohl zurecht auf unsrem Gange.«
Wir nahten ihr. Wie stolz und überlegen
    Dich sah ich, Seele aus Lombardenblut,
    Langsam und würdevoll das Auge regen! 182
Sie sprach kein Wort, ließ mit gelaßnem Mut
    Uns kommen, nur das Auge aufgeschlagen,
    Dem Löwen gleich zu schauen, wenn er ruht.
Virgil doch trat herzu, bat, ihm zu sagen,
    Wo hier zum Berg der Anstieg leicht und nah;
    Doch keine Antwort gab sie seinem Fragen;
Frug ihn nach Land und Leben. »Mantua . . .«
    Begann mein teurer Führer, – ehs verklungen,
    War, den ich so in sich versunken sah,
Von seinem Sitz, der Schatten, aufgesprungen:
    »Sohn Mantuas! Sordell bin ich genannt,
    Dein Landsmann!« Und sie hielten sich umschlungen. –
Herberg des Jammers, mein geknechtet Land!
    Schiff ohne Steuermann in Sturm und Wogen,
    Nicht Herrin mehr der Völker: Haus der Schand!
Wie kam die edle Seele da geflogen,
    Den Landsgenoß zu grüßen, nur vom Klang
    Des süßen Mutterlautes angezogen!
Heut lebt dir keiner sonder Zwist und Zwang,
    Heut würgen die sich, die mit einem Bande
    Ein Wall und eines Grabens Wehr umschlang.
Schau um an deiner Meere weitem Strande,
    In deinen Busen schau, ob Friede freut
    Ein Fleckchen noch, Unselige, deiner Lande!
Was taugt der Zaum, den Justinian erneut,
    Da ledig nun dein Sattel, dich zu leiten?
    Die Schmach wär ohne ihn gelinder heut!
Weh euch, die ihr im Sattel ließet reiten
    Den Kaiser, selber himmelwärts gewandt;
    Bedachtet ihr, was Gott euch hieß, beizeiten!
Seht, wie der Renner außer Rand und Band,
    Der keinen Sporn gespürt, seit nach den Ringen
    Des Halfterzaums gegriffen eure Hand!
Albrecht, du Deutscher! Ach, du läßt ihn springen,
    Der so unbändig rast in blinder Wut,
    Statt dich in seines Sattels Bug zu schwingen!
Gerecht Gerichte fall auf all dein Blut,
    Neu, unerhört, von hoher Sterne Warten,
    Weit sichtbar schreckend deines Folgers Mut! 183
Du und dein Vater, weh, die euer harrten,
    Ließt ihr im Stich in eurer Ländergier,
    Bis so zur Wüste ward des Reiches Garten.
Komm, sieh Monaldi, Filippeschi hier,
    Montecchi, Capulet, Mann ohne Sorgen:
    Die schon in Trauer, die verzagend schier!
Komm, grausam Herz, komm, sieh, was sie sich sorgen,
    Und rett aus ihrer Not die edlen Deinen:
    Siehst dann, wie Santafior so wohl geborgen!
O komm und siehe deine Roma weinen!
    Verlassen, Witwe, ruft sie Tag und Nacht:
    »Willst du dich nie, mein Kaiser, mir vereinen?«
Komm, siehe, wie das Volk sich liebt! Und facht
    Denn nichts dein Mitleid an, was wir ertragen,
    So komm, die Schmach zu sehn, die dirs gebracht!
Hast Du – verzeih mir, höchster Gott, mein Fragen –
    Uns Dein gerechtes Auge abgewandt,
    Du, der für uns ans Kreuz allhier geschlagen?
Wie? Oder wards zur Prüfung uns gesandt
    Aus Deiner Weisheit Abgrund, uns zum Segen,
    Doch unerforschlich unsrem Unverstand?
Rings von Tyrannen starrt es allerwegen:
    Wird ein Marcell doch jeder Bauernknecht,
    Der Aufruhr kommt und Rotten zu erregen . . .
Du, mein Florenz, getrost! Nicht dein Geschlecht
    Kann dies mein Rügewort zu treffen wagen;
    Dank seinem Witz behälts ja immer recht.
Manch Herz mag für Gerechtigkeit noch schlagen,
    Doch, gut zu treffen, zielt es mit Bedacht;
    Dein Volk muß vorn sie auf der Zunge tragen.
Manch einer schlägt die Bürden aus der Macht;
    Dein Volk kann solche Sorge nie beschweren:
    »Mir her!« rufts ungefragt, eh sichs bedacht.
So freue dich! Wer wollte dirs verwehren?
    Dir, die so reich, so friedvoll, stark an Geist –
    Sprech ich nicht wahr? Der Ausgang wird es lehren!
Athen und Sparta, deren Recht man preist,
    Als hätt' ihr Bürgersinn den Kranz gewonnen,
    Sie ahnten kaum, was wohl zu hausen heißt, 184
An dir gemessen, die so fein gesponnen,
    Daß um Novembers Mitte schon dich reut,
    Was im Oktober eben frisch ersonnen!
Wie oft schon, seit du denken kannst, bis heut
    Hast du Gesetz und Ämter, Münz und Sitten
    Gewechselt, deine Glieder selbst erneut?
Magst in dich gehn und um Erleuchtung bitten!
    Denn sieh, du bist, wie wer im Fieber liegt
    Und, weils auf seinem Pfuhl ihn nicht gelitten,
Im Krampf sich wälzt und hin und wider biegt.

 


 << zurück weiter >>