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Wenn, sei's von Lust ergriffen, sei's von Leid, Der Kraft in uns, die solches kann empfinden, Die Seele ganz und ungeteilt sich weiht, Scheint ihr für andren Drang der Sinn zu schwinden. Das straft sie Lügen, die an ihrem Teile Der Seelen mehr in uns entzündet finden. Hörst oder siehst du, was auf Zeit und Weile Mit aller Macht die Seele an sich rafft, So rinnt die Zeit, und spürst nicht, wie sie eile. Was darauf merket, ist ein' andre Kraft Der Seele, die der ersten ganz ergeben, Und waltet jene frei, liegt die in Haft. Das mußt' ich, lauschend jenem Geist, erleben, Den staunend ich vernahm. Wohl fünfzig Grad Konnt unterdes die Sonne sich erheben, Doch merkt' ichs nicht, bis wir dem Ziel genaht, Wo alle riefen, wie aus einem Munde: »Da seht, wonach ihr fraget, euren Pfad!« Manch breitern Schlupf sperrt mit dem Dornenbunde, Den seine Forke rafft, des Bauers Hand, Wenn sich die Traube bräunt auf seinem Grunde, Als jenen Spalt, da wir empor die Wand, Eins hinterm andren, dort uns mußten schmiegen, Selbzweit, da sich die Schar hinweggewandt. Zum Gipfel von Bismontava, die Stiegen Bis nach San Leo, bis gen Noli nieder Gehts alleweil zu Fuß – hier hieß es fliegen! Der Sehnsucht-Schwingen flüchtiges Gefieder Zog mich dem Führer nach mit Allgewalt, Der Licht mir schafft' und gab mir Hoffnung wieder. So klommen wir hinan den Felsenspalt, Und, hier wie dort bedrängt von seinen Wänden, Mit Hand und Fuß am Boden sucht' ich Halt. Doch als wir oben, wo die Schrofen enden, Den Saum erreicht, des freien Hanges Neige: »Wohin denn, Meister«, frug ich, »jetzt uns wenden?« 173 »Nur keinen Schritt zurück!« versetzt' er. »Steige Mir immer nach, nur gradeswegs bergan, Bis einer nahet, der den Weg uns zeige!« Dem Blick unnahbar, stieg der Gipfel an Und jäher, als der Pfeil von Bogens Mitte Zum Drehpunkt des Quadranten weist hinan. Matt war ich, rief zu ihm mit banger Bitte: »Schau, teurer Vater, um! Hier blieb ich liegen, Allein hier bleib ich, hemmst du nicht die Schritte.« »So weit, mein Sohn, noch magst empor dich schmiegen«, Sprach er und wies dicht über mir ein Band, Das rings umfing die Flanke, wo wir stiegen. Das war ein Sporn mir; alle Kraft gespannt, Klomm ich zu ihm hinan, der mein Geleite, Bis unter meinem Fuß des Simses Rand. Wir saßen nieder, wandten nach der Seite Gen Morgen uns, von dann wir aufgestiegen: Erfreut den Blick doch solche Schau ins Weite! Erst sah ich drunten die Gestade liegen, Blickt' auf zur Sonne dann, und linker Hand Mit Staunen sah ich ihre Pfeile fliegen. Wohl sahs der Sänger, wie ich unverwandt Den Wagen angestaunt des Lichts, die Stelle, Wo zwischen uns und Mitternacht er stand. »Dem Spiegel hier«, sprach er, »von dessen Helle Die unten wie die droben Licht empfahn, Wenn Kastor ihm und Pollux Weggeselle, Noch näher sähst du seine Runde nahn, Davon der Tierkreis strahlt, den beiden Bären, Wich' er nicht gar aus seiner alten Bahn. Stell dir im Innern vor, dir zu erklären, Wie das an diesem Berge mag geschehn, Daß er und Zion auf zwei Hemisphären Sich gleichen Horizonts genüberstehn; Liegt drum die Bahn, wo Phaëthons Entgleisen So übel ihm bekam, von dort gesehn, Auf diesen zu, muß dort hinaus ihr Kreisen Von hier zu sehen sein; das wird aufs Haar, Wenn scharf er hinblickt, deinem Sinn sich weisen.« 174 »Gewiß, o Meister«, sagt' ich da, »so klar Sah ich noch nie, wie jetzt ichs kann erkennen, Was meinem Sinne schier ein Rätsel war: Den in der Meßkunst sie den Gleicher nennen, Himmlischen Umschwungs Haupt- und Mittelkreis, Der Sonn und Winter allezeit muß trennen, Liegt hier für uns, des mir dein Wort Beweis, Gen Nord so weit, wie jenerseit ihn streichen Die Juden sahn, den Landen zu, die heiß. Allein gefällt dirs, wüßt ich gern ein Zeichen, Wie weit der Weg. Den Gipfel seh ich ragen So hoch, daß ihn die Blicke nicht erreichen.« »So ist des Berges Art«, hört ich ihn sagen, »Daß streng der Anstieg zu Beginn am Fuße; Je höher, um so linder Müh und Plagen. Deucht drum so sänftlich dir der Weg der Buße, Daß, wie stromab sichs fährt auf sichrem Kiel, Gemächlich du ihn wandeln kannst in Muße: Dann bist du schon an dieses Weges Ziel, Da magst du ruhn von deinen Mühen allen. Mehr sag ich nicht, doch sag ich nicht zuviel.« Er sprachs, da hört' ich eine Stimme schallen Ganz nahe unsrem Sitz: »Von eurem Gang Zu rasten mag euch früher schon gefallen.« Wir wandten alle zwei uns nach dem Klang Und sahn zur Linken einen Felsblock ragen, Den unser keiner noch gewahrt bislang; Und als wir nahten, sieh, dahinter lagen Im Schatten welche, wie, zur Ruh zu gehen, Man wohl sich streckt in lässigem Behagen. Und einer, ganz entkräftet anzusehen, Saß und umarmte seine beiden Knie Und hing den Kopf beinah bis auf die Zehen. »O mein Gebieter«, rief ich, »komm und sieh: Wer Trägheit Schwester nennt, scheint hier noch rege; Solch Faulpelz, traun, wie dieser wär er nie!« Er sah uns an, als ob er überlege, Sprach, übers Knie den Blick nur hergewandt: »Da du so rüstig denn, geh deiner Wege!« 175 Darüber hatt ich, wer er war, erkannt, Und ob es mir den Odem noch verschlagen, Ich ruhte nicht, bis ich zur Seit ihm stand. Er hob zur Not den Kopf, um mich zu fragen: »Hast wohl gesehen, wie die Sonne dort Zur linken Hand dir lenket ihren Wagen?« Sein träg Gebaren und sein karges Wort, Sie machten lächeln mich; so sagt' ich heiter: »Nicht bangt, Belacqua, mich um dich hinfort; Doch sprich: Was hockst du hier? Harrst auf Begleiter? Wie? Oder treibst du's nur, wie lebenslang Dein Brauch gewesen, hier noch immer weiter?« Und er: »Was, Bruder, frommt der rasche Drang? Mich läßt ja doch nicht, der da wahrt der Pforte, Der Engel Gottes, ein zum Sühnegang. Die Reue spart' ich bis zum letzten Worte; Muß draußen nun, sooft ichs sah im Leben, Erst kreisen sehn den Himmel, hier am Orte, Wenn hülfreich nicht Gebete sich erheben Aus frommen Herzen – fehlts am Gnadenstrande, Was frommt mir eins, dem kein Gehör gegeben?« Schon stieg der Sänger mir am Felsenrande Voran und sprach: »Nun komm! Im Mittag steht Die Sonne, sieh, und an Marokkos Strande Mit leiser Sohlen Tritt die Nacht schon geht.« |