Dante
Die göttliche Komödie
Dante

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Zwanzigster Gesang

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    Schwer wider beßren Willen kämpft das Wollen:
    Nach seinem, wider mein Begehr und Sinnen
    Nahm ich den Krug vom Born, den halb kaum vollen,
Und ging, und mit mir ging mein Führer: innen,
    Wo freie Bahn war längs der Felsenwand,
    Wie wer am Wehrgang nah sich hält den Zinnen.
Denn außen lagen sie bis an den Rand,
    Sie, deren Auge Trän erpreßt auf Tränen
    Die Sucht, von der die ganze Welt entbrannt. 241
Fluch dir, du alte Wölfin, deren Zähnen
    Mehr als den andren all zum Opfer fällt,
    So nimmersatt, wie deine Kiefer gähnen!
O Himmel, der die Dinge dieser Welt
    Nach deinem Kreislauf wandelst, wie sie sagen,
    Wann kommt er, dem dies Untier weicht, der Held? –
Ich merkt' auf all die Schatten, die da lagen,
    Denn sacht, gemeßnen Schrittes gings vorbei,
    Und hört' erbärmlich weinen sie und klagen.
»Maria, süße!« hört' ich einen Schrei,
    Von ungefähr, als wenn in schwerer Stunden
    Vor uns ein Weib in Kindesnöten sei;
Und weiter riefs: »Wie dürftig warst erfunden
    In jener armen Herberg, eng und klein,
    Da deiner heiligen Bürde du entbunden!«
»Wackrer Fabricius,« klang es hinterdrein,
    »Der lieber arm in Ehren als mit allen
    Schätzen der Welt ein Schurke wolltest sein!«
So wohl hat solche Rede mir gefallen,
    Daß, ihn zu kennen, ich mich hingewandt
    Zu ihm, aus dessen Mund sie schien zu schallen.
Er pries noch, was Sankt Niklas' milde Hand
    An Jungfern tat, auf daß zum ehrbarn Leben
    Das junge Blut den Weg in Züchten fand.
»O Seele«, bat ich, »die so trefflich eben
    Du sprachst, wer warest du, daß du allein
    Zu würdigem Lob die Stimme magst erheben?
Nicht ohne Lohn soll deine Antwort sein,
    Kehrt dort mein Fuß, daß ich den Lauf vollende,
    Der eilend fliegt zum Ziele, wieder ein.«
Und er darauf: »Nicht, daß Trost mir einer spende
    Von drüben, sag ichs: weil der Gnade Licht
    So hell dir strahlet schon vor Lebensende.
Des Giftbaums Wurzel war ich, den so dicht
    Dem Reich der Christenheit wir schatten sehen,
    Daß gar so selten gute Frucht man bricht.
Könnt's Doway, Ryssel, Brügge, Gent bestehen,
    Dann wäre schnell Vergeltung bei der Hand, –
    Zum Richter aller ruf ich drum mit Flehen! 242
Hugo Capet, so war ich dort genannt.
    Die Philipp, Ludwig: meines Stammes Schossen
    Sinds, die Gebieter letzt in Frankenland.
Bin einem Metzger von Paris entsprossen.
    Doch als im letzten, der in grau Gewand
    Sich barg, der alten Könige Reih beschlossen,
Hielt ich des Reiches Zaum in fester Hand,
    War also mächtig, da verwaist die Krone,
    An Freundschaft, neu erworbnem Gut und Land,
Daß sich der goldne Reifen meinem Sohne
    Aufs Haupt gesenkt, mit dem die Reih begann
    Gesalbter Häupter auf dem Herrscherthrone.
Ehs der Provence reiches Erb gewann,
    Mit deren Schatz ihm alle Scham vergangen,
    Hob klein mein Blut, doch sonder Frevel an.
Von da hats seinen Raubzug angefangen
    Mit Trug und mit Gewalt; dann mußt's – als Sühne –
    Die Normandie, Ponthieu, Gascogne verlangen.
Karl zog nach Welschland; Konradin – als Sühne! –
    Schleppt' er zur Opferbank; zum Himmel dann
    Sandt er den Thomas von Aquin – als Sühne!
Schon seh ich nah die Zeit, da jedermann
    Noch einen andren Karl sich sieht erfrechen,
    Langt mir den Seinen er aus Frankreich an;
Der reitet unbewehrt zum Lanzenbrechen,
    Nur mit dem Speer, damit schon Judas stach:
    Den wird er durch den Wanst, Florenz, dir stechen!
Kein Land gewinnt er doch, nur Sünd und Schmach,
    Und um so schwerer hat er dran zu tragen,
    Je leichter jetzt er nimmt, was er verbrach.
Den andren seh ich, der zur See geschlagen,
    Sein Kind verschachern gar für schnödes Gut,
    Wie Sklaven, die Korsaren sich erjagen!
O Habgier, der sich also meine Brut
    Verschworen hat, kannst du noch mehr verlangen,
    Als daß ihr feil ihr eigen Fleisch und Blut?
Ja: alles bleicht, was je und je begangen,
    Seh gen Alagna ich die Lilien wehn,
    Seh Christ in seinem Statthalter gefangen! 243
Ich seh zum andern ihn verspottet stehn,
    Seh ihn aufs neu mit Gall und Essig tränken
    Und zwischen neuen Schächern sterben gehn.
Seh, noch nicht satt der Greul, nach schlimmen Ränken
    Zum Tempel den Pilatus noch, den neuen,
    Ohn Freibrief sein Piratensegel lenken!
O Herr, wann darf ich mich der Rache freuen,
    Die, tief verborgen im geheimen Rat,
    Dir noch besänftigt deines Grimmes Dräuen? –
Was ich die Braut des Heiligen Geistes bat,
    Die einige; was dir so wohlgefallen,
    Daß du mir Kunde heischend drum genaht:
Der Kehrreim ists von unsren Bitten allen,
    Solang es tagt. Zur Nachtzeit hörst du Klagen
    Um das, was Widerpart ihm hält, erschallen.
Dann hörst du von Pygmalion uns sagen,
    Den zum Verräter seine Gier gemacht,
    Mit Raub und Meuchelmord nach Gold ließ jagen;
Vom Fluche, den sein süchtiger Wunsch gebracht
    Midas, dem Geizhals, daß man, wo die Leute
    Von ihm erzählen, heut noch seiner lacht.
Achans denkt jeder dann, wie an der Beute
    Er sich vergriff, der Tor, darum ihn hier
    Josuas Grimm zu sehren scheint bis heute;
Verdammt Sapphira, ihres Gatten Gier,
    Lobpreist den Huf, der Heliodor geschlagen,
    Und Polymnestors Schandtat müssen wir,
Der Polydor gemeuchelt, hart verklagen.
    Zum Schluß dann rufen alle rings im Kreis:
    ›Crassus, wie schmeckt das Gold? Du weißts zu sagen!‹
Der eine ruft es laut, der andre leis,
    Je wie zu raschem oder zagem Schritte
    Uns spornt der Eifer, mehr und minder heiß.
So sprach ich eben nicht allein die Bitte,
    Die tags wir tun; nur daß die Stimme grad
    Kein andrer so erhob aus unsrer Mitte.« –
Wir ließen ihn dahinten, und den Pfad
    Zu meistern eilten wir, so gut dem Streben
    Des Wunsches das Vermögen Folge tat: 245
Da fühlt' ich schütternd unsren Berg erbeben,
    Als stürzt' er ein. Zu Eis erstarrt' ich gar,
    Wie einer, der zu enden geht sein Leben.
Nie schüttelte sich Delos so fürwahr,
    Eh dort Latona ließ ihr Nest bereiten,
    Drin sie gebar das Himmelsaugenpaar!
Und es erscholl ein Ruf von allen Seiten,
    Drum zu mir trat der Meister: »Sei nicht bang«,
    Gemahnt' er, »ich bin hier, dich zu geleiten!«
»Gloria in excelsis Deo . . .« klang,
    Wo er vernehmlich konnt' ans Ohr mir dringen,
    Aus meiner Nachbarn Munde jener Sang.
Stumm lauschten wir wie sie, die solches Singen
    Zuerst gehört, die Hirten auf dem Plan,
    Bis daß zur Ruhe Beben kam und Klingen;
Dann schritten wir voran die heilige Bahn,
    Da wir die Schatten, die am Boden lagen,
    Wie eh bei ihren Tränen wieder sahn.
Nie machte mir das Dunkel schwerer Fragen,
    So weit mich mein Erinnern leiten kann,
    So quälend heißen Wissensdurstes Plagen,
Wie dort ich fühlte, als ich sann und sann;
    Doch in der Eile wagt' ich keine Frage,
    Noch fand ich selber, was mir Licht gewann:
So ging ich sinnend denn fürbaß und zage.

 


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