Dante
Die göttliche Komödie
Dante

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einunddreißigster Gesang

        1


4


7


10


13


16


19


22


25


28


31


34


37


40


43


46


49


52


55


58


61


64


67


70


73


76


79


82


85


88


91


94


97


100


103


106


109


112


115


118


121


124


127


130


133


136


139


142


145
    Die gleiche Zunge wars, die erst mich stach,
    Die Glut in beide Wangen mir zu jagen,
    Und selber Balsam mir gereicht hernach.
So hört' ich von Achillens Lanze sagen
    Und seines Vaters, daß ihr eigner Stahl
    Die Wunder heilte, die sie selbst geschlagen. –
Den Rücken wandten wir dem Schlund der Qual
    Und querten, die fürbaß wir schweigend gingen,
    Den Rand, der rings umsäumt das Jammertal.
Nicht wußte weit voraus der Blick zu dringen –
    Nicht Tag wars völlig dort, nicht völlig Nacht –,
    Doch gellend hört' ich nun ein Horn erklingen.
Sein Hall hätt' einen Donner stumm gemacht,
    Und seinem Wege folgend, ihm entgegen,
    Nahm nur dies eine Ziel mein Aug in acht.
Nicht als im Feld so jammervoll erlegen
    Des großen Karl geweihter Heeresbann,
    Klang Rolands Horn so schrecklich allerwegen.
Als eine Weil ich lugte, schien mir dann,
    Als sei'n viel hohe Türme da zu schauen:
    »Wie heißt die Stadt dort, Meister?« hub ich an.
Und er zu mir: »Du strebst im Dämmergrauen
    Schon allzu weit voraus, drum fügt es sich,
    Daß deine Einbildung irrgeht im Blauen;
Am Ziele wirst du sehn, wie wunderlich
    Den Sinn die Ferne trügt; so mag dirs frommen,
    Spornst selber du zu rascherm Schritte dich.«
Drauf, liebreich, hat er meine Hand genommen
    Und sprach: »So wisse, eh wir weitergehen,
    Daß nicht zu fremd dirs, wenn wir hingekommen:
Nicht Türme, Riesen sinds, die du gesehen,
    Und reihn sich um des Brunnenschachtes Rand,
    Drin allesamt sie bis zum Nabel stehen.«
Gleichwie, wenn Nebel, sich zerteilend, schwand,
    Das Auge nach und nach begreift im Schauen,
    Was erst gehehlt der Schwaden dicke Wand, 138
So, wie dem Rand, des dichten Dunstes Brauen
    Durchdringend, ich mich nahte mehr und mehr,
    Wich meine Irrung, und mir wuchs das Grauen.
Wie rings mit Türmen ob der Mauerwehr
    Montereggion sich krönt an allen Kanten,
    So türmten um den Bord des Brunnens her
Sich halben Leibs die schrecklichen Giganten,
    Die noch, wenn donnernd er vom Himmel spricht,
    Jupiter ruft und dräuet den Gebannten.
Vom einen sah ich schon das Angesicht,
    Sah Schultern, Brust, ein gut Teil Leibes ragen
    Und beide Arme längs den Rippen dicht:
Recht tat Natur, der Kunst sich zu entschlagen,
    Die solch Gezücht erschaffen, und der Wut
    Des Mars sotane Schergen zu versagen!
Schafft Elefanten sie und Walfischbrut
    Noch sonder Reue, kann ein Blick uns lehren,
    Daß sie gerechter dran und weiser tut:
Nur da, wo Geistes Wehr und Waffe mehren
    Den Bund von Übermacht und Böslichkeit,
    Kann solcher Kraft sich keiner mehr erwehren.
Dem Pinienzapfen schien mir, lang wie breit,
    Vor Roms Sankt Peter sein Gesicht zu gleichen,
    Und Glied für Glied von gleicher Mächtigkeit.
So hoch ja überm Bord, der von den Weichen
    Bis zu den Zehen, als ein Schurz, ihn deckt,
    Ragt' er empor, daß bis zum Schopf zu reichen
Drei Friesen sich vergebens lang gereckt:
    Denn was ich sah, maß dreißig gute Spannen
    Bis da, wo uns die Mantelspange steckt.
»Rafel mai amech zab almi«, begannen
    Die ungefügen Lippen da zu schrein,
    Von denen nimmer sanfte Weisen rannen.
Darauf mein Führer: »Halt ans Horn dich fein
    Und mach dir damit Luft, will Grimm dich zwacken,
    Du blöde Seele, oder andre Pein!
Such nur am Hals; du findest um den Nacken
    Den Riemen, der die Riesenbrust umflicht,
    Verstörter Geist, und daran kannst du's packen!« 139
Zu mir drauf: »Selbst verklagt er sich, der Wicht.
    's ist Nimrod, dems die Welt verdankt, dem Toren,
    Daß heut sie nicht mehr eine Sprache spricht.
So laß ihn stehn! Kein Wort an ihn verloren,
    Denn jede Zunge klingt ihm so, wie dir
    Die seine tönt, die fremd für aller Ohren.«
Links wendend längren Weg nun machten wir
    Und fanden dann auf Bogenschusses Weite
    Den nächsten, wilder noch und größer schier.
Weiß nicht, wer ihn zu binden wohl im Streite
    Sein Meister ward, doch lag sein Arm in Banden,
    Der linke vorn, im Rücken ihm der zweite;
Fünfmal um seinen Leib geschnürt, umwanden
    Ihn einer Kette Schlingen, fest gestrafft,
    Vom Hals herab, so weit er frei gestanden.
»Der Freche wollt' erproben seine Kraft
    Am höchsten Jupiter«, sprach mein Geleiter.
    »Das ist es, was ihm solche Löhnung schafft.
Ephialtes hieß er, war gewaltiger Streiter,
    Als Furcht den Göttern die Giganten machten.
    Nie regt den Arm er, den er schwang, nun weiter.«
Und ich: »Kanns sein, so möcht ich mir betrachten,
    Daß kund dem Auge, was da lehrt die Kunde,
    Briareus gerne noch, den ungeschlachten.«
Drauf er: »Antäus siehst du hier im Runde,
    Ganz nah, der spricht, darf ohne Fessel stehen
    Und setzt uns ab im tiefen Höllenschlunde.
Zu dem, den du willst sehn, ist weit zu gehen,
    Gebunden ist er, diesem gleichgestalt,
    Nur grimmer noch von Antlitz anzusehen.«
Nie sah ich mit so schrecklicher Gewalt
    Erschüttern hoher Türme Bau ein Beben,
    Als jähen Rucks sich schüttelt' Ephialt:
Da bangt' ich wie noch niemals um mein Leben,
    Und hätt ich seine Bande nicht gesehen,
    Mir hätte schon die Furcht den Tod gegeben.
Wir kamen allgemach im Weitergehen
    Bis zum Antäus; der kam überm Schacht,
    Fünf gute Ellen bis ans Haupt, zu stehen. 141
»Du, der im Tal des Schicksals, wo die Schlacht,
    Da mit den Seinen Hannibal geschlagen,
    Scipio zum Erben seines Ruhms gemacht,
An tausend Löwen schlugst; der, wie sie sagen,
    Standst du den Brüdern bei im Heldenstreite,
    Für Gäas Söhne Sieg davongetragen:
O laß uns dort hinab die Felsenleite
    Und nimms nicht quer; setz nieder uns im Grund,
    Wo starr vom Froste des Cocytus Breite.
Neig dich hernieder, zieh nicht schief den Mund.
    Nicht heiß uns Tityos, nicht Typhon fragen!
    Hier diesem ist, was euer Sehnen, kund:
Er kann von deinem Ruhm auf Erden sagen,
    Denn sieh, er lebt und wird gewißlich alt,
    Ruft ihn die Gnade nicht vor seinen Tagen.«
So sprach der Meister. Jener alsobald
    Reckt' aus die Hand und packt' ihn mit den Zangen,
    Davon Alcid schon spürte die Gewalt.
Virgil indes, da er sich fühlt' umfangen,
    Rief mich heran: »Hierher, ich fasse dich!«
    Drauf er und ich zu einem Bund uns schlangen.
Wie Garisanda dem, der über sich
    Sie hangen sieht, wenn ihrem Hang entgegen
    Darüberhin ein Wolkensegel strich,
So dünkt' Antäus mich, der ihn sich regen
    Und niederneigen sah, und da zur Stunde
    Wär lieber ich gewallt auf andren Wegen.
Doch sänftlich nieder setzt' er dort im Schlunde,
    Der Luzifer samt Judas schlang, die Last,
    Verweilte nicht hinabgebeugt zum Grunde
Und reckt' empor sich als im Schiff der Mast.

 


 << zurück weiter >>