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Die Stunde wars, da Rast nicht litt das Steigen, Denn schon dem Stiere ließ den Mittagskreis Die Sonne, dem Skorpion die Nacht zu eigen. Drum wie ein Mann, der nichts von Säumnis weiß Und seines Weges, was ihm auch erscheine, Allzeit gespornt vom Müssen, geht mit Fleiß, So gingen wir den Felsspalt an, der eine Dem andren nach, denn Enge trennt' uns wieder, So gings empor die Stufen im Gesteine. Wie, lüstern aufzufliegen, sein Gefieder Ein Störchlein hebt und sich den Flug zu wagen Vom Neste nicht getraut und senkt es nieder, So ich, in dem der Wunsch entbrannt zu fragen Und gleich erstickt, bis ich am Ende stand, Wie wer schon auf dem Sprung, sein Wort zu sagen. Nicht schwieg, so schnell's hinaufging unverwandt, Mein trauter Vater: »Schieß doch ab den Bogen Der Rede«, sprach er, »der so straff gespannt!« Nun tat ich auf, da mir die Scheu verflogen, Den Mund und frug: »Wo keine Zehrung not, Wie kommts, daß solche Zehr sie ausgesogen?« Und er: »Bedenkst du Meleagers Tod, Der sich verzehrt, weil sich ein Scheit verzehrte, Macht dies dir zu begreifen keine Not; Und denkst du dran, was dich dein Spiegel lehrte, Drin, wie du zucktest, zuckt dein Ebenbild, So dünkt dich leicht, was eben dich beschwerte. Doch bist du tiefer noch zu schaun gewillt, Sieh: Statius ruf ich an und will ihn bitten, Daß deine Sucht, ein guter Arzt, er stillt.« »Enthüll ich ihm, weil du in unsrer Mitten, Dies Bild des ewigen Seins, verdenk mirs nicht«, Sprach er, »es hat dein Wort kein Nein gelitten.« Und er begann: »Dein Geist, empfängt er schlicht Und merkt getreu, mein Sohn, was jetzt ich sage, Zum Wie, danach du forschest, schaffts dir Licht. 264 Was, nicht verschluckt von durstiger Adern Schlage, Vom Blute übrig bleibt als feinster Saft, Wie was vom Mahl ihr spart zum andren Tage, Gewinnt im Herzen schöpferische Kraft, Zu baun des Menschenleibs gesamte Glieder, Wie, was in Adern kreist, sie einzeln schafft. Nochmals vergoren, sinkt es dorthin nieder, Wo Schweigen ziemet, und zu fremdem dann Träufts in naturgeformt Gefäß hernieder. Dort schmiegt sich innig eins dem andern an, Zum Leiden dies bestimmt und das zum Geben Kraft der vollkommnen Kelter, draus es rann. Mit ihm vereint, beginnts das Werk zu weben, Läßt erst gerinnen, was es, so gestrafft Durch seinen Stoff, sodann erweckt zum Leben. Wird so zur Seele nun die tätige Kraft, Wie die der Pflanze, nur daß auf dem Wege Sie noch, wo die am Ziel der Wanderschaft, Dann schafft sie, daß sie fühlt, daß sie sich rege, Dem Meerschwamm gleich, fängt zu gestalten an Die Kräfte, die entkeimt aus ihrer Hege. Und dann entfaltet sich, dann wächst heran, Was aus des Zeugers Herzen kam geronnen, Wo Glied für Glied Natur im stillen spann. Allein wie das, was Leben so gewonnen, Zum Menschen wird, hast du noch nicht erkannt: Hier hat ein Weiserer schon fehl gesonnen! Will seine Lehre einen Allverstand Doch scheiden von der Seele, weil ihm eigen Und zugehörig kein Organ er fand. Schließ auf die Brust, die Wahrheit laß dir zeigen: Sogleich, wenn in der Leibesfrucht vollbracht Der Bau des Hirnes, kommt, sich ihr zu neigen, Der Urbeweger, dem ins Auge lacht, Was da Natur so künstlich ließ gestalten, Bläst neuen Hauch ihr ein voll neuer Macht; Der rafft an sich, was dort er schon sieht walten, Und so wirds eine Seele, drin sich Leben Und Fühlen und Bewußtsein jetzt entfalten. 265 Will dir mein Wort zuviel zu staunen geben, Sieh, wie der Strahl der Sonne wird zu Wein, Dem Saft sich paarend, der entquillt den Reben! Und geht der Lachesis dann aus der Lein, Trennt jene sich vom Fleisch und trägt von hinnen Im Wesen göttlich so wie menschlich Sein: Stumm erst und taub an allen andren Sinnen, Indes Bewußtsein, Willen und Verstand Wesenhaft schärfer denn im Leibe drinnen. Und ungesäumt an den, an jenen Strand Von selber, durch ein Wunder sinkt sie nieder, Wo kund ihr wird der Weg, den sie gesandt. Und kaum umschließt ein Raum die Flüchtige wieder, Strahlt ringsumher der Bildnerkraft Gewalt Ganz wie zuvor in die lebendigen Glieder; Und wie der Dunst, der regenschwer sich ballt, Im fernher leuchtend rückgeworfnen Strahle Sich schmückt mit Farben, bunt und mannigfalt, So nimmt die Luft, die hier uns Hüll und Schale, Gestalt an, die, sobald ihr Ziel sie fand, Die Seele prägt mit ihres Wesens Male; Und gleich der Flamme, die dem Feuerbrand Allwege folgt, wohin du ihn magst drehen, So folgt dem Geiste dann sein neu Gewand. Was so Gestalt ihm leiht, wenn das geschehen, Heißt Schatten drum; bis formt sich jedem Sinn Sein Rüstzeug neu, bis letzt er lernt zu sehen. So reden denn, so lachen wir darin, So rinnen Tränen uns, und Seufzer kommen, Wie du sie hörtest durch die Halden hin; Und wo ein Wunsch, ein Fühlen nur entglommen, Zeigt sichs im Aussehn solchen Schattens an: So trägt sich zu, was wunder dich genommen.« Schon kamen wir zum letzten Kreis hinan, Und dort zur rechten Hand uns wendend, sehen Wir uns sogleich in neuer Sorge Bann. Hier speit der Felshang Flammen; Windeswehen Haucht dort der Sims, das fegt zurück den Brand Und macht die Wegbahn frei, voranzugehen. 267 Nur einer hinterm andren konnt' am Rand, Dem freien, gehn, und droht' auf jeder Seite Hier Feuer, dort der Sturz von jäher Wand. »Im Zaume heißt es«, sprach, der mir Geleite, »Die Augen halten, streng, auf diesem Gang, Denn hier zum Fehltritt brauchts nur Haaresbreite!« »Summae Deus clementiae . . .«, so klang Im Herzen jener großen Glut ein Singen, Das meinen Blick dahin nicht minder zwang; Und Geister sah ich durch die Flamme dringen Und schaut' auf sie, auf meine Schritte dann, Und hin und wider meine Blicke gingen. Der Sang beschloß. »Ich weiß von keinem Mann!« Erscholl ein lauter Ruf; dann fingen leise Das heilige Lied von vorn sie wieder an. »Diana«, riefs, da wieder schwieg die Weise, »Blieb treu dem Hain, Helice ward verwiesen, Die Venus' Gift genascht, aus ihrem Kreise.« Und aber sangen sie; dann wieder priesen Sie Fraun und Gatten, die sich tugendlich Nach Treu und Pflicht im Ehestand erwiesen. Der Weise, scheints, getrösten alle sich, Solange sie in dieser Flamme weilen; In solcher Pfleg und Kost muß sicherlich Zu guter Letzt jedwede Wunde heilen. |