Dante
Die göttliche Komödie
Dante

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Achtundzwanzigster Gesang

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    Froh zu durchstreifen rings von Hag zu Hage
    Den lebensprossend dichten heiligen Hain,
    Des Grün die Lichter dämpft am jungen Tage,
Ließ ich dahinten ungesäumt den Rain,
    Und langsam durch den Duft, den allerwegen
    Der Boden hauchte, schritt ich querfeldein.
Ein linder Hauch strich mir die Stirn, ein Regen
    Der Lüfte, sonder Wandel, sanft geschwellt,
    Als weht' ein leises Windchen uns entgegen,
Davon die Blätter all im grünen Zelt
    Sich leicht erzitternd nach der Seite neigen,
    Wo früh des heiligen Berges Schatten fällt;
Doch schwankt' es nicht so schütternd in den Zweigen,
    Daß durch die Wipfel hin die Vögelein
    Der Lust entsagt, all ihre Kunst zu zeigen;
Mit hellem Jubel grüßten insgemein
    Des Morgens Hauch im Laubdach sie mit Singen,
    Und dessen Rauschen klang als Grundbaß drein.
Das war, als wie von Zweig zu Zweig das Klingen
    Im Pinienhaine schwillt an Chiassis Strand,
    Wenn Äolus dem Südwind löst die Schwingen. 277
Schon hat es mählich, Schritt vor Schritt, vom Rand
    In jenes Urwalds Tiefen mich gezogen,
    Wo ich zurück zum Eingang nimmer fand;
Da hemmte, sieh, den Schritt mit seinem Wogen
    Ein Bach, des leise Wellen Gras und Kraut,
    Wie's dort am Ufer sproß, zur Linken bogen.
Kein Naß, so rein es nur auf Erden taut,
    Das trüb nicht schiene neben dieser Helle,
    Durch die das Auge bis zum Grunde schaut;
Und fließt doch tief im Dunkel, da zum Quelle
    Nicht Mond-, nicht Sonnenstrahl hindurch läßt dringen
    Des Schattens Dauernacht, die klare Welle!
Der Fuß hielt an, und meine Blicke gingen
    Zum andren Ufer hin, drauf bunt geschmückt
    Mit Maiengrün die Zweige niederhingen;
Und dort erschien, wie jäh ins Auge zückt
    Ein Schauen, das vor Staunen das Gemüte
    All andrem Sinnen alsogleich entrückt,
Mir eine Frau, die Blüte brach um Blüte,
    Wie sie des Weges singend kam allein,
    Wo's um und um von Blumenpracht erglühte.
»Ach, schöne Fraue, die, wenn je der Schein
    Des Auges Glauben heischt, im Herzensgrunde
    Vom Strahle mußt entflammt der Minne sein,
Freundwillig«, bat ich, »komm auf deiner Runde
    Heran zum Ufer dort, daß meinem Ohr
    Vernehmlich Sang und Wort aus deinem Munde.
Proserpinas gemahnst du, wie den Flor
    Des Lenzes sie, dem Räuber widerstrebend,
    Und wie die Mutter selber sie verlor.«
Wie eine Frau den Fuß, im Tanze schwebend,
    Dicht vor den andren leichten Schrittes stellt,
    Die enggeschloßnen kaum vom Boden hebend,
So übers purpurgoldne Blütenfeld
    Kam sie, ein Mägdelein, das auf die Wangen
    In Züchten tief gesenkt die Wimpern hält,
Und nahte sich, befriedend mein Verlangen,
    So, daß mir ihres Sanges süßer Laut
    Samt Wort und Meinung konnt ans Ohr gelangen. 279
Und als sie stehen blieb, wo frisch betaut
    Das Grün von jenes schönen Flusses Welle,
    Hat sie, den Blick mir gönnend, aufgeschaut:
Kaum unter Venus' Wimpern strahlt's so helle,
    Da sie von ihres Sohnes Pfeile wund,
    Als unversehens einmal traf der schnelle.
Sie lächelt', als sie grad am Ufer stund,
    Die Hand noch reckend nach dem bunten Schimmer,
    Den sonder Saat hier oben treibt der Grund.
Drei Schritt breit trennte uns der Bach, doch nimmer
    Weckt' Helles Furt – ein Zaum, wo sie beschritten
    Von Xerxes, allem Menschenstolz noch immer –
Leandern solchen Groll, dieweil inmitten
    Sie von Abydos wogt' und Sestos' Strand,
    Als ich um die, so dort uns schied, gelitten.
»Neulinge«, sprach sie, »seid ihr hierzuland,
    Und daß ich am geweihten Ort hier lachte,
    Hier, wo voreinst der Menschheit Wiege stand,
Das seht ihr staunend wohl und mit Verdachte;
    Doch hellt der Psalm: ›Herr, du erfreuest mich . . .‹
    Den Dunst, der euren Blick so blöde machte.
Und du da vorn, der du mich batest, sprich,
    Was sonst du wissen magst, denn allerwegen
    Dich zu befrieden, kam ich williglich.«
»Das Wasser«, sprach ich, »und im Wald das Regen
    Kämpft mit dem Glauben, den ich jüngst gewann,
    In mir, weils dem, was ich gehört, entgegen.«
Drauf sie: »Was dich erstaunt, ich sag dir an,
    Wo's seine Ursach hat, und will dir heben
    Den Nebelschleier, der dein Haupt umspann.
Dem Menschen hat, den gut es rief ins Leben,
    Das höchste Gut, sich selber Maß und Ziel,
    Als ewigen Friedens Pfand dies Heim gegeben.
(Durch seine Schuld gar bald in Bann er fiel,
    Durch seine Schuld verkehrt' in Gram und Zähren
    Sich unschuldfrohen Lachens holdes Spiel.)
Auf daß kein Dunst, den Erd und Wasser nähren,
    Der mit der Wärme aufsteigt, wie er kann,
    Dem Menschen Nöte macht in diesen Sphären, 280
Deshalb zum Himmel muß so hoch hinan
    Der Berg hier ragen, daß er ob dem Walle,
    Der ihn umheget, frei von solchem Bann.
Weil nun die Luft mit ihrem ganzen Schwalle
    Im Umlauf mit der ersten Runde schwingt,
    Wo nichts ihr Kreisen hemmt im Widerpralle,
Streicht hier, wo frei in rege Lüfte dringt
    Die Bergeshöhe, durch den Wald dies Wehen,
    Der rauschend dann, der dichte, widerklingt.
Und streift es solch Gewächs, so kanns geschehen,
    Daß, trächtig nun von dessen Kraft, sein Hauch
    Sie rings verstreut, wo wir ihn kreisen sehen;
So, je nach Himmelsstrich und Boden auch
    Empfängt all ander Land und läßt sie sprossen,
    Vielfach an Art und Tugend, Baum und Strauch.
Nicht wunder nähm's, die dem ihr Ohr erschlossen,
    Wenn sie drüben manch ein Kraut gewahrten,
    Das ohne sichtbarn Samen aufgeschossen.
Und wisse: voll von Keimen aller Arten
    Ist, wo du stehst, das heilige Gefild,
    Und Früchte trägts wie nimmer dort ein Garten.
Das Wasser hier aus keiner Ader quillt,
    Die tauend nährt der Wolke Naß, der Welle
    Des Stromes gleich, des Odem ebbt und schwillt:
Es rinnt aus ewig unerschöpfter Quelle,
    Die Gottes Wille stets von neuem speist,
    Wie sichs ergießt in zweierlei Gefälle.
Hier strömts, zu tilgen tüchtig, was den Geist
    An Sünde mahnt; all guter Tat Gedenken
    Die Flut da drüben neu erwachen heißt.
Lethe heißts hier; was dort seitab will schwenken,
    Eunoë. Soll es seine Tugend zeigen,
    Muß hier wie dorten dich ihr Wasser tränken.
Kein Schmack der Süße gleich, die diesem eigen!
    So wär gestillt der Durst, der dich gesehrt,
    Wollt' ich von andrer Kunde nun dir schweigen.
Doch sei zur Güte Zugift dir beschert:
    Wills weiter dich, als ich verhieß, geleiten,
    Nicht minder, mein' ich, sei mein Wort dir wert! 281
Die von des goldnen Alters Glück vor Zeiten
    Euch sangen, träumten, dem Parnaß zum Preis,
    Allda die Stätte solcher Seligkeiten,
Hier sproßt' in Unschuld, rein der Menschheit Reis,
    Hier ewig Lenz und reifer Früchte Segen,
    Hier Nektar, den zu rühmen jeder weiß!«
Zu meinen Sängern kehrt' ich mich, und gegen
    Den Schluß der Rede sah ich um die Brauen
    Und ihre Lippen sich ein Lächeln regen.
Dann hob ich meinen Blick zur schönen Frauen.

 


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