Katharina Elisabetha Goethe
Briefe – Band II
Katharina Elisabetha Goethe

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238. An Ludwig und Louise Nicolovius.

Den 1ten Februar 1796

Liebe Kinder!

Mit umlaufender Post würde ich Eure Briefe die meinem mütterlichen Hertzen so wohl thaten, die mir so viele Freude machten auf der Stelle beantwortet haben – wenn nicht das kleine noch unsichtbahre Weßen mich dran verhindert hätte. Ja Lieben Kinder mein Urgroßmütterliches Machwerck war an der Verzögerung schuld – Angst und bange wurde mir wenn mir einfiehle daß das Urenckelein ehnder ankäme als meine Rarität – alles mußte stehn und liegen bleiben u.s.w. Aber nun schöpfe ich Odem!! Das päcklein ist Spedirt – wohin? Das könt Ihr auf beykommendem Zettelgen leßen – Gott! Gebe unserer Louise eine frohe und glückliche Entbindung – das soll und wird vor uns alle ein Tag der Freude und des Jubels seyn Amen. Meinen Schattenriß solt Ihr haben, nur müßt Ihr Euch noch etwas gedulten – denn der Mann der darinn Meister ist, ist verreißt, so wie Er wieder kommt solls verfertigt und den mir so rühmlich und gütig zugedachten platz bey Euch einnehmen. Daß meine ehemahlige Freunde und Bekandten sich meiner noch in Liebe erinnern thut meinem Hertzen wohl, und versetzt mich in die so seligen Tage der Vorzeit wo mir in dem Umgang der Edlen und biedern Menschen so wohl ward – wo ich so viel gutes sah und hörte – so viel Nahrung vor Hertz und Geist genoß – niemahls nein niemahls werde ich diese herrliche Zeit vergeßen! Da Ihr meine Lieben Kinder nun das Glück habt unter diesen vortreflichen Menschen zu leben; so gedenckt meiner zuweilen – nicht gantz aus dem Andencken dieser mir ewig unvergeßlichen Freunde aus gelöscht zu seyn, wird mir in meiner Einsamkeit auch in der großen Entfernung Freude und Wonne seyn. Mein Lieber Sohn Schlosser nebst Weib und Kinder werden im Frühjahr zu mir kommen – die Ankunft wird vor mich freudevoll und lieblich sein, aber der Abschied!! Wenn ich dencke, daß aller Wahrscheinlichkeit nach es das letztemahl seyn wird daß Frau Aja dieses Vergnügen genüßt daß die große Entfernung Coreßpontentz und alles übrige erschwert – so habe ich nur einen Trost, den ich aber auch mit beyden Händen halten muß daß er mir nicht entwischt – nehmlich, daß Ihr alle zusammen alsdann eine der glücklichsten Familien ausmachen werdet, und daß ich in den gantz sonderbahren Fügungen und Lenckungen Euer aller Schicksahle erkennen, fühlen und mit gerührtem Hertzen bekennen und sagen muß Das ist Gottes Finger! Nun dieser Gott! der bißhieher so viel gutes uns erzeigt hat, der wirds auch in diesem Jahr an keinem guten manglen laßen – Er seegne Euch erhalte Euch froh und freudig – Er schencke unserer Louise einen freudigen Anblick ihres Erstlings – und laße Sie die Mutterfreuden gantz fühlen – dem lieben Urenckelein schencke Er Gesundheit Munterkeit und Kraft zum Eintritt ins Leben – das wird Er thun Amen. Lebt wohl! und behaltet lieb

Eure
Euch hertzlich liebende Großmutter
Goethe.


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