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Herr Siemering, der Pazifist

Als Herr Siemering seine Attacken gegen Fried ritt, war in Deutschland noch das alte Regime am Ruder, für dessen Unschuld Herr Siemering ebenso großmütig wie unbedacht die Hand ins Feuer legt. Inzwischen hat das deutsche Volk selbst den größten Kehraus seiner Geschichte gemacht, und die Auffassung über die wahren Ursachen des Krieges, wie sie von Fried und der Mehrzahl der deutschen Pazifisten verfochten wurde, gegen eine Welt von Irrtum und Bosheit verfochten wurde, ist heute die allgemeine Auffassung geworden. So ragt Herrn Siemerings Aufsatz als seltsamer Anachronismus in unsere neue Zeit hinein, durch die Ereignisse und Enthüllungen der Herbstmonate geradezu grotesk beleuchtet.

Der Pazifismus Friedscher Prägung soll durch den Krieg einfach zerschlagen sein; er soll in seinen Voraussetzungen falsch sein, von Einseitigkeiten, Irrtümern, Widersprüchen durchsetzt sein. Aber ist Herr Siemering etwa weniger einseitig, weniger frei von Widersprüchen? Was ist seine Verbeugung vor dem »großen Rechner Krieg« mehr als ein oberfauler Pakt mit dem famosen deutschen August-Patriotismus, der in klobiger Primitivität alles Üble beim Feind sucht und, in die Enge getrieben, nichts kennt als die trübe Ausflucht: Right or wrong – my country?! – Gewiß, auch der Pazifismus kommt nicht ohne Blessur aus dem Weltkrieg. Manches war allzu sehr auf frohe Hoffnung gestellt; manche optimistischen Voraussetzungen haben sich nicht als haltbar erwiesen. Aber die Hauptsache: der Kern ist nicht berührt, unsere Grundauffassung hat Recht behalten. Deshalb darf der Pazifismus auch, äußerlich und innerlich gerechtfertigt, auf der Weltbühne bleiben, von der die Persönlichkeiten und Mächte, die bei uns die Kriegspolitik trugen, für ewige Zeiten kompromittiert abtreten mußten.

Fried soll als Führer ausgespielt haben? Nein, Herr Siemering, als deutscher Pazifist freue ich mich von ganzem Herzen, daß es einer der unsrigen war, daß es unser Führer war, der vor den schweren Kalibern der organisierten Lüge nicht die Waffen streckte, sondern unverzagt, ein guter Eckart, seinen Kampf gegen Wahnwitz und Barbarei führte. Fried hat als erster auf die unheilvollen Folgen des Einbruches in Belgien hingewiesen, Fried hat die Torpedierung der »Lusitania« als sittlich verwerflich und politisch verhängnisvoll gekennzeichnet, Fried hatte die traurige Bedeutung des unbeschränkten U-Boot-Krieges bereits voll erfaßt, als es in Deutschland noch einen U-Boot-Block von Westarp bis David gab. Dafür ist er von seinen Gegnern verunglimpft worden – wo ist der Deutsche, der ihm heute nicht in diesen drei Punkten bedingungslos zustimmt? Und mögen Fried im einzelnen greifbare Irrtümer und Widersprüche unterlaufen sein, das Endurteil kann nur lauten: Hut ab vor dem Ethos dieses Mannes und seinem treuen Dienste für Wahrheit und Gerechtigkeit!

Denn Wahrheit und Gerechtigkeit, das waren ihm die einzigen realen Grundlagen des Pazifismus: sie schätzte er höher ein als selbst das Vaterland. Er hat für seine Ideen gekämpft und gelitten wie wenige, und es stimmt traurig, daß Herr Siemering, wie nur irgendein Vaterlandsparteiler, in Frieds Arbeit immer nur das findet, was Deutschland »schadet«, aber niemals den heiligen Eifer für eine bessere, sittlichere Weltordnung empfindet, niemals das rote Herzblut ahnt, das in den Worten des Tagebuches quillt. Das aber ist entscheidender und schicksalsvoller als Theoreme und Programme, die wandelbar mit den Verhältnissen Schritt halten. Das führt Herrn Siemering aufs andere Ufer, das trennt ihn von uns. Herrn Siemering verbindet nichts mehr mit unserm Fühlen – er ist kein Pazifist mehr.

Monatliche Mitteilungen des Deutschen Monistenbundes,
Ortsgruppe Hamburg, 1. Januar 1919


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