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Jacobsohns Reinhardt-Buch

Siegfried Jacobsohn: Max Reinhardt, Erich Reiß Verlag,
Berlin, und »Das Jahr der Bühne«, X. Band, Verlag
der Weltbühne, Charlottenburg.

Es ist nicht immer eine reine Freude, Theaterkritiken zu lesen und erst recht nicht, solche zu schreiben. Siegfried Jacobsohn gehört zu den wenigen seines Metiers, die den Ehrgeiz haben, nicht nur gediegene Arbeit zu leisten, sondern auch den flüchtigen Eindruck eines Theaterabends soweit festzuhalten, daß nach Jahren noch der Leser ein plastisches Bild erhält von den Intentionen des Regisseurs, den Leistungen der Schauspieler und der Atmosphäre des Abends überhaupt. Das Ziel ist ein großes, und daß Jacobsohn ihm mit solcher Treue nachgeht, das rechtfertigt vollkommen die ihm heute bereits zuerkannte Sonderstellung im kritisierenden Teile der deutschen Menschheit. Diese jährlichen Sammelbände ziehen unbestechlich das Fazit der Theatersaison, geben Theatergeschichte im besten Sinne des Wortes, fest in der Form und anschaulich, ohne schnell verstaubenden theoretischen Ballast. Bewundernswert ist Jacobsohns Schreibweise, seine legere und dabei doch höllisch zugespitzte Art zu plaudern, Bonhommie, die sich ganz unvermittelt in unerbittliche Schärfe umwandelt, und Sachlichkeit, die sich verbindet mit liebevollster und persönlichster Wertung der künstlerischen Leistung: Urteilsfähigkeit, die in den diffizilsten Analysen sich niemals in Bagatellen verliert. – Jahrelang hat Jacobsohn Max Reinhardts glänzende Erscheinung gegen die Ewig-Bedenklichkeiten und gegen Kunstrückschrittler aller Art verteidigt. Dann kam für Reinhardt Anerkennung und Weltruhm und – Großes Schauspielhaus, und seitdem steht Jacobsohn in der Opposition. Wenn er also Kritiken sammelt aus den anderthalb Jahrzehnten, die die eigentliche große Periode des Regisseurs Reinhardt ausmachen, und wenn er die werdende Mißstimmung der letzten Jahre kaum in Untertönen mitschwingen läßt, so bedeutet das nicht ein Begraben der Streitaxt, sondern eher einen letzten Blütenstrauß, der verlorenen Liebe dargebracht. Und wenn er, wie einleitend angedeutet, sein Werk nur als Material betrachtet für wahrheitsfreudige Historiker, es bildet als Ganzes doch mehr als eine Summe wortgewordener Eindrücke, es trägt den Charakter des Abschließenden, der Feind aller Feierlichkeiten möge es verzeihen – – des Autoritativen.

Berliner Volks-Zeitung. 21. Dezember 1921


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