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Verbreitet Besonnenheit!

Die letzte Alliierten-Konferenz hat von neuem der Schlammflut des Völkerhasses alle Kanäle geöffnet. Das ist zunächst das traurige Resultat einer Tagung, die man zwar nicht mit hochgespannten Hoffnungen erwartet hat, von der man aber nicht annahm, sie würde nach den Explosionen von Spaa ein neues dazu beitragen, um die ohnehin nicht allzu stabilen europäischen Zustände abermals gänzlich in Frage zu stellen. Wenn wir als Pazifisten zu den durch die Konferenz aufgeworfenen Problemen Stellung nahmen, so lehnen wir es zunächst ab, uns zu identifizieren mit den Rachearien der überwiegenden Mehrheit der deutschen Presse. Wir bedauern aufs äußerste, daß mit weit übers Ziel hinausschießenden Forderungen dem deutschen Nationalismus willkommenes Futter vorgeworfen wird, verkennen aber nicht, daß die Chauvinisten, namentlich in Frankreich, billigen Agitationsstoff bekommen werden und Anlaß, aufs neue auf den »schlechten Willen« Deutschlands zu verweisen und politische Geschäfte machen werden unter der alten, bekannten Parole: Der »Boche« wird alles bezahlen!

Also neue Verhetzung hüben und drüben. Der Aufgabenkreis der pazifistischen Organisationen, insbesondere der Kriegsteilnehmer-Bünde, wird durch diese unerquickliche Situation in keiner Weise beeinträchtigt. Im Gegenteil! Je mehr die leitenden Staatsmänner versagen, desto mehr erwächst den Völkern, die trotz allen Haßgeredes Frieden und Arbeit wollen, die Pflicht, das zur Reinigung der verpesteten Atmosphäre zu unternehmen, was die »großen « Politiker heute nicht mehr können oder nicht wollen. In den Ländern der Entente geht man hausieren mit dem seltsamen Conterfei eines Deutschland, das noch genügend Reichtümer besitzt. um auch die wildesten Milliardenforderungen spielend zu befriedigen und dem es nur am guten Willen fehlt, um auch das geringste zu leisten. In Deutschland wieder ist gewiß in freiheitlich und pazifistisch denkenden Kreisen der Wille zur Reparation vorhanden, und in gleichem Sinne wird gearbeitet, um dem ganzen Volke vor Augen zu führen, daß nicht eher Ruhe und Frieden in die Welt kommen, ehe nicht der Wall des Mißtrauens, der Deutschland umgibt, niedergerissen ist. Was Deutschland zu diesem Werke seelischer Verständigung beitragen kann, das muß es tun. Aber ausschlaggebend sind wir Friedensfreunde heute noch nicht, und ausschlaggebend ist für viele das Zerrbild eines armen und gänzlich verelendeten Deutschland, das auch nicht zu der kleinsten Wiedergutmachungsleistung imstande ist. Dabei weiß jeder, der nicht mit verbundenen Augen herumläuft, daß es in Deutschland genug Reichtum gibt, daß manche Schichten niemals maßloser verdient haben, als jetzt in dieser Zeit »größter Erniedrigung«. Ja, Elend gibt es genug in Deutschland, Arbeiterschaft und Mittelstand haben unendlich gelitten und die Angehörigen geistiger Berufe bleiben unberührt von dem brühwarmen Papier-Golfstrom, der in unendlich viele Taschen strömte. Diesen Karikaturen Deutschlands gegenüber gilt es für uns das Bild des wahren Deutschland zu umreißen. In die Debatte über die Entschuldungsfrage muß ein Element von Sachlichkeit hineinkommen, das bisher fehlte. Es muß die verkehrte Auffassung von dem übelwollenden Deutschland zerstört, ebenso deutlich aber hervorgehoben werden, daß der deutsche Arbeiter sich dauernd nicht dazu hergeben wird, für den Kapitalismus der ganzen imperialistischen Welt zu schuften.

Wir kennzeichnen mit aller Deutlichkeit die Forderungen der Entente als übertrieben, aber wir wünschen nicht, daß das hohle Pathos des »Unannehmbar« bis in alle Zukunft als Echo nachrollen soll. Wir verlangen nicht Billigung der Propositionen der Briand und Lloyd George, aber wir verlangen mit allem Nachdruck Verhandlungen. Die Erfahrung sagt uns, daß am Tisch der wirtschaftlichen und finanziellen Sachverständigungen die hochgemute Diplomatenarbeit gewöhnlich bedenklich zusammenschrumpft. Die chauvinistische Presse verbreitet Aberwitz; unsere Aufgabe ist es, der nüchternen Vernunft zum Siege zu verhelfen. Wir glauben auch, daß die ersten von Deutschland geforderten Jahresraten ein billiges Maß nicht überschreiten und daß die weitere Entwicklung in den Ententeländern der hirnlosen Siegestrunkenheit der »Staatsmänner« doch endlich das Paroli bieten wird. Wie alles, hat auch der Wahnsinn seine Saison – der Wahnsinn in Permanenz muß schließlich an den natürlichen Instinkten der Völker scheitern.

Wir kämpfen für ein freies und friedliches Deutschland. Wir bekämpfen Säbelrasselei, weil wir Deutschland lieben und weil wir wissen, daß kein ärgeres Hindernis als das zwischen uns und den andern steht. Und deshalb wenden wir uns mit aller Entschiedenheit gegen die Herrschaft der Phrase, weil in diesen kritischen Zeiten Deutschland nichts notwendiger braucht als Klarheit und Wahrheit. Helft Besonnenheit verbreiten, Kameraden, und ihr helft eurem Vaterland mehr als es alle schwadronierenden Nationalisten tun!

Nie wieder Krieg. Februar 1921


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