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Sonntags-Matinee im Staatstheater
»Stimmen der Völker«

Die diesmalige Veranstaltung war den Engländern und Amerikanern gewidmet. Den einleitenden Vortrag hielt Paul Wiegler, einer unserer feinsten und geschmackvollsten Literatoren, dem wir noch öfter und mit längerer Redezeit begegnen möchten. Er gab ein scharf umrissenes Bild der englischen Gesellschaft mit ihren Vorzügen und Schattenseiten und der auf diesem Kulturboden gewachsenen Dichtung, die, von Byron bis Shaw und Galsworthy, gerade in ihren Höhepunkten oft ein Aufbäumen gegen die Übermacht leerer Form und einseitiger Verstandesherrschaft bedeutet. Margarete Markstein sprach Verse Byrons mit feinem musikalischen Gefühl, ließ aber Poes grausiges Seestück vom »Maelstrom« durch allzu saloppe Behandlung in peinlicher Weise verpuffen. Der alte Herr Kraußneck brachte in seiner vornehmen Weise ein manifestartiges Stück aus Ruskins »Sesam und Lilien« und einen Abschnitt aus Wildes etwas koketter Bekenntnisschrift »De profundis« (zwei grundverschiedene menschliche Dokumente, aber durch einen utopischen Unterton irgendwie verwandt) zu tiefer Wirkung. Dagny Servaes lieh ihr schönes, klangvolles Organ einer Londoner Elendsskizze von Dickens und zwei blumenzarten Gedichten des in Deutschland allzu wenig bekannten Swinburne, und Lothar Müthel mit junger, heller Stimme war der rechte Interpret des großen amerikanischen Dichterpropheten Whitman.

Berliner Volks-Zeitung, 10. Januar 1921


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