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Die »Tägliche Rundschau« ist ein nationales und christliches Blatt. Man kennt das. Die Missionssymbole des christlichen Nationalismus sind Hakenkreuz und Gelbkreuz. Das Kreuz von Golgatha bleibt reserviert für Karfreitagsbetrachtungen: im politischen Tageskampfe ist es vom Odium der Schlappheit umwittert.
Die »Tägliche Rundschau« hat als chauvinistisches Hetzblatt das Renommee etwa des »Matin«. Vielleicht verhindert nur deutsche Plumpheit hin und wieder die Entfaltung letzter Finessen. Es ist kein Wunder, daß der ständige patriotische Hitzegrad auch die Leser zur freiwilligen Mitarbeit provoziert.
So berichtet ein Herr aus Lippstadt, daß auf dem dortigen Kriegerfriedhof, wo zur Hälfte deutsche Soldaten, zur anderen Hälfte Belgier, Franzosen usw. bestattet sind, man inmitten dieser Gräber, »die ohne Rücksicht auf Nationalzugehörigkeit durcheinander liegen«, ein Denkmal errichtet hat mit der Inschrift: »Den hier ruhenden Helden in Dankbarkeit gewidmet«.
Die redaktionelle Glosse nennt das »unangebracht« und »Ärgernis erregend«. Nicht die würdige Ruhestätte solle feindlichen Kriegern in deutscher Erde versagt werden, wohl aber die Dankbarkeit.
Die Inschrift mag plump sein, aber an eine antinationale Demonstration hat dabei sicherlich kein Mensch gedacht. Soll man nun etwa die »feindlichen« Soldaten aus ihren Gräbern holen und in irgendeiner Armensünderecke verscharren? Niemand außer dem Lippstadter Leser der »Täglichen Rundschau« würde daran ein Wohlgefallen finden.
In einem der schönsten Gedichte Gottfried Kellers wird erzählt, wie der Narr des Grafen v. Zimmern während der Meßhandlung, da das Glöckchen fehlt, seine Schellenkappe schüttelt. Der Herr aber lächelt dazu ...
Der »deutsche Gott« der »Täglichen Rundschau« hätte nicht dazu gelächelt, sondern den armen Schelm in Ordnungsstrafe genommen. Denn dieser Gott kennt keine Duldsamkeit und kein Lächeln. Wenn nach der Schlacht die Seelen der Erschlagenen zu ihm emporsteigen, dann nimmt er eine scharfe nationale Musterung vor. Und wehe den Tommies und Poilus, die sich zwischen »sein« Volk drängen!
Italienische Frauen haben jüngst in einer Botschaft versichert, daß sie keinen Unterschied machten zwischen den Gräbern der eigenen Landeskinder und denen der Fremden. Es steht außer Zweifel, daß irgendeine italienische Edition der »Täglichen Rundschau« das »unangebracht« finden wird.
Unangebracht ist es, daß blühende junge Menschenkinder in Massen ins Trommelfeuer gehetzt werden. Unangebracht ist es, daß man das Christentum im Munde führt und tagtäglich dem Moloch dient!
Berliner Volks-Zeitung, 23. März 1921