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Der östliche Gast
Nun ist seit Monaten Rabindranath Tagore wieder in seiner indischen Heimat. Aber noch immer packen die Blätter Anekdotenkram aus, der sich an seine Person heftet. Noch immer prangt sein Bild in Bücherläden und Schaukästen. Es ist an der Zeit, ein paar Worte zu sagen über das, was ich aufrichtig und grob den Tagorerummel nenne.
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Was hat sich ereignet?
Ein Mann, fremder Weisheit voll, auf einer ehrwürdigen Tradition fußend, aber auch moderner westlicher Kultur nicht unkundig, beschließt, eine Reise durch Europa zu machen. Er stand diesem Europa skeptisch gegenüber, er, ein Kontemplativer durch und durch, mußte es als etwas Wesensfremdes und Unheimliches empfinden. Er überwand sich, er fühlte, daß er diesen unruhigen, diesen an ein sausendes Rad gebundenen Menschen etwas zu bringen hatte. Nein, er bildete sich nicht ein, Erlöser zu sein, Textstelle fehtl im Buch. Re. kaum Beispiel; er wollte kommen wie die Abendröte über eine Richtstatt ... ein letzter freundlicher Schimmer. Er hätte vielen Glanz und Ahnung von Besserem bringen können. Es ist nicht gelungen. Denn die Europäer haben verhindert, daß er Europa zu sehen bekam. Man zeigte ihm ein Stückchen Oberfläche. Und er, ein guter Mensch, wehrte sich nicht.
Er lächelte und ließ sich photographieren und reiste wieder ab.
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Auftakt. Berliner Studentenversammlung. Studiosus Klamuffke protestiert gegen den festlichen Empfang eines Menschen, von dem niemand etwas weiß. Studiosus Piefcke spricht etwas von wohl angebrachtem Mißtrauen gegen fremdstämmige Elemente. Gebrüll ringsum. Die Hakenkreuze wackeln.
Da gibt endlich einer den Tip: mit dem Kerl aus Indien läßt sich Zaster machen! Der Dichter wird zum Objekt der Fremdenindustrie. Er wird von vornherein von jedem realen Leben abgesperrt. Er wird von Stadt zu Stadt geschleift, muß sich begaffen lassen, wird immer wieder photographiert. Jedes ernsthafte Studium der deutschen Volksseele wird ihm unmöglich gemacht. Die Intellektuaille hält ihn umzingelt. Er wollte Deutschland sehen, und man zeigte ihm überall nur den – Kurfürstendamm.
Ganz schlimm wurde es in Darmstadt, wo ihn das Grand Hotel Weisheitsschule hoffnungslos okkupierte. Der Inhaber des Instituts, der berühmte philosophierende Weltreisende, machte den Impresario. Vom Morgen bis zum Abend Interviews. Generaloffensive von Zierbengeln und Blaustrümpfen. Und wenn der alte Herr schließlich müde wurde, beschwichtigte der Manager die Meute der Reporter: ah, der Tagore ist der vornehmste Mensch, der mir jemals zu Gesicht gekommen ist. Und schnurstracks trug es der Draht nach allen vier Windrichtungen.
Berlin brachte den Gipfelpunkt. In der Universität, die Nicolai ausgestoßen hatte, mußte der Prediger der Langmut und Nächstenliebe sprechen. Der Rektor in seiner Eröffnungsrede entschuldigt gleichsam, daß in den geweihten Räumen die Sprache des Feindbundes ertönt. Und draußen in den Gängen prügeln sich einige hundert Menschen, denn jeder will in den Saal, um den Prediger der Langmut und Nächstenliebe zu hören und anzustaunen. Bis endlich die Schupo die Geisteshungrigen auseinandertreibt und diejenigen, die nicht mehr weiter können, dem Sanitätsdienst überantwortet.
Am selben Abend große Aufmachung in den Zeitungen. Tagore wird begrüßt als Vertreter der indischen Freiheitsbewegung gegen die Knechtschaft Englands (tatsächlich!). Ein Organ des Großagrariertums schrieb: Der Mann hat in Deutschland mit seinen Büchern so viel verdient, daß es ein starkes Stück wäre, wollte er diesem Lande seine Reverenz verweigern; das deutsche Volk nimmt den Dank dieses überflüssigen Ausländers mit Gelassenheit als selbstverständlich hin. Und in den Kabaretten wurden Witze gemacht über den langen Bart und den Kaftan; und es sang einer: Ich gehe hinter Stacheldraht, wenn der Rabbi Indra naht!
Der Weise aber lächelte und ließ sich photographieren.
Ob er heute unter den Palmen Buddhas den Schwindel durchschaut?
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Er hat Deutschland das Land der Hoffnung genannt, aber er hat es nicht gesehen. Er war Objekt der Fremdenindustrie, Clown der Saison, Panoptikumfigur. Es war ein ekelhaftes Schauspiel, dieses Scharwenzen vor dem Geiste des Ostens, den wir nicht erfassen können, vielleicht weil wir dessen unwürdig sind, jedenfalls aber, weil wir nun einmal anders sind.
Und doch, er hätte Gutes bringen können. Er hätte in den werktätigen Sklaven der täglichen Mühsal ein Licht entzünden und die so Erkenntnis bringen können, daß dieses Schuften und Raffen eben nicht alles ist. Er hätte, ein brauner Weihnachtsmann mit silbergrauem Bart, mit Jungen und Mädeln durch den deutschen Wald gehen können. Er wäre ein ewiges Erlebnis geworden, der östliche Gast, der Botschafter einer fremden Welt. Es hat nicht sein sollen. Die Konjunktur verbot es.
Links vom Zentrumsturm
Zu den vielen Absonderlichkeiten des gegenwärtigen deutschen politischen Lebens gehört es auch, daß die eigentliche Staatspartei das Zentrum geworden ist. Zwar hat diese Partei immer ein erhebliches Maß Schlauheit an den Tag gelegt. Bald ausgesprochen reaktionär, bald maßvoll fortschrittlich, vielgestaltig und in allen Farben schillernd, so hat sie durch die Jahrzehnte ihren Besitz gewahrt und ihre Macht erweitert. Hat Bismarck überlebt und die Revolution und es glänzend verstanden, sich den jeweiligen Tagesstimmungen anzupassen. Ein Band nicht materieller Interessen hält diese Partei zusammen, wir lehnen ihren Geist ab, aber wir respektieren ihn. Wir wissen, daß er die verschiedenartigsten sozialen Elemente, die anderswo in bitterer Fehde miteinander liegen, bindet. Das Zentrum stellt eine gewichtige Lehre dar für unser gesamtes verrottetes Parteileben. – Was aber verschafft dieser Partei ihren überragenden Einfluß? Ist es die kolossale Überlegenheit der christ-katholischen Idee oder die glänzende Organisation der Partei Windthorsts? Ach nein, die Erklärung liegt einzig in dem Versagen des nichtkatholischen Bürgertums. Es ist an und für sich eine müßige Frage, ob die parteibildende Kraft des deutschen Bürgertums für immer erschöpft ist und ob etwa die Rechtssozialisten in der folgenden Zeit den Platz des alten Liberalismus einnehmen werden. Festzustellen ist nur, daß die katholische Partei niemals die Suprematie in Deutschland erlangt hätte, wenn nicht die politisch Denkenden und geistig Gerichteten überhaupt in immer wachsendem Maße den alten liberalen Gruppen Valet gesagt hätten. Der Zentrumsturm steht fest, aber links davon liegen ein paar Ruinen, rettungslos dem Verfall preisgegeben, jeder Konservierungsarbeit spottend. Deutsches Bürgertum! Eine Tragikomödie liegt in diesem Wort. Am Anfang das Heckerlied und am Ende »Heil dir im Siegerkranz«. Geschäftstüchtigkeit und Unternehmungslust, kein Zweifel, aber leider auch Servilismus und Rechnungsträgerei, und vor allem: gar kein Prinzip, kein geistiger Gärstoff, kein Ferment! Die deutsche Republik mag zusehen, wie sie weiterkommt. Am liebsten wünschte man sie dahin, wo der Pfeffer wächst. Aber das gäbe wieder neue Unruhe und neue Geschäftsstörung. So bleibt man denn mit einer Lackspitze bis auf weiteres auf dem Boden der Weimarer Verfassung. Was ist das deutsche Bürgertum? Ein ungeheures Vakuum. Und in diese Lücke tritt der Schwarzrock. Breitbeinig, fest, zwischen Reaktion und Sozialdemokratie. Und man kann eine gewisse Beschämung nicht verbergen. Die Leute machen ihre Sache gut. Sie bringen Klugheit mit und Willen und zum Teil ein lebhaftes und gesundes demokratisches Gefühl; sie setzen sich für die schwarzrotgoldene Demokratie ein, nehmen den Haß der Rechten auf sich und ducken sich nicht – auch nicht, nachdem der Mord in ihrer Führerschaft Bresche geschlagen hat. Wirklich, sie sind Staatsmänner und tapfere Kerle, verglichen wenigstens mit dem, was in ihrer Nachbarschaft zur Linken sein Wesen treibt. Aber bei aller Anerkennung, bedenklich wird mir zu Mute bei dem Gedanken an die Rechnung, die einmal ausgestellt wird für die Rettung der Republik! O, du arme deutsche Schule ...!
Monistische Monatshefte. 1. November 1921