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Vom deutschen Balkan

In Osnabrück sprach Anfang März H. v. Gerlach in einer öffentlichen Versammlung unserer dortigen Gruppe. Kurz vor Beginn versuchten einige Angehörige des Freikorps Lichtschlag mit Waffen in den Saal zu dringen. Als die Ordner ihnen in den Weg traten, und sie aufforderten, die Waffen draußen zu lassen, wozu ihnen das Reichsvereinsgesetz ein Recht gibt, wurden die Soldaten aggressiv. Einer davon zog den Revolver und feuerte. Erich Knüppe, der 24jährige Sohn unseres dortigen Vorsitzenden F. Knüppe brach schwer getroffen zusammen und lag lange Zeit zwischen Leben und Tod. Der Schuß war durch den Hals gegangen und hatte das Rückgrat verletzt; heute nach mehr als vier Monaten muß noch immer mit dauernder linksseitiger Lähmung gerechnet werden.

Die Presse nahm von dem Vorfall nur wenig Notiz. Dagegen gelangt in einige Blätter eine verlogene Darstellung von seiten der »Pressestelle« des Korps Lichtschlag. Ein Telegramm an den Reichspräsidenten war ohne Erfolg. Erfolglos blieben auch Eingaben an das Reichswehr- und Justizministerium. Der Vertreter Knüppes, Rechtsanwalt Rahardt in Osnabrück, wies darin nach, daß eine »Dienststelle« in Berlin an Offiziere des Korps die Weisung habe ergehen lassen, die Versammlung zu sprengen. Die Staatsanwaltschaft aber lehnte ein Eingreifen ab, da »nicht genügend Material vorliege«.

Da wurde Ende Mai der Täter, ein Ulan Esser, in Hannover verhaftet. Man hoffte, daß jetzt endlich der Stein ins Rollen kommen würde. Die Haft währte nicht lange. Nach ganz kurzer Zeit bereits wurde er auf freien Fuß gesetzt. Fluchtverdacht bestehe nicht!

Ein junger Mensch, der von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, das ihm das Gesetz verleiht, wird von einem Rohling angefallen und für Lebenszeit zum Krüppel geschossen. Der Verbrecher läuft, mit dem Vertrauen einer hohen Staatsanwaltschaft belastet, unbehindert in der deutschen Freiheit herum. Über der ganzen Tragi-Posse aber thront das Reichswehrministerium und fußt nach wie vor auf dem Bericht der Lichtschlagschen »Pressestelle«.

Schön und ehrenvoll ist es in Deutschland, Pazifisten über den Haufen zu schießen!

Mitteilungen der Deutschen Friedensgesellschaft, August 1920


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