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Sie rüsten ihm den Scheiterhaufen,
Mit Feuer sein Geblüt zu taufen.
Ein altes Preisgedicht auf den Vogel Phönix hebt also an, und wie der unsterbliche Sänger, den Todesflammen trotzend, der Asche entsteigt, sollen auch diese mit Unrecht vergessenen und längst verwehten Lieder hier zu neuem Leben erwachen. Da Arnim und Brentano aus dem unversiegbaren Brunnen des Volksgesanges ihr herrliches »Wunderhorn« schöpften, waren die Weisen schlichter Leute, die Bauernromanzen, Handwerkerlieder und Soldatenballaden von den Schöngeistern gering geachtet. Seitdem haben wir in jenem Nibelungenschatz deutscher Poesie unsern köstlichsten Besitz lieben gelernt. Aber vieles ist noch ungehoben, was der Sangesfreudigkeit des schlichten Mannes einst vertraut war, und namentlich in Österreich, wo deutsche Sinnesart immer mehr eingeschüchtert wird vom stürmischen Geist fremder Völkerschaften, droht unsern alten Volksliedern völliges Vergessen.
»O du süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Wienersprach!« singen die Herren am Volkssängertische, die »blanke Röhren« auf dem Kopf und mit glattrasiertem Gesicht. Aber ganze Stadtviertel Wiens sind schon von Slaven bewohnt, und die Kaiserstadt an der Donau muß jetzt um ihren deutschen Charakter kämpfen. Da ist es Zeit, die alten Weisen zu sammeln, die in den Tagen der Väter im Wiener Volke lebten und Luft und Leid, Tugenden und Fehler dieses gemütvollen Menschenschlages spiegelten.
Der Plan zu solcher Sammlung, die ein österreichisches Wunderhorn werden sollte, beschäftigt mich seit langem. Ach sprach oft davon im Kreise meiner Freunde, und einmal überraschte mich der Bildhauer Karl Wilfert der Jüngere mit einem Bündel vergilbter Drucke. Es waren Lieder aus Altwien, und die Blätter hatten sich vorgefunden in einer jener buntbemalten Truhen, wie sie heute noch im Egerlande manchen Hausrat der Kleinbürger zieren. An hundert Jahre mochten sie friedlich in dem Geheimfach geruht haben neben einem vertrockneten Sträußlein Rosmarin, das der Hochzeiter an seinem Ehrentage getragen, dem Lehrzeugnis und dem Meisterbrief und ähnlichen Erinnerungen eines schlichten Handwerkerlebens.
Damals wandelten die Werkgesellen am liebsten nach Wien, und hatten sie nach altem Burschenbrauch vor dem Stadttor in den bekannten »Stock im Eisen« ihren Nagel geschlagen, dann fühlten sie sich als Bürger der Wiener Gemeinde. Der Melodienzauber der Kaiserstadt umfing sie, und wären sie von der Heimat aus nicht schon Freunde des kernfrischen Liedes gewesen, an der schönen blauen Donau mußten sie das Singen erlernen. In Wien war die Volksmusik zu Hause, dort sang alt und jung, und der fremde Handwerksbursch wurde der eifrigste Schüler der Harfenisten, Geiger und Sackpfeifer.
Was die Straßensänger im Prater zum besten gaben, bekam man, fein säuberlich gedruckt, beim Jägerhorn am Neubau oder am oberen Jesuiterplatzel um einen Groschen zu kaufen. Die Kupferstichhändler machten mit den Einblattdrucken auf den Jahrmärkten einen guten Handel; damals stellte sich jeder sein weltlich Liederbüchlein nach eigenem Geschmack zur angenehmen Unterhaltung selbst zusammen. So ist auch der Band entstanden, den der Egerländer Handwerksbursche als ein Denkmal an seine frohe Wiener Zeit mit in die Heimat genommen hat.
In dem Liederbündel fand ich Weisen, die in der galanten Schäferzeit entstanden sind, wo es in Wien noch keine Fiaker gab und Sänftenträger ihre seidenrauschende Bürde in flinkem Lauf zur Oper oder Komödie brachten. Aus der Zeit, als die Schreckensboten die erste Kunde von der französischen Revolution in das stille Wien brachten, bis in die Tage, da Napoleon im Schlosse Schönbrunn Aufenthalt nahm, reichen diese »fliegenden Blätter«. Es war manches darin, das mir die Kinderfrau noch an der Wiege sang, und manches, das zu den erlesensten Seltenheiten gehört und kaum in einem zweiten Drucke vorhanden sein dürfte.
Auf dem Umweg über die freie Reichsstadt Eger in Böhmen waren diese Altwiener Drucke zu mir gekommen, und sie bilden den Grundstock meiner Sammlung, die durch spätere Funde und Erwerbungen erheblich vermehrt worden ist. Vieles hielt einer strengeren Prüfung nicht stand und mußte ausgeschieden werden, anderes kam neu dazu, denn bis zum österreichischen Völkerfrühling, bis an die Grenze des Vormärz zog ich den Rahmen meines Buches, so daß es mit dem Sturmjahr 1848 schließt.
Ich hoffte, in der Wiener Universitätsbibliothek Brauchbares für meine Anthologie zu finden; allein den Wert dieser Arien und Bänkel hatte man früher viel zu gering geachtet, um sie zu sammeln. Nur im Rathausmuseum gibt es einige Konvolute mit Altwiener Einblattdrucken. Daraus stammen ein paar prachtvolle Stücke meines Buches, so das Lied vom heurigen Wein, der Bürgermarsch auf die Kaiserin Katharina und das fliegende Blatt auf den Tod Schwerins. Es stellte sich bald heraus, daß Einblattdrucke viel schwerer zu erlangen sind als alte Bücher; die losen Blätter hat die Zeit verweht, sie waren dem Besitzer nicht kostbar genug, sie einem spätern Geschlecht aufzubewahren. Doch habe ich die Unterstützung manches Sammlers gefunden und manches Literaturfreundes und muß hier namentlich dem Bildhauer Karl Wilfert d. J. in Eger, dem Maler Hugo Steiner-Prag, königl. Professor in Leipzig, dem Schriftsteller Dr. Johann Pilz in Kladrub a. E. und Herrn Erwin Lion, einem feinfühligen Wiener Sammler, für die Förderung meiner Arbeit danken.
Es war sehr verlockend für mich, die Reihenfolge der Arien und Bänkel nach der Zeit ihres vermutlichen Ursprunges zu ordnen. Ebenso verlockend wäre es gewesen, die einzelnen Stücke dem Inhalt nach zu gruppieren, die Lieder unbändiger Lebenslust von den Trauerweisen zu trennen, Domestiken- und Handwerkerlieder, Soldatengesänge und Jägerballaden nach ihrem seelischen Gehalt zu sondern. Es unterblieb aus der gleichen Erkenntnis, die den Romantikern Arnim und Brentano die planlose Willkür in der Zusammenstellung ihres Wunderhorn anriet. Sie haben wohl gefühlt, daß solch einer Sammlung nur so die letzte ursprünglichste Wirkung gesichert bleibt. Und auch ich bin zu dieser Überzeugung gekommen, bestärkt durch Liliencrons Wahlspruch: variatio delectat. Detlev von Liliencron wollte in seinen Büchern nach der Zeugenschaft Dehmels »jedes einzelne Gedicht so deutlich wie möglich auf seinen selbständigen Reiz begrenzen und stellte darum die verschiedensten Stimmungsgebilde in sprunghaftem Wechsel nebeneinander«. Was für die Kunstdichtung Geltung hat, bedeutet in der Volkspoesie erheblich mehr. So habe ich in der Anordnung der Stücke Willkür walten lassen und hoffe, daß die Arien und Bänkel aus Altwien ihren einstigen Farbenglanz wiederfinden und ein gern gesuchtes Zeugnis werden für die Zeit, da Wien, diese Stadt der Lieder, die Stätte des Volksliedes war.
Im Sommer 1913.
Oskar Wiener.
Vier schöne neue
Weltliche Lieder,
Das Erste.
Hört mich nur ein wenig an
Das Zweite.
Los auf, mein liebe Mutter, ich
Das Dritte.
Ach, ach, entweichet
verliebte
Das Vierte.
Die Zeiten Brüder sind
nicht mehr.
Wien, zu haben, bey Gottlieb Borck, wohnhaft am Neubau bey den zwey Jägerhorn Nro. 117.