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Vom singfrohen Altwien

Eine Studie
von
Oskar Wiener

In den Dreißiger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts saßen in dem Bierhause des Komödiengässels, welcher Schankort zugleich die Akteur-Herberge oder Innung war, eines Nachmittags die beiden hochpreislichen Hanswurst-Komödianten Stranitzky und Prehauser bei Bier und Kreuzerwürsteln. Sie besprachen sich über das heute wieder zu gebende Stück:

Der großmüthige Ueberwinder seiner selbst
mit Hanns Wurscht
den übel bekannten Liebhaber vieler Weibsbilder

oder:

Hanns Wurscht der Meister: böse Weiber
gut zu machen.

Dieses Stück sollte statt eines andern aufgeführt werden, welches »unvorsichtiger Hinternisse wegen für dießmal zu reteniren«, nämlich:

Die Verfolgung aus Liebe
oder
die grausame Königinn Atlanta

mit Hanns Wurscht, dem lächerlichen Liebes-Ambassadeur
Betrogenen Curiositätenseher – Einfältigen Meichlmörder
Interessirten Kammerdiener – Unschuldigen Arrestanten
Und Inspektor
über die bey Hoff auf der Stiegen Essende Gallantomo.

Das übrige wird die Aktion vorstehlen.

Die beiden »Hannswürschte« in ihrem finstern Winkel waren nicht recht bei guter Laune. Besonders den Prehauser wurmte es, daß das Publikum an der Herrschaft der Hanswursterei keinen rechten Geschmack mehr zu finden scheine; den Prehauser wurmte es, daß das Reich des Hanns Wurscht auch vom Auslande her und sogar von vaterländischen, besonders auch von Wienerischen Schriftgelehrten kecklich und wirksam angegriffen und schier erschüttert werde; der Prehauser sah seine Zukunft bedroht; der Prehauser ahnte schon damals, daß er wohl der letzte Hanswurst auf Erden sein werde; der Prehauser weinte; dicke Tropfen fielen in das Bierglas; der Prehauser schluchzte, und begann gar kläglich zu winseln.

Der Stranitzky dagegen beschwor den Prehauser, mit dem Flennen aufzuhören, da solch ein Schauspiel vor so vielen Gästen, nämlich ein flennender Hanswurst ihrer Reputation noch mehr schaden müsse. Wir werden uns im strengsten Fall auch ohne das Komödienspielen fortbringen, sagte er; ich bin gelernter Wund- und Zahnarzt; du bist ein Kranzelbinder oder so etwas; der Weiskern ist belesener und gelehrter Kerl, der wird uns schon an die Hand gehen. Warum er aber heute so lange ausbleibt, das möchte ich wissen!

Der wirklich sehr unterrichtete, vielseitig gebildete Weiskern, der Dritte des hanswurstischen Kleeblatts war deshalb so lange ausgeblieben, weil er erstens, nachdem er sich von dem Extemporier- und Hannswurschtwesen schon so ziemlich abgewendet, eine Rolle als junger Held vollends einstudiert, und zweitens eine architektische Zeichnung hatte fertig machen wollen, die den neuen Bau des Burgtheaters betraf. Doch allzulange ließ er nicht auf sich warten. Nachdem er ein Paar Gläser Horner und einige Kreuzerwürste verzehrt hatte, nahm er in ernsthafter Haltung das Wort: »Ihr müsst Euch in Geduld fassen, meine lieben Brüder,« sagte er, »ich bringe Euch eine curiose Neuigkeit. Einer der ausländischen Hauptfeinde des Hanswurst ist jetzt hier in Wien; und daß ich es kurz sage: der Schönemann!«

Bei Nennung dieses Namens sprangen Stranitzky und Prehauser in einer Art schreckhafter Überraschung von der Bank empor. »Was,« rief Prehauser aus, »der Schönemann, der freche Gesell, der Umwälzer, der Rebell, der hochtrabende übermüthige Hochdeutsche mit seinen affectirten Verbesserungen? Warum bleibt der Kerl nicht bey der Neuberschen Truppe? Was braucht der Kerl selber Comödianten-Prinzipal zu werden? Was hat er sich in unsere wienerischen Angelegenheiten zu mischen?« –

Dies Bildchen aus Altwien hat Franz Gräffer gezeichnet, der schrullige Antiquar und Sammler der vormärzlichen Kaiserstadt. Die Not der lustigen Räte von Anno 1730 schildert er und den bedeutungsvollen Augenblick, der ihren Sturz vorbereitet. Die Stunde sollte bald schlagen, da die deutschen Hanswürste – die Erben des welschen Harlekin in Wien – von der Bühne abtreten und die Pritsche mit der »Harpfen« vertauschen mußten. Nun ziehen sie von Hof zu Hof und halten sich am liebsten draußen vor der »Linie« auf, wo in den Herbergen der Heurige geschänkt wird und ein vergnügliches Treiben herrscht. Nach der ehrwürdigen Melodie des Heubauern reimen die Fahrenden ihre Gesänge, und weinseliger Frohsinn schallt aus den derben Liedern. Manchmal wird der zärtliche Text von Wundergeschichten abgelöst, oder ein Unglück, das die Stadt bewegt, oder ein Fest gibt den Stegreifdichtern neue Stoffe. Mählich vergessen sie ihre Hanswurstallüren und werden zu harmlosen Straßensängern. Im Prater, wo das geputzte Volk seinen Sonntag feiert, auf den grünen Glacis vor den Stadttoren sitzen sie im Schatten eines Baumes, schlagen ihr Hackbrett oder streichen die Fiedel und singen dazu:

Wer schafft neue Kopfmatratzen
Nach der Mode ausstafirt,
Schöne Haar, in den die Ratzen
Schon ein halbes Jahr loschirt,
Braune Zinsen, schwarze Recheln,
Doktorsknöpf und Zweifelsbrecheln,
Alle recht galant frisirt.

Es kommen andere Tage. Das josefinische Zeitalter ist dahin, dem Menuett folgt der Walzer, die tänzelnden Rhythmen der Schäferlieder verklingen, und die verspielte Heiterkeit der Biedermeier wird lebendig. Das Wien der Kongreßzeit mit seinen Porzellanfigürchen, den Streublumen und Elfenbeinminiaturen ersteht. Kaiser Franz residiert in der Hofburg, und die vielverspottete Gemütlichkeit des Wienertums ist noch echt. Die großen Ereignisse draußen in der Welt bewegen nur wie ein sanfter Windhauch die Fahnen des Lebens. Man tanzt auf den Hausbällen oder ergeht sich in den drei Paradiesgärtchen und alt und jung schwärmt für Lanner und Strauß. Einst summte alle Welt die Arien der italienischen Oper, dann wurde Mozart der Herr des Tages, und die Mädchen mit den hochgekämmten Haaren trällern: Bei Männern, welche Liebe fühlen … Nun werden Schubertlieder zum Spinett gesungen, und Saphir macht seine ersten Witze. Aber draußen im Prater ist noch das Bänkel lebendig, und in den weiten Höfen der Vorstadthäuser sammelt der Harfenist geruhsam seinen Groschen ein.

Überall wird gesungen, überall getanzt in der Wienerstadt. Selbst die bescheidensten Familien wollen ihren Hausball haben. Die Kleinbürger räumen die »gute Stube« aus, und wenns darin zu eng ist, so hängt man den Geiger in einer Butte an die Wand, damit er den Tanzenden nicht im Wege steht. Das ist die Zeit der altväterlichen Behäbigkeit, wo die Stände nicht so geschieden waren wie heutzutage. Da pilgerten die jungen Herren vom Adel und die reichen Bürgersöhne, ohne daraus ein Geheimnis zu machen, nach der »Wäscherburg« am Sechsschimmelberg. Die Schenke hieß eigentlich »Zur schönen Schäferin«, und die Wäschermadeln drehten sich dort beim Lied der Harfenisten.

Geht's hebt's enk, geht's draht's enk, geht's macht's es recht bunt,
Jetzt kummt d'Wäscher-Tonerl vom Himmelpfortgrund:
Sie is a jung's Maderl, will a was probir'n,
Desweg'n laßt's ihr Lebtag ka Traurigkeit g'spür'n.

Eine ungestillte Heiterkeit, ein ewiges Kichern und Frohlocken war über diesem Wien aus den Großvätertagen gebreitet, und die Leute von Lichtenthal und Thury gingen den andern Bürgern in der liebenswürdigen Laune mit gutem Beispiel voran. In zwei Gassennamen nur lebt die Erinnerung an die alten Wiener Vorstädte Thury und Lichtenthal, die zusammen mit dem Himmelpfortgrund im Volksmund die »Wiesen« genannt wurden. In diesen »harben Gründen« waren die Harfenisten zu Haus, dort sind die kernigsten Bänkel gedichtet worden. Jenes pittoreske Stück Altwien war die Hochschule der Natursänger und Kunstpfeifer, die den schmucken »Alsernixen« und »Lader-Nymphen« zu Ehren dudelten und jodelten und im »Wäscher-Tonerl« die höchste Verkörperung edler Weiblichkeit priesen.

Damals begrenzten das Leben engere Bezirke, und kleiner waren die Sorgen der Menschen. So hatten sie Zeit, sich über Dinge zu erhitzen und Fragen durchzukämpfen, die uns heute wie Stürme in einem Wasserglas erscheinen. Durch Kaiser Josefs Preßentfesselung gerieten ungezählte Schreibfedern in Bewegung. Neben den Wäschermadeln waren die Stubenmädchen der Stolz der Wiener; sie galten als anmutig, heiter und witzig, und ein Verehrer der lieben Dinger nennt sie: schalkhaft, aber zugleich bieder, flatterhaft, aber dabey möglichst treu.

Ein Mann namens Rautenstrauch beging nun den unerhörten Frevel, in einer Flugschrift diese Perlen der Domestikenwelt trüben zu wollen. 1781 erschien die vierte Auflage des Büchleins, und die goldene Jugend Wiens nahm den Fehdehandschuh mit flammender Entrüstung auf. Das ist der Trojanische Krieg an der Donau, und es schneite Broschüren, die betitelt waren: »Über die bewussten Mademoiselles in Wien« – oder: »Das Schreiben des schönen Stubenmädchen an Herrn von H.« – oder: »Die Rede einer Stubenmaid an ihre Mitschwestern.« Es kam zu einer literarischen Fehde, die von der ganzen Kaiserstadt mit atemloser Spannung verfolgt wurde. Einen förmlichen Aufstand verschuldete Herr Rautenstrauch, weil er den jungen Damen die goldenen Ohrringe, die silbernen Schuhschnallen und seidenen Leibchen mißgönnte und solch einen Luxus bei einer Jahresbesoldung von zwanzig Gulden für sündhaft erklärte.

Die schreibgewandten Herren verbrauchten mächtige Bündel von Gänsekielen, aber in den Bierhäusern der Stadt und in den Heurigenschenken der Vororte brach man für die dienende Weiblichkeit gleichfalls seine Lanzen. Dort hatte der Spielmann das Wort, und er pries das schönste Kammerkätzchen:

Sie singt beym Rahmen oder Spinnrocken
Ein geistlich oder weltlich Lied,
Die Morgenhaub um ihre blonde Locken,
Bis ihre stille Trauer entflieht.
Verleumdet nicht und spielt nicht die Koquette,
Wird durch kein leer's Geschwätz entzückt,
Schläft ruhig ein und springt aus ihrem Bette,
Sobald die Sonn' ans Fenster blickt.
Die Dame selbst wird aus dem goldnen Wagen
Nach deiner lieben Hanne sehn.
Und knirschend sich den platten Busen schlagen
Und seufzen: Sie ist wahrlich schön.

Die Lichtenthaler Grazien liebten dafür ihre Verteidiger und waren die gelehrigsten Schülerinnen im Liedersingen. Lange blieb der Harfenist für das Volk der Vermittler jeglicher Literatur. Heute noch ist von Urgroßmutters Zeiten her der Ruhm des »picksüßen Hölzels« nicht erloschen. Das war der Gruber-Franzel, und er verstand die reschesten Lieder zu singen mit seinen Quartettgenossen: dem Handschuhmacher-Karl, dem krumpen Erbes und seinem blinden greisen Vater, der die andern auf der Harfe trefflich begleitete. Wo er erschien, sei es auf den alten Höfen, sei es auf den Tanzböden, stellte sich Jubel und eitel Sonnenschein ein.

Es ist noch nicht lange her, da wurde in Wien der letzte Harfenist zu Grabe getragen. Draußen auf dem Alsergrund, wo noch manche morsche Linde ihre Äste über die Höfe breitet und ein knorriger Weinstock die Mauern emporklimmt, in den kühlen und dämmrigen Hausfluren, wo noch das ewige Licht unter einem Muttergottesbild flackert, pflegte der alte Baumann mit zittriger Stimme seine Lieder zu singen. Aus einer längst versunkenen Zeit stammten die Weisen des kleinen buckligen Männleins, und die verblaßten Augen des Spielmanns blickten schwermütig wie aus verwehten Träumen in die neue, völlig veränderte Zeit. Allein seine Harfe hatte oft noch einen frischen und stürmischen Klang. War doch der alte Baumann einst am Wiener Konservatorium gebildet, und nur weil er als junger Mensch in den Wirtshäusern gespielt und gesungen und nachher mit dem Sammelteller von Tisch zu Tisch ging, hatten ihn die Professoren aus der stolzen Anstalt gewiesen.

Der greise Baumann war nicht der einzige unter den Volkssängern, die über Bildung verfügten und mehr wußten, als man ihrem schlichten Stand zutrauen möchte. Wie Weiskern, der Stolz des neuen Wiener Burgtheaters, seine Laufbahn als Hanswurst im Prater begonnen, so war der Reformator der spätern Straßensänger Johann Baptist Moser aus dem Stande der Schullehrer hervorgegangen. Er hat den Harfenisten ihr königliches Instrument aus den Händen genommen und sich singend ans Klavier gesetzt. Moser ist der Überwinder jener Altwiener Barden, die über sich kein Dach duldeten. Wenn sie aus den Vororten in das kleine basteiumgürtete Wien zogen, dann blieb ihr Ziel der »Hohe Markt«, wo bei der Schranne die Diebe und Kindesmörderinnen Pranger stehen mußten. Just der Schranne gegenüber gab es seit dem sechzehnten Jahrhundert eine Schenke, zum »Breiten Stein« genannt. Dort gaffte das Volk stundenlang die zur Schau gestellten armen Sünder an, und wenn dann der »Liebe Augustin« kam oder sonst einer seiner singenden Zunftgenossen, war ihm auf dem Hohen Markt ein weiter Zuhörerkreis sicher.

An der Prangerecke war der Spott zu Hause, drastischer Witz und beißende Ironie beflügelten dort auch die Lieder der Barden. Die Unebenheiten des Daseins, die Lächerlichkeiten der Welt wurden schadenfroh gegeißelt; den Splitter im Auge des Nächsten besangen die Harpfner, lieber noch priesen sie den derben Sinnengenuß als die höchste Weisheit des Lebens. Oder es meldete sich ein Griesgram und erhob seinen Unkenruf:

Was thut dem Menschen das Leben abkürzen,
Als nur die heuchelnde schmeichelnde Lieb;
Was thut den Menschen ins Elend stürzen,
Als nur die Liebe, des Herzens Dieb.
Diese hat so grossen Gewalt,
Daß der Mensch zu Boden fallt.

Lachend Wahrheiten zu sagen, war von je ein Privileg der lustigen Räte. Die Dummheiten und Verkehrtheiten der Wienerstadt geben den Bänkelsängern den willkommensten Stoff. Die große Frage: wie kommt man unter die Hauben? wird schmunzelnd erörtert und die bittere Erkenntnis: die Ehe ist der Liebe Grab, oder der alte Erfahrungssatz: auch die Weiber trinken gern. Da ist nichts, was den Späheraugen der Fahrenden entginge, nichts, was ihrer Schonung sicher wäre. Das haben schon die scheckigen Hanswürste im Prater getan in ihrer hundertfach variierten Heubauernweise, und die Volkssänger von heute halten es ebenso. Wie jetzt zu Wien der »Narrische Randl«, der Schöpfer der Weise: »Die Burgmusik, das ist mein allerhöchstes Glück«, von den Wienern gefeiert wird, so Anno dazumal der Dichter des Liedes »Vom Brigittenauer Kirchtag« oder jener Ungenannte, der das Lob des Apollosaales in Reime gebracht hat:

Ich hab' einmahl d' Zeitung g'lesen,
Ist d'rinn große B'schreibung g'wesen
Von nen' Saal in Wienerstadt;
Auf der Mariahilfer-Straßen,
Draußen in der Zieglergassen,
Den man jüngst gebauet hat.
Potz Stern! – Thun Sie es gar wagen
Und getrauen sich zu sagen,
Man darf auf die halbe Welt,
England, Frankreich, Rußland, gehen,
So wird man kein' solchen sehen,
Der auf diese Art herg'stellt.

Das war jener berühmte Tanzsaal, wo in der Kongreßzeit die Adelsbälle stattfanden. Nachher wurden in diesem von den Klängen Straußscher Walzer träumenden Raum die ersten Kerzen gegossen. Unter dem Namen Apollokerzen haben sie draußen in der Welt späteren Karnevalsfreuden geleuchtet und waren wie eine Erinnerung an Biedermeiers Vergnügungen im alten Wien. Manchmal schwamm auf dem blauen Meere der Heiterkeit ein schwarzbewimpeltes Schifflein der Trauer. Dann griff der Fahrende in die Saiten und sang:

Klage Jüngling! löse deine Haare,
Mädchen nimm den Unschuld Kranz herab;
Weih' ihn dieser Tugend Heldin Bahre,
Und begieß mit Thränen dieses Grab.
Eine Jungfrau in der Jugendblüthe
Wie die Rose, die der Knosp' entschwillt,
Ganz mit Schönheit, Anmuth, Huld und Güthe
Und mit Engelreinigkeit erfüllt.

Solch melancholische Lieder wurden sehr gern gesungen im lustigen Wien; namentlich wenn ein Mitglied des Kaiserhauses starb, dann verstummten auf eine Zeit die galanten Arien. Nach der Hinrichtung der Königin von Frankreich, der Schwester Kaiser Josefs, hörte man in allen Schenken der Donaustadt die Strophe:

Wer gedenket an die Zeiten,
Wo Antoinett vermählet war.
Und des Ludwigs grosse Freuden,
Als sie Frankreichs Zierde war.
Wer konnte hier die Thränen meiden,
Als sie von Wien den Abschied nahm,
Wer könnt wohl denken all die Leiden,
Die ihr jetzt wurden angethan.

Die Altwiener lasen nicht gern die Zeitung, und wenn sie erfahren wollten, was draußen in der Welt geschah, gingen sie ihren Straßensängern lauschen. Da erfuhren sie, daß Schwerin bei Prag gefallen war, daß Zarin Katharina den russischen Kaiserthron bestiegen hatte, daß eine fürchterliche Feuersbrunst Wiener Neustadt in Schutt und Asche gelegt und daß am geheiligten Fronleichnamstage 1820 im Dorfe Luko »eine reiche und gottlose Bauersfrau ins Feld gegangen, um Klee zu holen und wie sich ihr zur Strafe eine Schlange um den Hals geschlungen hat«. Eine unglückliche Spazierfahrt auf der Donau, die acht jungen Menschen das Leben kostet, wird ebenso ausführlich besungen wie die Heldentaten des Feldmarschalls von Laudon oder das Schicksal des Korporals Eduard Einsam, von dem es im Liede heißt:

Als Einsam sechzehn Jahre zählte,
Trat er selbst zum Militär.
Er war ein tapfrer holder Jüngling
Darum liebte ihn auch ein jeder Herr.
Er bekam auch ein Ehrenzeichen
Mit Gold war seine Brust geziert.
Und in kurzer Zeit mit Freuden,
Ist er zum Korporal avansirt.

Die Frauen weinten über das Trauerlied von den Soldaten, die am 5. Juni 1794 als fahnenflüchtige Deserteure erschossen wurden. Begeistert stimmten die Handwerker und Bürgersleute in den Marsch vom Wiener Studentenaufgebot:

Ein Bonaparte, stolz und kühn.
Wagt sich ins Österreich;
Der Feldherr zielt sogar auf Wien,
Welch ein verwegner Streich!
Er glaubt, daß Franz nicht Männer hat.
Die ihm entgegen gehn.
Nein Bonapart, die Kaiserstadt
Wirst du gewiß nicht sehn.

Schon das Abenteuer des Korsen in Ägypten wird Anno 1799 von Hansnarr im Wurstelprater nach echter Bänkelmanier besungen, und so hat die große Weltpolitik in den Arien der Wiener Straßensänger ihr kleines, aber scharf umrissenes Spiegelbild. Das bleibt bis in die Tage, wo die gemütlichen Wiener das Revolutionieren erlernen und 1848 Castelli sein Lied für die Nationalgarde dichtet. In dieser stürmischen Zeit des Völkerfrühlings verfaßt der Volkssänger August Betz zu Raimunds Aschenlied einen neuen Text. »An Aschen« ruft jetzt der Aschenmann, wenn er an den Häusern vorübergeht, die die Kanonen des Kaisers mit ihren Pechkränzen in Brand geschossen haben. Aber die guten Wiener sind schnell versöhnt, und in einem Aufruf an Ungarn mahnen ihre Barden den noch immer grollenden Magyaren zur Ruhe. Julika, die Honvendbraut, und die Ballade vom edelmütigen Leutnant Karl Nahorniak sind Erinnerungen an die Feldzüge des Bürgerkrieges, und dann triumphiert der neue Geist, und der Biedermann am Biertisch nickt beifällig, wenn das Lied angestimmt wird:

Die Leut, dö über d' neuen Zeiten schrei'n.
In dieser schönen Zeit zu leb'n bereu'n,
Dö san vernagelt noch im höchsten Grad,
So wie der Stock im Eisen in der Stadt.
Denn wer in dieser Zeit nöt kann besteh'n,
Der soll in d' Stadt in's Zeughaus lieber geh'n.
Dort mit die blechern Ritter diskurir'n,
Und über d' neuen Zeiten kritisir'n.


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