Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Winterverdruß

L. 75. Diu werlt was gelf, rôt unde blâ

    Die Welt man bunt und prangend sah,
Grün Wald und Anger fern und nah,
Die kleinen Vöglein sangen da,
Jetzt ruft die Nebelkräh ihr Krah!
Verfärbte sich die Welt etwa?
Grau ist sie allenthalben ja –
Viel Naserümpfens drob geschah.

   Ich saß auf grünem Berg im Klee,
In bunten Blumen schritt das Reh;
Nun zwischen mir und diesem See
Ging alle Augenlust Ade!
Wo wir uns Kränze wanden eh,
Da liegt nun Reif und tiefer Schnee,
Der tut den armen Vögeln weh.

    Die Toren lachen laut: Hihi!
Die Armen, ach, wie winseln sie,
Und tun mir leid, weiß keiner wie!
Drei bittre Sorgen hab ich, die
Der harte Winter mir verlieh;
Doch drückten sie mich nun und nie,
Wenn erst ein Frühlingsvogel schrie!

    Eh ich noch länger lebte so,
Aß ich die Krebse lieber roh!
O Sommer, mach uns wieder froh.
Du ziertest Busch und Au, allwo
Beim Blumenspiel mein Kummer floh:
In Lust entbrannt ich lichterloh,
Da trieb der Winter mich ins Stroh!

    Mit Esau lag ich trag in Ruh,
Mein glattes Haar ward rauh im Nu;
Ach Sommerlust, wo weilest du?
Ich säh so gern dem Feldbau zu,
Und eh ich länger so vom Schuh
Mich drücken ließ, wie jetzt ichs tu,
Eh würd ich Mönch in Toberlu!

Ein Spiel mit fünf Vokalen, das vom Truchseß von St. Gallen (Hagens Minnesänger 1, 298) und von Rudolf dem Schreiber (ebenda 2, 264) nachgeahmt wurde. In der zweiten Strophe habe ich mir der Reinheit der Reime wegen einige Freiheiten gestatten müssen. Toberlu (Schönau) war ein berühmtes Zisterzienserkloster an der Dober, das heutige Dobrilugk (Reg.-Bez. Frankfurt).


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