Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Rosenlese

L. 112. Müeste ich noch geleben daz ich die rôsen

    Möcht ichs doch erleben, daß ich Rosen
Mit der Minniglichen könnte lesen;
Wollt ich doch sie herzen so und kosen,
Als ob längst wir Freunde schon gewesen.
   Würde mir ein Kuß zur rechten Stunde
Von dem roten Munde,
Wär ich gleich von allem Leid genesen.

    Was nützt weise Rede, was soll Singen?
Was hilft Weibesschöne, was soll Gut?
Seit man Keinen sieht nach Freuden ringen,
Seit man ohne Scheu nur unrecht tut,
    Daß es Milde, Treue, Zucht und Sitte
Nicht mehr bei uns litte,
Ist verzagt an Liebeslust der Mut.


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