Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Lob der Liebe

L. 92 Ein niuwer sumer, ein niuwe Zit

    Ein neuer Sommer, neue Zeit,
Ein süßes Hoffen, lieber Wahn
Behagen mir im Widerstreit,
Mit Freudenhoffnung angetan.
    Doch eins mir größre Freude gibt
Als aller Vöglein Singefleiß;
Wer Frauenschönheit schätzt und liebt.
Erwirbt sich immer Dank und Preis.
   So hoff ich von der Herrin mein,
Bei ihr muß größre Freude sein.
Die schöner als das schönste Weib:
Anmut verklärt den holden Leib.

    Ich weiß es wohl, der Liebreiz macht
Ein schönes Weib erst schönheitsvoll,
Doch die auf Tugend stets bedacht,
Am meisten man begehren soll.
   Der Schönheit Krone Liebe ist.
Wie Gold faßt einen Edelstein;
Nun sagt, ob ihr was Bessres wißt,
Als edeln Mut bei diesen zwein?
   Das höht und würdigt erst den Mann,
Und wer da Liebesmühe kann
Um seine Herrin recht ertragen.
Der kann von wahrer Liebe sagen!

   Wenn schon ein Blick beselgen kann,
Mit dem die Holde auf uns sieht –
O welch ein Glück erst der gewann.
Dem liebres noch von ihr geschieht.
   Der fühlt sich noch an Freude reich.
Wenn jenem hinschmilzt seine Lust;
Denn was ist jener Wonne gleich.
Die Treue weiß in fremder Brust?
   Ja, Keuschheit, Schönheit, reine Zucht,
Glückselig, wer sich brach die Frucht!
Wer diese drei vor Fremden preist.
Bleibt rechten Sinnes unverwaist!

   Was taugt ein Mann, der nicht begehrt,
Zu werben um ein reines Weib?
Und wenn sie ihm auch nichts beschert,
Es adelt ihm doch Seel und Leib.
   Er tu der einen wegen so.
Daß er den andern wohlbehagt,
So macht ihn eine doch so froh.
Daß er der andern gern entsagt.
   Daran gedenk ein edler Mann:
Viel Seil und Ehre hängt daran.
Wer gutes Weibes Minne hat,
Der schämt sich aller Missetat!


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