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Da lag nun das Meer in unwahrscheinlicher Bläue.
Klarheit strömte in Klarheit, Lachen barg sich in Lachen.
Aber das Lachen, das am Strande entlanglief, das barg sich nicht. Das gellte in Juchzern, das dröhnte in Gewittern, das schauerte in Kaskaden am Stege dahin, und wer auf den schwankenden Brettern lustwandelte oder auf den ans Geländer gelehnten Bänken spazierensaß, der brauchte nur dem vieltönigen Spiele des Lachens zu lauschen, und seine Seele war schon in Heiterkeit geborgen.
Auf einer der Bänke, die sich dem Meere zuwandten, saß eine junge, lichtblonde Frau, nach der Mode jener neunziger Jahre prall gekleidet, mit gelben Schühchen – die waren eben erst aufgekommen – an den schmalen, hochspannigen Füßen, einen weißen Segeltuchhut achtlos in die Wirrnis der schillernden Locken gedrückt. Dessen kreuz- und quergesteppte Krempe stand aufrecht und gab ein lachend liebes Gesichtchen unbefangen einem jeden preis, der sein Auge drauf ausruhen ließ.
Die Wangen weiß und rosa, als seien die Farben dem Tuschkasten entnommen. Die Backenknochen slawisch vorgewölbt. Die Brauen dünnbogig und zart gefasert. Die Augen darunter von Grau ins Bläuliche spielend, wie das spiegelnde Himmelsblau es verlangte, nicht groß, doch so offen und so freundlich und so gutgesinnt der ganzen Welt, daß mancher, der vorbeikam, wohlig lächeln mußte, als sei ihm, und gerade ihm, von all der Sonne, die ihn umgab, ein Extrasonnenstrahl beschert gewesen.
Und dabei hatte sie ihn noch nicht einmal angesehen. Ihr Blick ging vielmehr unverwandt dem Niederstrande zu, nach einer gewissen Stelle hin, wo drei große, rote Hüte den weißen Sand wie Fliegenpilze grell durchsprenkelten.
Darunter steckten drei Gnomen, richtige Spielzeugschachtelmenschen. Nicht größer, als man wohl ist, wenn man seit zwei, drei und vier Jahren in diesem Jammertale sich vergnügt.
Sie gruben, und sie schanzten, und sie bauten Dämme und Kanäle aus Leibeskräften.
Neben ihnen saß eine junge Magd, kaum älter als siebzehn, schwarz wie eine Zigeunerin und hold wie ein Volkslied. Die zwei Feuerräder, die sie im Kopfe stecken hatte, rollten hin und her, wohl aufpassend, daß von der Brandungswelle – sie war kaum handhoch, diese Brandungswelle – kein Spritzer die Pflegebefohlenen verschlang und entführte.
Und mit ihr um die Wette wachte oben auf dem Stege die junge Frau als Hüterin der Ihren und Hüterin ihrer selbst, Hüterin vor den Streichen des immer lauernden Schicksals. –
Da kamen Schritte auf dem Stege daher. Ein wenig härter, stapfender – herausfordernder vielleicht –, als die anderen es waren. Die Bohlen dröhnten dunkler, und die Bretter des Belages wiegten sich nachgiebiger, als es sonst wohl geschah.
Unwillkürlich schaute die junge Frau dem sich Nähernden entgegen. – Schaute, zuckte hoch, und in Beschämung über das freudige Erschrecken, das ihre Wangen in Flammen setzte, wurde deren Glühen immer noch glühender.
Der Kommende war ein starker, breitschultriger Mann um die Dreißig herum, bartlos, mit dunkelblondem Knötchengelock und einem Cäsarenprofil, das in einem zurückfliehenden Kinn ein widerspruchsvolles Ende fand.
Lächelnd hielt er an und zog den Hut.
»Also doch,« sagte er und streckte der sich befangen Erhebenden eine breite, muskelstarke Hand entgegen.
Sie machte verzweifelte Anstrengungen, sich zu geistiger Freiheit durchzuringen.
»Also doch?« fragte sie, kaum wagend, ihre Hand der seinen zu entziehen. »Haben Sie mich hier zu finden erwartet?«
»Natürlich habe ich das,« erwiderte er, lachend über das ganze, rundwerdende Gesicht hin. »Ich bin doch sogar von Ihnen eingeladen.«
»Das ist ja gar nicht möglich,« rief sie, in neuem Erschrecken zurückscheuend. »Wie wäre ich denn dazu gekommen?«
»Ich werde Ihrer Gedächtnisschwäche sofort auf die Beine helfen,« lachte er. »Als ich in Berlin die Ehre hatte, beim Menzelbankett Ihr Tischherr zu sein, und wir uns so nett angefreundet hatten – das hatten wir doch, nicht?«
»Wenn man das mit einem so berühmten Manne überhaupt kann,« warf sie ein, und eine erste Schelmerei glitt über ihr Angesicht, das allgemach wieder zu seiner Tuschkastenfärbung zurückkehrte.
»Wir jedenfalls konnten's,« entgegnete er; »da erzählte ich Ihnen ohne falsche Scham von dem pommerschen Erbonkel, der im Abkratzen sei, und dem Rittergut, das mir damit in den Schoß fallen würde. Und als Sie erfuhren, wo meine künftige Klitsche gelegen war, da meinten Sie mit der lächelnden Gnade, die Ihnen wonnevoll zu Gesichte stand: ›Das ist ja gar nicht sehr weit von dem Badeort, in dem ich meistens die Sommermonate zubringe. Dahin müßten Sie dann einen Abstecher machen‹ … Nun – war das eine Einladung oder nicht?«
»Eine Anregung allenfalls,« milderte sie den Sinn des Geschehenen.
»Vielleicht gar bloß eine Reklame für dieses Flundernparadies,« ulkte er. »Jedenfalls, als ich meinem guten Ohm die letzten Ehren erwiesen hatte, da sagte ich zu mir: ›Ehe du in die Welt zurückkehrst, wirst du mal hübsch nachsehen, wie's der süßen kleinen Witwe geht, deren Bild dir durchaus nicht aus dem Kopfe will.‹«
»Aber Herr Professor!« rief sie, und ihr Blick erstarrte in ernstlicher Zurückweisung.
Er war weit davon entfernt, ihrem Tadel Beachtung zu schenken. »Schimpfen Sie mich, bitte, nicht Professor,« rief er. »Wenn ich auch an einer staatlichen Pinselwaschanstalt ein paar Malstunden gebe – sie werden mich übrigens bald wieder geschaßt haben, denn meine Lehrtätigkeit bestand zumeist aus überschrittenen Urlauben –, jedenfalls habe ich's nicht nötig, mich mit den Bonzen der approbierten Überzeugung auf eine Stufe gestellt zu sehen. Außerdem hapert's mit dem Titel noch sehr. Die Urkunde ist noch gar nicht eingetroffen. Und wird's vielleicht auch nicht. Nur die Exzellenzen und die Oberkellner halten dran fest, weil sie den schlichten Vatersnamen als eine Beschimpfung betrachten.«
Nun lachten sie beide, und was die junge Frau vorhin verletzt hatte, war zu harmlosem Scherze geworden.
»Ist's Ihnen recht,« sagte sie, »so möchte ich Sie mit meinem kleinen Volke bekannt machen, das dort unten herumtobt. Wenn Sie wissen, daß ich eine dreifache Mutter bin, werden Sie vielleicht etwas mehr Respekt vor mir bekommen.«
»Was? Ich keinen Respekt? Vor Ihnen?« rief er in übersteigerter Empörung. »Das wäre ja die pure Heiligtumschändung. Schon auf jenem Völkerfeste, wo die wilden Weiber scharenweise zu Markte standen, schienen Sie mir die einzige, vor der man Lust kriegen konnte, die Stirn in den Staub zu drücken … Und als Naschke, mein edler Freund Naschke, mich Ihnen als meiner Tischdame vorgestellt hatte, sagte ich mir sofort: ›Wie kommt das hierher? Das gehört doch in irgend einen stillen Gottesgarten, aber nicht auf diesen Hexensabbat.‹«
»Und mir dagegen«, erwiderte sie, ihm voran die Stegtreppe hinabschreitend, »erschien jenes Fest als der Inbegriff alles Göttlichen auf dieser Erde … Ich kam mir gar nicht würdig vor, auf ihm zu Gast zu sein … So erfüllt war ich von Ehrerbietung für jeden und jede, die ich sah. Denn da war kaum einer, von dem ich nicht schon längst in den Zeitungen gelesen hatte und zu dem mein Denken und Fühlen nicht in irgend einer Beziehung stand. Hätte Herr Naschke sich meiner nicht angenommen, ich glaube, ich wäre aus lauter Angst und Ehrfurcht schon vor Tische wieder davongerannt.«
»Wie sind Sie eigentlich zu Naschkes Bekanntschaft gekommen?« fragte er.
Sie erglühte von neuem und wollte nicht recht mit der Sprache heraus.
»Mut, Mut,« ermunterte er. »Ein Weibernachläufer ist der gute Naschke ja auch – wenn auch bloß Westentaschenformat. Ein kleiner Miefer sozusagen … Wenn er sich bei Ihnen in der Adresse geirrt haben sollte, würd's mich nicht wundern.«
»Herr Tromholt!« rief sie in neuem Entsetzen.
»Nu ja ja! Fühlen Sie sich bloß nicht immer kaltbeduscht! Ich mein's gar nicht so schlimm. Und nun erzählen Sie los!«
Da mußte sie wohl oder übel Farbe bekennen.
»Herr Naschke gibt doch neben seinem Kunsthandel die Zeitschrift ›Sturm und Drang‹ heraus,« begann sie.
»Und stürmt und drängt damit in seine eigene Tasche,« lachte er.
»Außer Aufsätzen und Bildern stehen auch manchmal allerhand Gedichte darin,« fuhr sie zögernd fort.
»Nu ob! Die Lyrik ist für die ganz Dummen, damit sie die Reklame, die er macht, ebenso als Schwärmerei betrachten wie die naivsten Verse.«
»Wenn Sie immerzu spotten, kann ich nicht weiterreden,« mißbilligte sie. »Herr Naschke hat mir sein Haus geöffnet, als ich, ohne einen Menschen zu kennen, nach Berlin kam. Er und seine Frau sind gut zu mir gewesen. Es tut mir weh, Böses über ihn zu hören.«
Er lachte hell auf. »Sind Sie ein ahnungsloser Engel! Böse wäre es, wenn ich sagte, daß er sein Metier nicht versteht. Denn die Reklame muß er ja machen. Für mich auch, und sogar sehr. Denn er verkauft ja meine Bilder. Böse wär's ferner, wenn ich behauptete, er bewiese bei der Auswahl seiner Verschen schlechten Geschmack. Aber alle Achtung! – Da ist zum Beispiel seit einiger Zeit ein augenscheinlich ganz Junger mit Namen Engelhardt oder so. Der hat eine Schlichtheit, eine Innigkeit am Leibe! Putzig, daß es so was noch gibt in dieser verderbtesten aller Welten!«
Die Rotglut, die wellenweise über die durchsichtige Zartheit ihrer blonden Haut dahinstrich, entbrannte noch tiefer, aber er gewahrte es nicht, denn in diesem Augenblicke kamen mit Freudenschreien die drei Fliegenpilze auf sie zugestürzt, umklammerten ihre Kniee und machten wilde Versuche, an ihr hochzuklettern.
Mühsam wehrte sie ihnen und postierte sie dann in Reih' und Glied.
»Ihr Jungens, macht einen Diener, und du einen schönen Knicks vor dem Onkel.«
Zwei Hüte flogen von den weißblonden Köpfen, und das Mädelchen, die älteste der Dreiheit, duckte sich vor lauter Wohlerzogenheit wie ein Hühnchen bis auf die Erde.
»Nun stellt euch aber auch vor,« mahnte Mama. »Man muß sich immer vorstellen, wenn man höflich ist.«
Suschen hieß sie; das kam wie aus der Pistole geschossen zum Vorschein. Die Nennung der anderen Namen aber bereitete Schwierigkeiten. Der kleine Bursch, der die Mitte hielt, sog bang an seinem Daumen, und der Jüngste gar lag wie mit der deutschen, so noch mit jeder möglichen Sprache im Kampf.
Aber schließlich gedieh alles zu höchster Zufriedenheit.
Kurt hieß der Daumensauger, und der Kleinste, dem seine Höschen noch so ungewohnt auf dem Leibe saßen wie dem Konfirmanden der Bratenrock, hatte etwas wie ein doppeltes »Wolle« oder »Wulle« zu bekennen, was sich als eine Abkürzung von Wolfgang herausstellte.
»Und das ist Mi,« sagte Mama, auf die junge Magd hinweisend, die vor lauter Scheu die Schürze vors Gesicht zu heben trachtete, sich aber schließlich damit begnügte, das Kinn in den Kragen zu stecken und die Feuerräder hinter langfransigen Lidern verschwinden zu lassen.
»Um Gottes willen!« rief er und führte seine Augen über die Gruppe hin spazieren. »In was für ein Nest von Lieblichkeit bin ich da hineingeraten! Das hält ja kein Mensch aus! Da gibt's als Rettung nur zwei Möglichkeiten: Malen oder Reißaus nehmen.«
»Bevor Sie sich zu dem einen oder dem anderen entschließen,« sagte die junge Frau, »müssen Sie aber einen Teller Suppe bei mir essen.«
»Ja, darf ich denn das?« fragte er, überrascht durch die Unbefangenheit, mit der sie ihm die Pforte ihres Hauses öffnete.
»So berühmte Leute dürfen alles,« erklärte sie. »Auf den benachbarten Balkons wird man natürlich Augen machen, wenn man plötzlich einen Mann bei mir auftauchen sieht. Aber hat man erst erfahren, wer es ist, wird man mich höchstens beneiden.«
Mit aufwallender Freude dankte er ihr, und Mi mit den Kleinen wurde voraufgeschickt, um dem Gaste zu Ehren noch rasch einen Eierkuchen zu backen, denn mit der simplen Gemüsesuppe, die der sommerlichen Zeit entsprach, würde ein so wählerischer Magen sich kaum zufriedengeben.
Nun gingen sie wieder beide mitsammen zum Steg empor und auf ihm dahin von einem Ende zum andern.
Viele Frauen nickten ihr freundlich zu, und viele Hüte lüfteten sich im Bogen bis zur Erde hernieder.
»An Freunden fehlt es Ihnen nicht,« stellte er fest.
»Man hat mich gerne,« erwiderte sie. »Und warum auch nicht? Ich tue ja keinem was.«
›Nein, du tust keinem was,‹ dachte er, und ein Gefühl beglückender Rührung stieg in ihm hoch.
Und dieses Gefühl verstärkte sich noch, als er eine halbe Stunde später ihr Heimwesen betrat.
Zwei Zimmer und ein glaswandiger Balkon – das war die ganze Herrlichkeit.
In dem einen der Zimmer schlief Mi mit den drei Kleinen, das andere diente als »Salon«, als Spiel- und als Arbeitszimmer. Alles war von Licht und Seeluft durchflutet.
»Auf dem Sofa mache ich mir abends mein Bett zurecht,« sagte sie, »und habe ich das Licht gelöscht, dann öffne ich Vorhänge und Fenster noch einmal und schlafe wie mitten auf dem Meer.«
Ein Schreibtisch stand da mit allerhand Bildern in hölzernen Stehrahmen, das eine von Efeuranken umgeben. Ihr verstorbener Gatte wahrscheinlich. Ferner ein Kleiderschrank und ein porzellanenes Waschbecken in einem weißlackierten Eisengestell. Darüber ein Wandspiegel, nicht größer, als etwa ein Notenheft ist, und eine Konsole mit einem Stückchen Seife, einer Zahn-, einer Nagelbürste und einer Brennschere daneben. Und selbst die schien nur zum Staat dazuliegen, denn das dazugehörige Spiritusmaschinchen war nirgends entdeckbar.
›Wie kriegt sie's nur fertig, sich so liebreizend herzurichten?‹ fragte er sich und ließ einen erstaunten Blick über sie hingleiten.
Ein blaues, mit weißen Ringeln durchmustertes Satinkleidchen trug sie, das sich nach dem Halse hin in einem weißseidenen Einsatz verlor. Aus diesem Einsatz stieg der zarte Blondkopf wie aus einem Bade von Schaum und Licht in lächelnder Keuschheit empor. Nicht ausdenken ließ es sich, daß man diesem Gottesgebilde mit irdisch rohem Begehren jemals nahe zu kommen vermöchte.
So weich und lieb und freundlich, so anspruchslos, so wehrlos stand sie da, mit allem, was sie war und hatte, den Blicken und den Wünschen des Fremden preisgegeben.
In Verwirrung faßte er sich vor die Stirn.
›Also das gibt es?‹ dachte er, und ein Feuerreigen von all den Weibern, die sein Leben sonst erfüllten, spritzte durch sein Hirn.
Da erschien Mi mit der Suppe.
Auf dem Balkon war nur für sie beide gedeckt.
»Das kleine Volk wird heute natürlich nicht bei Tische essen,« sagte sie erklärend, indem sie ihm voranging.
Und als er bedauerte, sie in ihren Gewohnheiten gestört zu haben: »Nein, nein, das ist nichts für einen verwöhnten Junggesellen wie Sie. Um solchen Tumult zu ertragen, müßten Sie erst selbst zu väterlichen Würden gediehen sein.«
Als sie mit ihm zwischen den gläsernen Wänden erschien, reckte man auf den ringsum gelegenen Balkonen die Hälse. Aber sie war nicht im mindesten verlegen. Sie grüßte vertraulich nach rechts und links, und in ihren Blicken lag ein kleiner Triumph, als wollte sie sagen: »Wenn ihr erst wüßtet, wer mein Tischherr ist.«
Übrigens, sie hatte recht gehabt: man war hier wie mitten im Meer. Zwar reckten auf der linken Seite ein paar Kiefernbäume ihre struppigen Mähnen, aber das hatte nicht viel zu bedeuten. Schaute man vor sich hin in die Weite, so hob sich die Wasserfläche wie ein senkrecht gespannter, blaugoldener Teppich zu unwahrscheinlicher Höhe. Lichtwolken säumten ihn, und die dummen Kiefern waren vergessen.
Ein wenig störten die Nachbarn doch, die um die Mittagstische herum zischelnd und mit zusammengesteckten Nasen nach ihnen herüberschielten. Selbst von den Veranden der unteren Stockwerke her verrenkte man sich heimlich die Hälse.
Drum wollte das Gespräch auch nicht recht in Fluß kommen.
Und sie hatten sich doch so viel zu sagen.
Eigentlich wußten sie nichts voneinander. Gerade, daß er ihren Namen kannte.
Brigitte Senius hieß sie. So war auf ihrer Tischkarte zu lesen gewesen, die er von jenem Bankett als Erinnerungszeichen mit sich genommen hatte.
Und weil er sich damit unmöglich zufriedengeben konnte, drum begehrte er, mehr von ihr zu erfahren.
Aber sie weigerte sich. »Es wird Sie langweilen,« sagte sie. »Erzählen Sie lieber von sich. Ihr Leben ist mehr wert als mein bißchen Bürgerlichkeit.«
»Oh, wenn ich erst von mir anfange,« lachte er, »dann sind wir übermorgen noch lange nicht fertig! Einer meiner Hauptfehler ist nämlich, daß ich mich selber höchst wichtig nehme. Aber erst müssen Sie 'ran, damit ich in Ihrem Reiche Bescheid weiß.«
»Da ist wirklich nicht viel zu berichten,« sagte sie. Und selbst der Schatten des Ernstes, der ihre Stirn umdunkelte, verwischte nicht ganz das heitere Licht, in das ihr ganzes Wesen getaucht schien. »Ich bin die Tochter eines Gutsbesitzers und verlebte eine glückliche Kindheit zwischen Wasser und Wald … Drei Kinder waren wir … Der Bruder ging früh nach Amerika und ist dort verschollen. Die Schwester ist an einen Beamten verheiratet … Meine Mutter starb früh … Mein Vater ist auch schon tot … Er ist die große Liebe meiner Kindheit gewesen, und noch jetzt träume ich fast allnächtlich von ihm … Offenes Herz hatte er und offene Hand. Und beides wurde ihm nicht zum Segen. Als er starb, war wenig mehr da, und das Gut kam unter den Hammer. Da er meine große Wißbegier kannte, gab er mich nach der Stadt und ließ mich das Lehrerinnenexamen machen … Auch Universitätskurse hörte ich. Aber gelernt und gelehrt habe ich nicht viel … Ein Jurist, nicht mehr jung, doch von vornehmem Charakter und zartem Verstehen, bewarb sich um mich … Und so heirateten wir uns … Auch in der Ehe war ich sehr glücklich … Aber dann befiel ihn eine schleichende Krankheit, für die es keine Rettung gab … Zwei Jahre habe ich ihn gepflegt. Wir reisten in alle möglichen Bäder, soviel es unser bißchen Vermögen erlaubte … Unter meinen Händen ist er mir weggestorben, als mein Jüngstes noch gar nicht da war. Das kam erst zwei Monate später … Damals habe ich nicht geglaubt, daß man sich von soviel Kummer jemals erholen könnte. Und eigentlich muß ich mich schämen, daß ich schon wieder froh sein kann … Vielleicht, weil er im Grunde doch eher wie ein Vater zu mir war. Kurz, ich weiß nicht … Ganz leise und langsam kam's über mich, daß ich das Leben neu liebgewann … Und dann hatte ich ja auch die Kinder, die mich täglich vor neue Aufgaben stellten … Und noch eins hatte ich, worin ich mich ausweinen konnte, bis aus dem Weinen allmählich ein Lachen wurde … Doch davon erzähl' ich erst später.«
»Wann – später?« fragte er. »Heute abend will ich schon wieder weg.«
Sie wurde ganz still und starr. »Ja – dann!« sagte sie nach einer kleinen Weile, und hierauf, schon wieder sich aufhellend: »Aber warum eigentlich? Ist es nicht hübsch hier? Wenn Sie Ihre Urlaube doch überschreiten!«
»Pah – Urlaub!« Er zuckte verächtlich die Achseln. »Außerdem hat alles, was pinselt und Lehm klatscht, Ferien jetzt … Nein, nein, das ist es nicht – aber –«
Er stockte. Was ihn fortzog in seine Welt zurück, die krause, heiße, wirbelnde Welt, Beglückendes und Fatales, das konnte er ihr nicht sagen. Das würde er ihr niemals sagen können. Dafür war sie zu rein und zu ruhevoll und allzu schwer mit Unschuld beladen.
Wieder fühlte er ihren Blick in fragender Erwartung auf sich ruhen. Und soviel Vertrauen lag darin, daß es ganz unmöglich wurde, sich irgend einer faulen Ausflucht zu bedienen.
Nein, einem solchen Blicke wich man nicht aus. Und noch weniger dem, was er dem Leben verhieß und zu schenken bereit war – unbewußt meinethalben, aber darum nur noch verlockender.
»Ach was – schließlich!« sagte er, fühlend, wie ganze Wogen des Leichtsinns und der Wortbrüchigkeit sich über ihn herwälzten. »Ein Motiv wie die drei roten Hüte gegen den weißbesonnten Sand krieg' ich sobald nicht wieder zwischen die Finger. ›Malen ist das Moralische an sich,‹ so lautet mein Grundsatz. Der einzige vielleicht, den ich habe. Vorausgesetzt, daß ich der gnädigen Frau nicht lästig falle.«
Die Freude, die das liebe Tuschkastengesicht in Flammen setzte, war allein schon Lohn genug für diesen Entschluß, der ihn nicht wenig gekostet hatte.
Und da kam auch der festliche Eierkuchen.