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Fünfunddreißigstes Kapitel

Wolkenlos blieb Steffens Liebeshimmel nicht.

Astrid steckte noch zu tief in jener hoffnungslosen Ehegeschichte, zu wild zerrissen war ihre Seele durch das Bewußtsein der ihr angetanen Kränkung, als daß sie sich ohne Widerstreben von der neuen Zugehörigkeit hätte in Banden schlagen lassen.

Absonderliche Zwischenfälle gab es in den Stunden ihres Beisammenseins. Es konnte geschehen, daß sie ihn plötzlich aus voller Inbrunst heraus mit Grauen von sich wies oder daß sie ihn weinend mit Liebkosungen überhäufte und dabei des Anderen Namen rief. Es ereignete sich auch, daß sie ihn mit Klagen unterhielt, wie unauslöschlich das Bild jenes Mannes in ihre Seele eingegraben sei, wie sie sich in Sehnsucht nach ihm verzehre und daß niemand wagen dürfe, ihn aus ihrem Leben zu verdrängen.

Ein Jüngerer, Mindererfahrener hätte dies wohl als Kränkung, als Mißachtung betrachtet und geglaubt, seiner Würde schuldig zu sein, dem schon verlorenen Spiel ein Ende zu machen. Steffen aber kannte sehr wohl die Rolle, für die er von seinem Schicksal bestimmt war und aus der allein dies späte Glück hatte emporschießen können. Er sah voraus, daß bei richtiger Behandlung die Krampferscheinungen langsam abklingen würden und daß er bis dahin als Freund und Helfer – als Arzt beinahe – der Geliebten zur Seite zu stehen hatte.

Darum ließ er sich nicht nur alle diese Ausbrüche ohne Widerrede gefallen, er gab sich auch den Anschein, als folge er den krausen Gedankengängen, in denen sie sich verlor, und beriet ernsthaft mit ihr, wie ein künftiges Begegnen mit dem Verlorenen wohl zu ermöglichen sei.

So gelang es ihm, das heimliche Fieber, das in ihr tobte, allgemach herabzusetzen und sie für eine ruhigere Betrachtung des Lebens zu gewinnen.

Wozu er aber nicht die Fähigkeit besaß, war, den Giftdorn der erlittenen Schmach aus ihr herauszureißen. Stolz schien der Grundzug ihres Wesens, und dieser Stolz war allzuschwer verwundet, um an dem Wiederaufbau ihres Daseins mitzuhelfen. In immer neuen Verzerrungen trat er hervor, immer wieder zerstörte er den Wohlklang ihrer seelischen Stimme.

Wer sie daherkommen sah, hochaufgerichtet, mit den kühlen Leuchtfeuern in dem strengen, bräunlichen Gesicht, mit den gebieterischen, scharf umgrenzten Lippen und den weich gewölbten, zärtlichen Wangen, die zusammen mit dem rundlichen, zweigeteilten Kinne der Herbigkeit des Eindrucks entgegenwirkten, – wer sie daherkommen sah mit den wiegend festen Schritten und der fragenden Musterung ihres unbeirrbaren Blickes, der ahnte nicht, in welchen Nöten sich dieser selbstsichere Mensch verzehrte und daß er auf den Höhen des freigewählten Daseins wie auf einem schmalen Grat in steter Gefahr des Sturzes führerlos dahinschritt.

Sehr langsam bequemte sie sich dazu, in Steffen eine Art von Führer zu erblicken, immer wieder kämpfte sie gegen die eigene Hingabe an und tat, wie wenn er umso mehr ihr Feind wäre, als sie ihm Einfluß auf sich vergönnte.

Das, was man an ihr Laune nennen mochte, war Legion.

Bald konnte sie nicht öffentlich genug mit ihm gesehen werden und erklärte es für Feigheit, wenn er sich dagegen wehrte; bald verlangte sie sich in Heimlichkeit zurückzuziehen und scheute selbst Stätten, an denen sie Beide Bekannten nicht begegnen konnten.

Bald streute sie das Geld mit vollen Händen und begehrte das gleiche von ihm. Bald erklärte sie, daß sie ihn ruiniere und nie mehr mit ihm ausgehen werde.

Bald fand er sie nach dem verabredeten Klopfzeichen in unbefangener Hüllenlosigkeit schon an der Tür, bald verbat sie sich's, von seinen Blicken kennerhaft entkleidet zu werden.

In einem aber blieb sie sich immer gleich: daß sie ihm jemals Akt stehen würde, daran war nicht zu denken. Noch einmal den Schimpf erleben, an dem ihre Liebe sich verblutet hatte, noch einmal sich dem Schmutzwurf preisgeben, an dessen Folgen sie noch immer herumwusch, – o nein, nie mehr!

Dabei hatte sie einen Körper, wie ihn in ähnlicher Schönheit zu erblicken nur wenigen Sterblichen zuteil wird. Aus der herbzarten Jungmädchenhaftigkeit jener Pariser Tage war sie zu einem Vollweibtum erblüht, das in dem fülligen Gewoge seiner Rundungen, in dem fließenden Lichterspiel der weichgebetteten Muskeln, in dem strengen Kanon der kaum noch irdischen Verhältnisse nur in diesem und jenem Marmor der Spätantike seinesgleichen fand.

Ein einziges Bild aus neuerer Zeit hatte, wie er sich erinnerte, einen Körper ähnlich diesem der Welt gezeigt. In irgend einer deutschen Galerie mußte es zu finden sein, er wußte aber nicht mehr, in welcher. Er besann sich nur, daß er lange Zeit davorgestanden hatte – ach, vor vielen Jahren schon – mit dem einen bohrenden Wunsche: ›Wenn dir doch auch einmal das Glück beschert sein würde, solch ein Weib zum Modell zu haben!‹

Nun hatte er's, hatte es vor Augen – als Mann, sooft er wollte, – dem Künstler jedoch versagte es sich.

Nicht einmal aus der Erinnerung heraus durfte er versuchen, die Linien ihres Körpers festzuhalten. Dieses Versprechen hatte sie ihm eines Tages in feierlicher Weise abverlangt. »Denn sobald deine Frau den Akt nur flüchtig sieht, weiß sie auf der Stelle, wem er angehört.«

Diese Sorge war allzu begründet, als daß er widersprechen konnte. Und so fügte er sich. Doch wann auch immer sein Bleistift über eine weiße Fläche glitt, es wurde ihr Körper und nur ihr Körper draus.

Selbst in die noch unfertigen beiden Panneaus schlich sich ihre Formenherrlichkeit hinein, das Modell, das vor ihm saß, mochte gebaut sein, wie es wollte. Und da dies Drumherumfuhrwerken ihm eine Qual war, so warf er die Hauptarbeit beiseite und hielt sich an die Gesellschaftsbilder, deren Skizzen nach Ausführung schrien.

Besonders die Szene in einer Opernloge hatte es ihm angetan, deren warmes Orangegold in dunstigem Dämmer verschwamm. Gegen den schwarz-weißen Abenddreß der Begleiter setzte er frech das klatschrosenrote Seidenkleid des den Mittelpunkt bildenden Weibes, dessen Brüste, Arme und Schultern ihren Blicken das einzige Ziel waren. Eine Farbenstudie von ähnlich suggestiver Gewalt hatte er lange nicht mehr unter dem Pinsel gehabt, und Brigitte war selig mit ihm.

Brigitte! Ja doch, Brigitte war auch da. Und niemals zu viel.

Es schien, als hätte sie ihre Aufgabe von neuem studiert, sich zu verflüchtigen, wenn sie nicht gerade vonnöten war, und ihre Gegenwart nur bemerkbar zu machen, wenn sie ihm helfen und gut tun konnte.

Seit vielen Jahren schon litt er an den Folgen der unregelmäßigen und wohl auch mangelhaften Ernährung, mit der er als armer Bursch einstmals hatte vorliebnehmen müssen, und das neuerliche Umherziehen in allerhand üppigen Restaurants war dieser Schwäche durchaus nicht günstig gewesen.

Brigitte allein kannte die Mittel, ihn stets wieder auf die Beine zu bringen.

Sie kochte ihm die linden Suppen, die seinen Magen beruhigten, sie maß die Arzneien ab, die der Arzt ihm verordnet hatte, und wenn in der Nacht Schmerzen ihn wach hielten, dann trug sie ihm das helfende Heizkissen herzu und gab wohl acht, daß er sich die Haut nicht verbrannte.

Und noch manche andere Guttat erwies sie ihm, über die man schweigend hinweggeht.

So wurde es ihm leicht, noch einmal als alternder Mann einer großen Leidenschaft frönen zu dürfen und jung und alert zu sein, wenn das prüfende Auge der Heißgeliebten ihn grüßte.

Und wenn sie ihn gelegentlich von sich stieß und der Einbruch der immer noch wachen Liebe zu jenem andern den Segen der Stunde verdarb, dann sagte er sich im stillen: ›Ach, laß es dir ruhig gefallen! Dies hier sind Feiertagsspiele. Zu Hause sitzt eine, die quält dich nicht. Die hält den Alltag in ihrer Hand, und auf den Alltag kommt's an.‹ – –

Der Sommer schritt voran, und Berlin begann wieder einmal unerträglich zu werden. Aber Steffen rührte sich nicht. So tief saß er in all seiner Arbeit, daß ein Bergklettern oder ein Meerwasserbad ihm als Verbrechen erschien.

Auch Astrid hatte bisher tapfer ausgehalten. Aber von Malen war bei ihr nicht viel die Rede. Sie hatte sich neue Verkehrskreise geschaffen und zog in Gesellschaft von allerhand gut gekleideten und fremdsprachigen Herrschaften in den Hotelgärten herum. Manchmal tat Steffen mit, aber dies Treiben bot ihm zu wenig, als daß es lohnend gewesen wäre, sich dafür die Nacht um die Ohren zu schlagen. Anderseits war sie immer bereit, sich freizumachen, sobald er frei war und nach ihrer Nähe verlangte.

Doch eines Abends erklärte sie ihm, daß sie des Berliner Sommers müde sei und demnächst heimreisen wolle.

»Kommt zu mir,« sagte sie. »Ich hab' euch schon lange eingeladen. Du weißt, mein Landhaus liegt unweit der Stadt, und dann wären wir dreie immer zusammen.«

Er gedachte auch heute lachend des alten Spiels, das zwischen ihm und Brigitte im Schwange war, aber der Einladung Folge zu leisten, das war, wie die Dinge lagen, unmöglich.

Darum suchte er nach einem vermittelnden Wege.

»Wenn wir auch nicht zu dir kommen können,« erwiderte er, – »daß das nicht angeht, das siehst du wohl ein – so könnten wir doch irgendwo in deiner Umgebung eine Unterkunft suchen.«

»Auch damit wäre ich einverstanden,« sagte sie. »Mein Auto holt euch aus Kopenhagen, sooft ihr wollt, und dein Mannesstolz nimmt keinen Schaden.«

Zwei Tage später, als sie von Brigitte Abschied nehmen kam, fing sie gegen die Verabredung aufs neue von den Reizen eines Hausbesuchs zu reden an, und wie erquicklich es sei, wenn beim Erwachen die Salzluft durch die offenen Glastüren dringe.

Brigitte jubelte hell auf, aber Steffen ließ sich nichts abhandeln. Der Freundin einen Blick des Vorwurfs zuwerfend, erwiderte er: »Sie wissen, daß es Freude genug für uns sein wird, von der Stadt aus, nach der unsere Sehnsucht schon viele Jahre lang unterwegs ist, manchmal zu Ihnen kommen zu dürfen. Auch dafür unseren innigsten Dank.«

Sie zog die Mundwinkel ein wenig herunter und gab sich zufrieden.

Brigitte aber floß von Seligkeit über und mußte nach Loni klingeln, um sich ihre Tropfen bringen zu lassen.

Als Astrid gegangen war, sagte sie: »Warum wehrst du Dich eigentlich so sehr, mit mir zusammen bei ihr zu Gaste zu sein? Selbst wenn sie deine Geliebte wäre – ich weiß, sie ist es nicht, sonst würdest du nicht so lieb zu mir sein – nein, wirklich, du bist jetzt immer so gut zu mir, wie du noch niemals gewesen bist – aber selbst wenn sie's wäre, dann dächte ich nur daran, wie sehr sie dir wohl tut, und meiner Würde als Ehefrau würde nicht der mindeste Abbruch geschehen … Nur offiziell wissen dürfte ich es nicht, denn dann wäre es unschön.«

Und als verspottete sie auch dieses Bedenken, fuhr sie auflachend fort: »Ach Gott, was man sich alles für Mauern baut, wo es doch schon so eng ist in dieser engen irdischen Welt!«


Vierzehn Tage war Astrid fort, da hielt er es nicht länger mehr aus und begann, sich für die Abreise zu rüsten.

Brigitte hatte längst alles vorbereitet. Ihre Siebensachen in den Koffer zu werfen, mehr war nicht nötig.

An einem regenschweren Spätjulitage fuhren sie ab. Ihn ödete die triste Halbnachtstimmung, aber Brigitte freute sich selbst an ihr, und als auf mecklenburgischer Erde die ersten Buchenwälder die Fenster triefend umdunkelten, feierte sie ein jauchzendes Wiedersehen.

Der Übergang auf die Fähre wurde ein neues Fest. Daß die Eisenbahnwagen einfach in einen Schiffsbauch hineingeschoben werden konnten, hatte sie nicht für möglich gehalten, und das nie gehörte Dänisch war ihren Ohren Musik.

Die Üppigkeit der Mittagstafel unten in der Kajüte schien ihr, die ans Sparen schon lange gewöhnt war, beinahe ein Frevel.

Hummer als Zwischengericht – dergleichen hatte es im Tromholtschen Hause seit der Kriegszeit nicht mehr gegeben.

»Kommt es auch nicht zu teuer?« fragte sie leise, und erst als Steffen sie lachend beruhigte, wagte sie sich an die erste Schere heran.

Dann gar das Sitzen oben auf Deck – tiefatmend in sprühender Salzluft! Nur ein wenig bedrückt kam sie sich vor, weil alles so überaus elegant war. Doch bald gedieh das Schauen und Schicksalausdenken zu immer reicherer Fülle. Wo der wohl herkomme, was die wohl erlebt haben mochte, ob dieses Ehepaar glücklich sei, ob jenes nicht ein Zerwürfnis verstecke. Und schon quirlten tausend Geschichten ihr durch das Hirn.

Als Dänemarks Boden erreicht war, gab es bei jeglichem Blicke niemals geschaute Wunder. Kühe mit richtigen Regenmänteln – wer hatte das sonstwo gesehen? Und die schneeweißen Quadrate der Bauernhöfe mit den treuherzigen Strohdächern, die bei uns leider abgeschafft waren, und mit den Blumengärten ringsum, in denen Feuerlilien standen wie rotgoldene Mauern. Und die zyklopischen Kirchen, die aussahen, als hätte sie noch der heilige Olaf erbaut. Doch nein, der heilige Olaf war ja eigentlich ein Norweger gewesen, ein anderer Heiliger – Ansgar mit Namen – hatte dem Christentum hier auf den dänischen Inseln die Wege gebahnt. Seit dem Lehrerinnenexamen – du lieber Gott – wie sollte man das alles behalten?

So ging ihr Schwatzen fort und fort, und er hatte Sorge, daß sie sich zu sehr erregte.

Bis der Dom von Roskilde da war, in dem die Könige alle beerdigt liegen – schon Andersen weiß von ihm zu erzählen –, und bis schließlich Kopenhagen in aller Herrlichkeit vor ihnen erstand.

Altertümer, wohin das Auge sich wandte. Man lebte bald gar nicht mehr in der heutigen Welt. Drei Jahrhunderte früher war man geboren worden … Zeitgenossin von Frau Marie Grubbe war man – oder gar Frau Marie Grubbe selber –, nur daß man sich bei Steffen so herrlich geborgen fühlte und nicht im entferntesten daran dachte, sich für den Lebensrest mit einem simplen Fährmann zusammenzutun.

Im »Angleterre« hatte er Wohnung bestellt.

»O Gott, o Gott, Steffen, das ist ja viel zu fein für mich! Wie werd' ich unansehnliche alte Frau da neben dir bestehen! Ach, lieber Steffen!«

Dabei blühten die Tuschkastenfarben, und die Augen blitzten in seligem Überschwang, als wäre sie wieder so jung wie damals vor etlichen zwanzig Jahren, da er mit ihr Italien durchstreift hatte. Und an Kranksein wurde überhaupt nicht gedacht.

Am Vormittag nach der Ankunft telephonierte er an Astrid, die jenseits Charlottenlund ihr Landhaus hatte, und eine Stunde später war sie schon da.

Jubel, Händedrücke und der gerne erfüllte Wunsch, auf der Stelle gemeinsam hinauszufahren.

Ein langgestreckter, grünleuchtender Rolls Royce knatterte vor der Tür.

Er glitt wie eine Lazerte durch das Straßengewühl, an den tutenden Ungeheuern des Hafens vorüber, in das friedliche Reich der umbuschten Villen hinaus, das sich meilen- und meilenweit längs des Strandes dahinzieht. Nur, daß hie und da ein Buchenwald seine Schattenarme den leuchtenden Wassern entgegenstreckt.

In Sonne erblaute Himmel und Meer. Nein, wirklich, so viel Sonne war ausgegossen über dem Bilde, daß selbst Brigittens lichtgieriges Auge nicht ausreichte, die über sie hinstürzenden Fluten in sich hineinzutrinken.

Schade, daß Steffen nicht froh war wie sie, sondern beinahe verbissen in sich hineinschwieg.

Die Freundin, die neben ihr saß, wies zwar erklärend auf dieses und jenes, aber ganz freien Gemütes schien auch sie nicht.

Und dann kam ein Parktor, von Sandsteinlöwen flankiert, und eine kiesknirschende Auffahrt – geradeso wie einst in Neuheide –, und dann lag inmitten von Blumengehängen das Landhaus vor ihnen, nicht schloßartig, nein, doch in so vornehm einfachen Linien, so leicht gefügt mit dem Mittelrisalit über der hohen Terrasse und den sacht zurückgeschobenen Flügeln, daß Brigitte in wohligem Staunen vor den weißschimmernden Mauern stehen blieb und gar nicht ans Eintreten dachte.

Steffen nickte ein paarmal schwer vor sich hin und sagte dann, zu Astrid gewandt: »Wir haben alle Ursache, Ihnen sehr dankbar zu sein, daß Sie dieses Aranjuez so lange leer stehen ließen, um mit uns die Berliner Stickluft zu atmen.«

»Sein Aranjuez kann man sich überall aufbauen,« erwiderte sie lächelnd, »wenn liebe Menschen einem die Steine herzutragen.«

Und dann tat die Halle sich auf, lichtdurchflutet von der Vorderseite und der Rückseite auch. Alle Türen standen weit offen, und der laue Sommerwind wehte über die Köpfe dahin. In schneeweißem Stuck erglänzten Wände und Decke, nur bis zur Brusthöhe hob sich ein lichtes Getäfel, und japanische Matten deckten zur Hälfte die Marmorfliesen des Bodens.

Brigitte blieb in der Mitte stehen und tat nichts als Atem holen. Es war, als wolle sie für kommende luftärmere Zeiten einen Vorrat in die Lungen hineinpumpen. Dann ließ sie sich in einen der weit ausladenden Sessel fallen und rief: »Hier bleib' ich lieber gleich wohnen.«

Doch als Astrid sie beim Worte nehmen wollte, lachte sie hell auf und sagte: »Nein, nein, so dürfen Sie mich nicht festnageln. Außerdem bestimmt ja mein Herr und Gebieter.«

Der Herr und Gebieter stand abgewandt und spann vor sich hin.

Und als Astrid ihm mahnend die Hand auf den Oberarm legte, fuhr er hoch auf und sagte: »Verzeihen Sie meine Muffligkeit. Ich dachte an mein verlorenes Neuheide. Das mag ein Eulennest gewesen sein gegen dies, aber ein Paradies war es auch.«

»Nicht doch, nicht doch!« rief Brigitte. »Nur den Augenblick auskosten! Es werden nicht viele mehr kommen wie dieser. Für mich sicherlich nicht.«

Steffen fuhr betroffen zusammen, und als er nach Astrid hinübersah, gewahrte er, daß auch ihre Heiterkeit einem sorgenden Nachdenken Platz gemacht hatte.

Doch dieser Schatten huschte vorüber, und alles, was folgte, schuf das gleiche lösende Wohlgefühl.

Das Mittagessen wartete auf der hinteren Terrasse, die im Schatten der Rosenspaliere vergraben lag. Dann sollte Brigitte zur Ruhe gehen, denn ihrem Herzen durfte zuviel der Strapazen nicht auferlegt werden, und Steffen drängte darauf, in ihrer Nähe zu bleiben. – Ob ihn auch noch so sehr nach einem Alleinsein mit der Geliebten verlangte, er schämte sich, die Stunde, in der sie vertrauend schlief, für wilde Heimlichkeiten auszunutzen.

Dann, als er durch die angelegte Tür in Brigittens Zimmer hineinschielte, gewahrte er, daß sie an Schlafen nicht dachte. Sie hatte einen Sessel vor die Balkontür gerückt, hielt die Hände über der Brust gefaltet und träumte mit weit offenen Augen aufs Meer hinaus.

Leise trat er hinter sie und legte die Hand auf ihren Scheitel.

Ohne jedes Erschrecken beugte sie den Kopf nach hinten und lächelte zu ihm empor.

»Ich dachte mir, daß du kommen würdest,« sagte sie. »Es ist so schön, daß man es allein gar nicht ertragen kann.«

Und dann weiter: »So ähnlich war's, als wir uns einst am Strande begegneten und du auf meinem Balkon das erste Mittag aßt. Hoffentlich tut es dir nicht mehr leid.«

»Was sollte mir leid tun?«

»Daß du mich aufgesucht hattest.«

Der alte Schmerz, der ihm das Leben durchtränkt hatte, machte Miene, noch einmal hochzusteigen. Aber zugleich wurde er sich klar, daß der nun nicht mehr galt und daß er glücklich war – so reich und so restlos glücklich, wie nur je ein Sterblicher auf dieser Erde gewesen.

Er beugte sich zu Brigitte hernieder, küßte sie auf die Stirn und sagte leise: »Hab Dank.«

Sie seufzte tief auf und schloß die Augen. In ihrem Sessel lag sie, reglos, als schliefe sie wirklich, und er dachte: ›So ist nun auch sie einmal glücklich.‹ – –

Von diesem Tage an reihte sich Fest an Fest, wohl eine Woche lang. Entweder zum Mittag- oder zum Abendessen waren sie draußen bei Astrid, die übrige Zeit gehörte dem Lernen und Schauen.

Als die Krone von allem erwies sich die Glyptothek mit ihrem unausmeßbaren Reichtum. Staunend und nicht glauben wollend an das, was sie sahen, gingen sie zwischen den Griechenschätzen umher, und die modernen Bildhauer Frankreichs wie auch des Nordens ließen sich aus der Fülle der aneinandergereihten Werke in ihrem Persönlichkeitswerte so erschöpfend bestimmen, als wäre man seit langem mit ihrem Schaffen verwachsen.

» Ein Glück müßte uns noch zuteil werden, auch wenn ich es nicht mehr erlebe,« sagte Brigitte, »das ist: alles, was du gemacht hast, ein einziges Mal beisammen zu sehen. Wenn das geschähe, dann würde die Welt erst wissen, wer du eigentlich bist.«

Und auch oben bei den Bildern der fremden Meister sorgte sie immer aufs neue dafür, daß er sich in der eigenen Künstlerschaft nicht gedemütigt fühlte.

Unermüdlich wollte sie weiter, aber Steffen bemerkte alsbald, daß sie sich nur mit letzter Willenskraft aufrecht erhielt, und mußte sie mit einem Machtwort zum Maßhalten zwingen.

Während sie im Hotelzimmer ausruhte, traf er unverhofft mit Astrid zusammen. Es war das einzige Mal in diesen Tagen, daß er sie unter vier Augen sprach.

Gerade, als er ausgehen wollte, betrat sie die Halle. Sie schritt daher wie eine Königin und wurde von allen Dortstehenden mit Ehrerbietung gegrüßt, aber als man ihr nachschaute, lag in den Mienen eine lächelnde Heimlichkeit, die ihm nur wenig gefiel.

Sie – ohne noch irgend jemand eines Blickes zu würdigen – streckte herzhaft die Hand nach ihm aus und erbot sich, ihm dies und jenes zu zeigen.

So fuhren sie mitsammen zum Kunstmuseum, wo er noch nicht gewesen war.

»Die paar guten Rembrandts und was es sonst noch gibt, besehen wir uns nachher,« sagte sie. »Zuerst wollen wir einmal die Einsamkeit aufsuchen.«

Und sie ging ihm voran in die Sammlung der Gipsabgüsse, die das untere Stockwerk erfüllte und in der keine Menschenseele zu finden war.

»Deutsch versteht hier fast jeder,« meinte sie, sich auf eine Bank werfend, »und beobachtet bin ich genug.«

»Du scheinst hier eine Art rara avis zu sein,« tastete er.

»Ein Ungeheuer beinah,« hohnlachte sie. »Englisch ist Trumpf hier – seit dem Kriege besonders. Eine Eingeborene nun, die Namen, Rang und Vermögensansprüche einer waschechten Lady freiwillig fortwirft – denn daß dies geschah, ist kein Geheimnis geblieben –, muß natürlich total ›toquée‹ sein … Auch sonst ist aus meinem Leben allerhand durchgesickert. Was und wieviel, kann ich nicht wissen. Kurzum, man staunt und ärgert sich dauernd.«

»Und deine Familie?« fragte er.

Ihre Stirn verfinsterte sich. »Das ist nun gar ein dummes Kapitel. Meine zwei Brüder sind so tüchtige Kaufleute, daß sie sogar die Romantik, die mich scheinbar umgibt, für den Namen der Firma auszunutzen verstehen … Aber da sind auch noch Schwägerinnen, und mit denen zu verkehren, das ist ein Kunststück … In dem alten Familienhause gehört ein Stockwerk mir, und da muß man sich natürlich begegnen … Zu Katastrophen haben sie nicht die Courage, und wenn sie es möchten, dann mache ich eine Schwankszene draus. Vergnügliche Zustände jedenfalls … Wenn du Spaß dran hast, führ' ich dir die Herrschaften vor.«

Lachend dankte er, und damit war das Thema erledigt.

»Du hast recht gehabt,« sagte sie dann, »euer Wohnen in meinem Hause abzulehnen. Man hat nie genug Phantasie, um sich die Verwicklungen auszumalen, die ein solches Beisammensein mit sich brächte … Von Tag zu Tag gewinne ich deine Frau lieber. Manchmal verabscheue ich dich geradezu, weil du im geheimen zwischen uns stehst.«

»Das tu' ich ja gar nicht,« erwiderte er. »Je weiter du dich mit ihr anfreundest, desto mehr wachst ihr mir beide in eins zusammen. Du bist mir schon lange gleichsam ein Stück von ihr.«

»Und sie auch ein Stück von mir?« fragte sie rasch.

Und als er daraufhin schwieg, fuhr sie fort: »Siehst du, die Partie ist nicht gleich, ich hätte Ursache, recht eifersüchtig zu sein. Daß ich es nicht bin, daraus erkennst du, wie sehr ich sie als über mir stehend betrachte … Deine Neigung zu mir mag mir noch so viel Vorzüge andichten, von dem Genietum des Herzens, das sie ausstrahlt, ist nicht ein Schimmer in mir. Das siehst du wohl ein.«

»Dieser eine Satz beweist schon das Gegenteil,« erwiderte er, nach ihrer Hand fassend.

Aber sie entzog sie ihm gleich. »Nicht, nicht,« sagte sie, »hier reden die Menschen, selbst wenn sie aus Gips sind … Und außerdem: Solange ihr täglich meine Gäste seid, darf nichts Zärtliches zwischen uns sein … Oft ertapp' ich mich, wie in ihrer Gegenwart mein Blick dem deinigen ausweicht, nur weil ich das geheime Einverständnis fürchte, das er vielleicht ausdrücken könnte. So ein subtiles Gewissen hab' ich gekriegt.«

»Und in Berlin hast du es nicht?« fragte er.

Sie zuckte die Achseln. »Aus Widersinnigkeiten sind wir Menschen zusammengebacken, daran läßt sich nichts ändern.«

Und dann stand sie auf. »Komm,« sagte sie, »Rembrandt wartet darauf, seinen Nachfahren zu begrüßen.« –

Der letzte Tag gehörte den Schlössern, die gen Norden hin, in lieblichste Landschaft gebettet, ihren Vorweltstraum in Schönheit weiterträumen, wenn sie nicht wie Frederiksborg durch eines Brauers kunstsinnige Allmacht zu neuer Schönheit erweckt sind.

Kein einziges Architekturwerk in deutschen Landen, selbst der Ottheinrichsbau nicht, führt die Zauber der nordischen Renaissance dem Staunenden so überwältigend zu Gemüte wie jenes weltentlegene Königsschloß, zu dem man pilgern müßte wie ins Heilige Land.

Dies wenigstens sagte Brigitte in hellem Entzücken, und Steffen stimmte ihr zu.

Und dann ging's weiter nach Helsingör, wo die Kronborg – nicht mehr drohend, doch umso pompöser in dem grünlichen Edelsteinlicht ihrer Patina – zu dem einst so feindlichen Schweden hinüberschaut.

Brigitte forschte nach der Terrasse, auf der Hamlet den Geist des Vaters erblickt hatte, aber nichts war zu sehen als die Spielzeugkanonen, die zu Salutschüssen gerade noch gut sind.

Und dann weiter im Bogen nach Fredensborg, wo – dem Namen zum Hohne – beim Schwiegervater Europas der Weltkrieg ausgesonnen sein mochte.

Da lag der vielgepriesene Park mit den himmelhohen Wölbungen seiner Alleen, und Steffen wollte sie alle durchlaufen, aber jetzt konnte Brigitte nicht mehr, und darum blieb Astrid mit ihr im Marmorgarten zurück, während er in der Dämmerung des nächsten Laubgangs verschwand.

»Ach, wie ist er froh! Wie ist er jung!« rief Brigitte, hinter ihm herblickend, »und das alles verdanken wir Ihnen.«

In halb echter und halb gespielter Bescheidenheit wehrte die Freundin ab.

»Nein, nein,« fuhr Brigitte fort, »gesagt werden muß es einmal. Seit Sie in unser Dasein getreten sind, ist eine neue Jugend über ihn gekommen – und neues Schaffensglück und neue Hoffnung … Bei mir fand er das alles nicht mehr, denn vor mir steht nichts wie der Tod … Und er braucht Leben, vieltausendfältiges Leben … Was meinen Sie wohl, wie ich mich gegrämt habe, als ich einsah, daß er durch mich immer dumpfer und einsamer wurde! … Ewig an seinen Pfoten saugen kann keiner, ich aber hatte die Speise nicht, die ihm fehlte … Es mag das in den meisten Künstlerehen so gehen, in vielen anderen vielleicht auch … Aber was kann man da tun? … Auf die stetige Wiedergeburt kommt es an, und die fehlte … Der Menschenkörper erneuert sich alle sieben Jahre, sagt die Wissenschaft, der Künstler muß an jedem Morgen ein neuer sein, sonst altert sein Werk … Er aber fand an jedem Morgen nur mich – und immer wieder nur mich – wie sollte er da noch gedeihen?«

»Und Sie selbst, liebe Frau Tromholt?« fragte Astrid, sich aufrichtend.

Brigitte stutzte. Ein erschrockenes Glühen flog über ihr Angesicht.

»Wie meinen Sie das?« fragte sie stammelnd zurück, »ich sprach doch von mir.«

»Nein, Sie sprachen von ihm. Und immer nur von ihm. Aber Sie sind doch auch wer. Sie haben doch auch Schönes geschaffen. Sehr Schönes, ich weiß … Ist Ihnen denn um sich selber niemals bange gewesen – und daß das Gut, das Sie in Ihrer eigenen Person zu verwalten haben, verlorengehen könnte?«

Das wehe, wehrlose Lächeln, das Brigitte manchmal an sich hatte und in dem der tiefinnerste Schmerz ihres Lebens sich offenbarte, spielte wieder einmal um ihren zuckenden Mund.

»Ach Gott,« seufzte sie, »davon ist ja schon lange nicht mehr die Rede. Ich selbst denke kaum noch daran. Zum letztenmal geschah es, als Sie, liebe Astrid, so lieb gewesen waren, meine Freundinnen an mein bißchen Schreiberei zu erinnern. Und ich tu' es auch nicht einmal gerne … Ich hab' nur noch ein Gut zu verwalten, solange es geht, kostbarer als mein eigenes – das ist meines Mannes Kunst und meines Mannes Leben. Und daß ich das nicht besser kann oder konnte, das war schon immer mein Kummer. Erst seit Sie mir dabei helfen, ist mir etwas freier zumut.«

Astrid hatte den Kopf zur Seite gewandt, denn sie wollte nicht zeigen, daß die Tränen ihr hochquollen.

Einen Augenblick lang war ihr, als gäbe es kein anderes Mittel, sich von der qualvollen Scham zu befreien, die sie übermannte, als sich vor der Frau ihres Freundes niederzustürzen und zu bekennen.

Sogleich aber hatte sie sich wieder in der Hand, und die Stimmung absichtlich in ebne Bahnen lenkend, erwiderte sie: »Ich kann ja leider nur wenig tun. Die Rücksicht auf Sitte und Klatsch, und weiß Gott was sonst, steht einem allenthalben im Wege.«

»Rücksicht auf mich, wollten Sie sagen,« warf Brigitte lächelnd ein.

»Gewiß – auch auf Sie, gnädige Frau,« entgegnete sie mit kühner werdender Offenheit. »Denn Schaden stiften darf ich ja nicht. Aber Sie sprachen von Einsamkeit. Wenn ich ihm die ein wenig beheben könnte, wäre Ihnen damit gedient?«

»Das tun Sie ja schon – und darüber freu' ich mich immer von neuem.«

»Nein, ich meine es anders. Die Verbindungen, die ich in Berlin angeknüpft habe und die ich nach Belieben ausdehnen könnte, erlauben mir, eine Geselligkeit zu pflegen, so bunt, wie sein Künstlerauge nur wünschen kann … Mich verlangt ohnehin danach, dem Hoteldasein dort ein Ende zu machen. Wenn ich die Möbel meiner hiesigen Stadtwohnung hinkommen ließe und mir ein Heim einrichtete, in dem ich Leute empfangen kann, dann hätte ich alsbald allerhand Vögel zum Aus- und Einfliegen, die ihm sicherlich Spaß machen würden, ohne daß ein Zwang zum Mittun für ihn entstünde. Was sagen Sie zu dieser Idee?«

»O Gott,« rief Brigitte, freudig die Hände faltend, »das ist es ja, was ihm immer gefehlt hat. Gerade hierin war ich ihm wie eine Kugel am Bein. Denn wer eine Frau hat, muß sie ja mitnehmen, und wie gern ich auch Menschen sehe, ich kann es ja nicht und – und –«

Wieder flog das bitterwehe Lächeln über ihr Angesicht – »und ich will auch nicht mehr.«

»Vielleicht werden Sie dann wieder einmal wollen,« sagte Astrid mit lockendem Troste.

Aber erschrocken fuhr Brigitte zurück. »Nein, nein,« stammelte sie, »man soll mich nicht in Versuchung führen. Sie nicht und er nicht. Sonst geht auch diese Hoffnung wieder zuschanden. Und das darf doch nicht sein.«

Dankbar ergriff sie die Hände der Freundin.

Sie fühlte: Noch manches hatte sie auf dem Herzen, das sich in dieser Stunde gern offenbart hätte, aber da rüttelte Steffen an der Pforte des Marmorgartens, die der Wächter hinter ihnen verschlossen hatte.

»Was macht ihr da?« rief er lachend herüber, »ihr schmiedet wohl ein Komplott gegen mich?«

Und da kam auch schon der Wächter mit seinem Schlüssel.


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