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Fünfzehntes Kapitel

So ging ein Sommer dahin. Und noch einer. Und wieder einer.

Die Winterszeiten, die solchen sonnigen Tagen folgten, waren hohen Erlebens voll. Ein Fest jagte das andere. Ganze Wochen gab es, in denen Brigitte nicht vor drei Uhr morgens zu Bette kam.

Und wie war sie gefeiert! Nicht bloß als Steffens Zubehör, nein doch, auch um der eigenen lichten Erscheinung willen.

Es hatte keinen Sinn, es sich zu verheimlichen: man gehörte jetzt zu den schönen Frauen, von denen die Gesellschaft halb wohlgefällig, halb mißgünstig zu reden beliebte, die Ludwig Pietsch in seinen Ballberichten lobend erwähnte und denen eine lungernde Verehrerschar mit Beflissenheit nachlief.

Etwas zu üppig zwar war man geworden, zu pompös vielleicht. Mit der Rubensschen Maria von Medici war man verglichen worden. Mit einer römischen Kaiserin gar. Ließ ein solcher Unsinn sich ausdenken?

Die kleine Brigit von einstmals mit der rosigen Stupsnase und dem lichtblonden Lockengespinst, die, wenn die Löwen des Tages ihr den Hof machten, vor Verlegenheit noch immer in die Erde sank, die sollte einer römischen Kaiserin gleich sein!

Aber sie hatte es selber gelesen – gedruckt sogar – in der Besprechung des Bandes, in dem Herr Naschke ein Dutzend ihrer alten Novellen gesammelt hatte und dem ihr jüngstes Porträt in Rötelzeichnung vorangestellt war.

Viel Erfolg hatte das Buch übrigens nicht. Und damit geschah ihm ganz recht. Denn über jene kleinen Geschichten, die man aus der Tiefe seines naiven Gemüts einst ahnungslos hingefabelt hatte, war man seit langem hinausgewachsen. Man hatte ja auch nur den Bitten des betriebsamen Mannes nachgeben müssen, der die Vollblüte des Namens Tromholt nach Kräften auszunutzen bestrebt war. Und wenn man in Gesellschaft mit verzückt tuendem Augenaufschlag daraufhin angeredet wurde, wußte man vor Scham nicht, wie man rasch genug wegkommen konnte. Trotz allem: man freute sich doch. Und das nächstfolgende Buch sollte auch besser sein. Wenn man nur Zeit gehabt hätte! Aber die Routs – und die Visiten – und die Wohltätigkeit – und die Schneiderin – weiß Gott, wieviel Stunden man allein beim Anproben vergeudete! – und dann vor allem: die Geselligkeit im eigenen Hause.

Alles mußte tiptop sein. Hierin ließ Steffen nicht mit sich spaßen. Und je weniger er selbst um den Ausbau des Abends bemüht war, desto schwerer lastete die Verantwortung auf Brigittens Gewissen.

Wäre sie nicht eine Hausfrau ohnegleichen gewesen, so hätte sie's leichter gehabt; denn schließlich gab es ja den Träteur, der auf den leisesten Wink hin alles besorgte. Nicht einmal teurer kam sein sachkundiges Wirken, aber der Ehrgeiz saß in ihr fest, alles höchstselber zu tun.

Sie entwarf die Menüs, sie bestellte die Weine, sie lief in den Delikateßgeschäften herum, sie schmeckte sogar in der Küche die Speisen ab und gab den anzurichtenden Platten die letzte kunstvolle Weihe. Selbst der Blumenschmuck gedieh nur, wenn sie dem Gärtnergehilfen den Korb aus der Hand nahm.

Und kam die halbe Stunde des Anziehens heran, dann wartete auch noch Steffen auf sie, dessen weiße Krawatte nicht saß und der den Struwwelkopf nur von ihr gepflegt haben wollte.

Solch ein Schalten und Walten, wie froh es auch aussehen mag, beansprucht Eifer und Kräfte, und wenn der letzte Gast sich empfohlen hatte, wenn die fremden Diener abgelohnt waren und unter Mis trinkgeldgefütterten Händen die Kronen allmählich erloschen, dann sank sie wohl keuchend zusammen, und alles, was an Sorgen und Mühen sich aufgehäuft hatte, löste sich und machte sich Luft in einem atemaushauchenden: »Ach, ich bin müde!«

Aber das alles bedeutete nichts, wenn er nur zufrieden war. Und trat er – noch glühend von Schwatz und Lachen und Wein – an sie heran und sagte mit einem liebkosenden Backenstreich: »Es war wieder einmal sehr nett bei Tromholts!«, dann gab es keinen auf Erden, der glücklicher gewesen wäre als unsere Brigitte.

So sah alles höchst vergnüglich aus und schien sich immer weiter zum Guten zu wandeln, wenn nur ein dunkles Etwas nicht gewesen wäre, das als Skelett im Hause dessen Sorglosigkeit immer von neuem erschütterte.

Denn um jene Zeit geschah es, daß die erschreckenden Anfälle, deren erstem Brigitte auf Schloß Neuheide anheimgefallen war, sich zu wiederholen begannen.

Sie kamen unversehens nach Anstrengungen und Erregungen irgendwelcher Art, meistens gegen die Mittagsstunde, wenn ein starkes Ruhebedürfnis vorhanden war, dem nicht stattgegeben werden konnte, bisweilen auch zur Abendzeit vor lästigen Gesellschaften oder nach Teeempfängen, in denen sie sich, unausgeruht, zu einer betulichen Heiterkeit zusammengerafft hatte.

Und immer war es das gleiche: Ihre Rosigkeit verblaßte, ihr Auge wurde fahl und leer – von innerer Angst umhergetrieben, wankte sie aus einem Raum in den anderen, verschloß die Türen hinter sich, um sie alsbald wieder aufzureißen, und wenn Steffen, der von Mi herbeigeholt wurde, sie bat, sich zu Bett zu legen, erklärte sie, sie habe unmenschlich viel zu tun, sie müsse dies, sie müsse jenes, sie wisse nicht, wo ihr der Kopf stehe, und dürfe sich Tag und Nacht keine Ruhe gönnen. Und dann kam auch alsbald der Ausbruch. Stets in denselben Entladungen eines unvermittelten Zornes sich austobend, für den kein vernünftiger Grund zu finden war und der ihrem sanften und friedlich versonnenen Wesen sonst weltenfern lag.

Mi war die einzige, die in solchen Stunden Gewalt über sie hatte. Mit lächelnden Bitten redete sie auf die Rasende ein, und während Steffen verstört und verzweifelt umherrannte, gelang es ihrer streichelnden Behutsamkeit, sie bis zu ihrem Schlafzimmer zu locken, wo sie, allgemach willenlos werdend, sich ausziehen ließ und ins Bett sank.

Oft lag sie dann vierzehn bis sechzehn Stunden lang und schlief sich wieder gesund.

Am nächsten Morgen trat sie stets voll dunkler Ahnung dessen, was geschehen war, schuldbewußt und zur Abbitte bereit, an Steffens Bett, streichelte seine Hände und flehte ihn an, nichts dem Doktor zu sagen. Sie schäme sich so, sie wolle sich besser zusammennehmen, und es werde nie wieder geschehen.

Und Steffen gab nach. Anstatt, wie es nächstliegend war, endlich die Ärzte hinzuzuziehen und dafür zu sorgen, daß der Verlauf beobachtet wurde, würgte er Kummer und Angst hinunter und wartete, bis das nächste Mal kam. Ein solches Gehenlassen entsprach sonst nicht seinem Wesen. Der letzte Grund war wohl das uneingestandene Gefühl, an dieser geheimnisvollen Erkrankung nicht ohne Mitschuld zu sein.

So weit kam es mit ihm, daß er sich oftmals abends aus dem Atelier nicht mehr hinuntertraute, aus Angst, sie wieder in ihren »Zuständen« zu finden.

Und die kleine Atta litt mit ihm. Kam er an einem solchen Abend, ihr gute Nacht zu sagen, dann fand er sie in einem Winkel scheu zusammengekauert, Mademoiselle mit lustig sein sollendem Zureden um sie herum, und nahm er sie dann in seinen Arm, so nestelte sie sich wie ein Schutz suchendes Tierchen an seinem Halse fest, doch kein Wort und kein Weinen kam aus ihrer Kehle.

Bisweilen, wenn sie geladen waren, mußte in letzter Stunde noch abgesagt werden, und einmal war es sogar geschehen, daß in seinem eigenen Hause ein Fest ohne die Hausfrau vonstatten ging.

Aber auch diese Fährlichkeiten hielten Steffen nicht ab, seine Zeit und sich selbst an die sogenannte »Gesellschaft« zu verlieren. Der Hang zu prunkender Lebensführung, der mit seiner bohèmehaften Vergangenheit in seltsamem Widerspruch stand, war noch immer im Wachsen.

Er selbst machte sich oft genug darüber lustig, benannte sich mit Schimpfnamen wie »Knallprotz« und »Parvenü« und schwärmte von einstigen Zeiten, in denen er Dachkammern bewohnt und sich an Blutwurst und Rollmöpsen sattgemacht hatte.

Wenn er matt und mißmutig aus dem Wirbel der Diners und der Routs zu bedenksamer Einkehr zurückfand, dann verfluchte er wohl das Leben, das er jetzt führte, und schrie nach Schlichtheit und Stille. Aber so mächtig war das Getriebe, von dem er sich fortgerissen fühlte, so unzerreißbar hingen die Ketten an ihm, in die Ansehen und Ruf ihn geschmiedet hatten, daß er kein Mittel mehr sah, sich zu bergen und zu befreien.

Und sie, Brigitte, die halb wider Willen dies unruhvolle Dasein mit ihm teilte, die, den eigenen Neigungen überlassen, glücklich gewesen wäre, in bescheidener Anspruchslosigkeit sorgend neben ihm herzugehen, erschien ihm plötzlich als Urgrund auch dieses neuen glänzenden Übels.

Heiltrank und Zuflucht blieb Gott sei Dank noch immer die Arbeit.

Aber fast schien es, als ruhe auch auf ihr kein rechter Segen mehr.

Wohl gingen die Bilder immer noch fort wie beim Bäcker die Semmeln – reiche Leute, die sich Paläste bauten, gab es im reichgewordenen Deutschland übergenug – wohl war ein vornehmerer Name als der Steffen Tromholts auf dem Kunstmarkte nirgends zu finden, wohl waren in den Ehrensälen der Kunstausstellungen Plätze für das, was er schickte, immer bereit, aber – aber – –

Aber – er verblüffte nicht mehr. Man kannte seine Stoffe, seine Farbenstellungen, seinen Pinselstrich. Meisterhaft war alles, daran ließ sich nicht tippen. Aber gerade Meisterschaft ermüdet, wenn nichts in ihr ist, das zum Widerspruch reizt, und kein Trompeterchor sie dauernd geleitet.

Da war man drüben in der neugegründeten Sezession weit besser daran. Dort gab es immer etwas zu lachen, dort durfte man sich nach Belieben entrüsten und fand daneben Gelegenheit, vor ein paar wirklichen Könnern in edlem Verstehen verehrungsvoll zu ersterben.

Jawohl, dort war Betrieb, dort war Jugend, dort war Hoffnung. Und auf die Hoffnung kam's an, sie war mehr wert als jede Erfüllung, selbst wenn sie schließlich in der Sackgasse eines genialen Stümpertums mündete.

Und die hohe Kritik, die war nun vollends auf der Seite der Neuen; ja, man darf sagen, daß sie die Parteinahme des Publikums recht eigentlich geschaffen hatte. Während in den maßgebenden Blättern die Hunderte, die in der »Großen« ausstellten und die für ihr Höchstes und Heiligstes nach einem Worte der Anerkennung zitterten, mit einem summarischen Achselzucken abgetan wurden, schon weil ihrer zu viele waren, als daß es sich gelohnt hätte, ernsthaft mit ihnen zu Gerichte zu gehen, wurde jeder vorwitzige Grünling zu einem Weltumstürzler gestempelt, nur weil er zu der »Gemeinde der Heiligen« gehörte, die der verstorbenen deutschen Kunst eine glorreiche Auferstehung verhieß.

Und schließlich konnte Steffen sich nicht verhehlen, daß man anfing auch ihn als eine Quantité négligeable zu behandeln.

Mit drei, vier Zeilen glitt man über seine Bilder hinweg, und hie und da fand sich, Enttäuschung markierend, bereits ein erkennbarer Nadelstich.

Er, der bisher das Schoßkind aller gewesen war, konnte die Wandlung nicht fassen. Verstört lief er umher, verbiß sich in Schweigen und wich jedem aus, mit dem er sonst über künstlerisches Schaffen im allgemeinen und das eigene Schaffen im besonderen zu reden gewohnt war.

Nur Brigitte blieb auch jetzt die Vertraute seiner seelischen Nöte. Aber – leider – helfen konnte sie nicht. Und wenn sie ihm lachend widersprach und seine trüben Ahnungen auf Selbstquälerei zurückführte, dann fühlte er sich gereizt und verspottet.

»Im übrigen laß sie doch ulken,« sagte sie. »Dein Freund Maxel ist ja da. Der wird sie schon zur Räson bringen.«

Aber gerade Maxel schwieg sich aus. Ein Artikel nach dem anderen erschien, in dem von seinem Schaffen nicht mehr die Rede war.

Und eines Tages stellte er ihn. Besuchte ihn nicht in seiner Wohnung – dazu war er ihm viel zu gram – sondern fuhr geradeswegs in die Redaktion, wo er zur Vormittagszeit immer zu finden war.

Mit lächelnder Ruhe – die seelenvollen Augen strahlend zu ihm aufgeschlagen – trat der Jugendfreund ihm entgegen.

»Sieht man dich auch einmal in diesen unheiligen Hallen? Bitte, nimm Platz! Rauch einen Tobak! Hoffentlich geht es dir gut. Man spricht ja viel von deinen gesellschaftlichen Triumphen. Der Ruf deines Hauses scheint immer noch im Wachsen. Wie geht's deiner Frau, wie geht's deinen Kindern?«

Nur wie es seiner Arbeit ging, fragte er nicht.

Der lange zurückgedrängte Ingrimm stieg hitzig in Steffen hoch.

»Warum schweigst du dich eigentlich über mich aus?« fragte er schroff.

Maxel war ganz verwundete Unschuld.

»Was? Ich über dich schweigen? In meinem Eröffnungsartikel habe ich dich ebenso genannt wie die andern.«

»Meinen Namen kennt man, und du kennst ihn auch. Aber ein weiteres Wort hast du nicht über mich verloren.«

Maxel wiegte den schönen Lassallekopf.

»Ja, hör mal, lieber Kerl. Ich glaubte eigentlich, du würdest diese Zurückhaltung zu würdigen wissen. Würdest mir vielleicht sogar dankbar sein.«

»Auch noch! Und wofür, wenn ich fragen darf?«

»Ja, wie soll ich das sagen? Kränken will ich dich nicht, und – e –. In gewissem Sinne bin ich ja auf dich eingeschworen – habe auch schon manchen Nackenschlag um deinetwillen erhalten. Aber – wenn nichts mehr von dir zu sagen ist, als daß du eben immer so weitermachst, dann hält man als dein Freund doch lieber das Maul.«

»Ist es denn etwa schlecht, was ich mache?«

»Nein, nein. Um Gottes willen nein. Aber wie soll ich das sagen? Sieh mal, es scheint, seine Grenzen hat jeder. Die Wünsche der Zeit aber wollen darüber hinaus. Die drängen ins Künftige, ins Grenzen lose meinetwegen … Jedenfalls kannst du nicht verlangen, daß sie da haltmachen, wo du haltgemacht hast. Und fühlt man sich mitgerissen von dem Strome des neuen Wollens, so ist man darum noch kein Verräter an denen, die den Uferrand zieren. Bringst du was Neues, das über dein bisheriges Können hinausweist, so wirst du mich wieder als deinen Apostel finden. Bis dahin – es scheint, deine Zigarre ist ausgegangen.«

Wieder stieg die Wut heiß in Steffen empor. ›Ruhig sein, klug sein!‹ rief er sich zu, ›sonst geht die Freundschaft schon heut in die Brüche.‹

»Wenn ich deinem Vorschlage nachgekommen wäre,« sagte er, »mich von dir in die Konventikel der Jungen hineinlotsen zu lassen – ob ich hineingepaßt haben würde, ist eine andere Sache – glaubst du, daß ich mich damit entsprechend gehäutet hätte?«

Maxel sah rauchend eine Weile vor sich nieder. Dann hob er die Augen aufleuchtend und mit einem kleinen Mitleid, wie es Steffen erschien, zu ihm empor.

»Das ist ein schwieriges Thema,« sagte er endlich. »Wieviel der wechselnde Gesichtswinkel bedeutet, unter dem das Schaffen des Künstlers – und jedes Schaffen – von der Mitwelt angeschaut wird, darüber ließen sich Bände schreiben. Aber auch die Entourage als solche färbt ab. Gibt neue Impulse oder fördert die Verkalkung – je nachdem. Jedenfalls war der Hohn, der in deiner Frage lag, weniger berechtigt, als du wohl annahmst.«

»Was verstehst du unter Entourage?« fragte Steffen, von einem vagen Argwohn gepackt.

»Auch darüber ist schwer zu reden,« erwiderte Maxel. »Wir sind uns in den letzten Jahren so fern gerückt, daß ich nicht weiß, wer und was du im Augenblick bist … Ich höre immer nur eines: ›das Ehepaar Tromholt‹ und ›die Feste bei Tromholt‹ und ›Tromholts waren auch da‹ und ›Frau Tromholt sah wunder wie hübsch aus‹ und so dergleichen. Wenn du glaubst, daß man auf diese Weise seine Künstlerschaft vorwärts bringt!«

»Ich lese aus dem allen auch einen Vorwurf gegen meine Frau heraus,« erwiderte Steffen. »Gegen mich darfst du vom Leder ziehen, soviel du willst, aber meine Frau laß, bitte, aus dem Spiel.«

»Ich mache ihr ja auch keinen Vorwurf,« sagte Maxel, »bis auf den einen vielleicht, daß sie ihren Einfluß nicht ausübt, dieses Treiben einzudämmen. Ja, vergleiche ich deine Wirtschaft von einstmals mit der heutigen, dann sage ich mir, daß sie – wenn auch ohne Wissen und Wollen – diesen Wandel verursacht hat. Du warst einstmals der richtige Zigeuner, und in der Zigeunerei lag deine Kraft … Da sind Erfolge und Ehe gekommen und haben dich zu etwas gemacht, was Grandseigneur nicht ist, aber so aussehen will.«

»Blech!« rief Steffen, »ich war ein Arbeiter, ich bleibe ein Arbeiter. Was nebenher läuft, hat dem zu dienen, sonst scheidet es aus.«

»Ja, läuft es nebenher?« fragte Maxel. »Hat es dich nicht vielmehr am Wickel und macht aus dir, was es will? Und wenn du noch so sehr glaubst, Herr der Situation zu sein, die Situation ist die Herrin, die Ehe ist die Herrin und du ihr ergebenster Diener.«

Steffen biß schweigend die Zähne zusammen. Was er alle die Jahre hindurch als Vorwurf mit sich herumgetragen hatte, fand hier in trockenen Worten seine Bestätigung.

Aber er hütete sich, die Niederlage einzugestehen.

»Du hast doch auch einmal geheiratet,« sagte er, »und niemand macht dir einen Vorwurf daraus, am wenigsten ich.«

»Warum auch?« fragte Maxel mit einem Lächeln genügsamer Skepsis. »Der Ehe verfallen wir alle. Es fragt sich nur, wie wir sie in unser Leben hineinbauen. Ich schreibe meine Aufsätze und laß mein kleines Luderchen tun, was ihm Spaß macht. Aber das herzzerreißende Klagelied, das du mir vor Jahren einmal sangst, das habe ich nicht vergessen … Nimm's mir nicht übel: alles, was du tust und treibst, kommt mir vor wie ein konvulsivisches Mühen, einem Leben gerecht zu werden, das nun einmal nicht zu dir paßt … Wenn du dabei immer noch arbeitest, umso besser für dich. Aber viel Gedeihen kannst du davon nicht verlangen.«

Das waren Keulenschläge, von unbarmherziger Faust geführt, und daß sie trafen, dafür sorgten die eigenen Gedanken.

Umso mehr hieß es: Haltung wahren!

»Lieber Max,« sagte er, »wärest du nicht mein ältester Freund und schiene nicht alles, was du da von dir gibst, aus wirklicher Sorge zu stammen, so würde ich jetzt die Tür in die Hand nehmen und mich nicht einmal nach dir umsehen … In einem hattest du recht: du weißt wirklich sehr wenig in mir Bescheid, zu wenig, um dir so weitgehende Vorhaltungen zu gestatten … Sei sicher: ich gehe meinen Weg, und wenn er sich von dem deinen scheidet, so braucht er noch immer kein falscher zu sein. Leb wohl und laß es dir gut gehen!«

Damit warf er ihm seine Hand hin und rannte hinaus. Rannte stundenlang durch die Gänge des Tiergartens, die lichtes Junigrün sprenklig umrahmte, versäumte das Mittagessen, versäumte die Teezeit und landete gegen sechs Uhr erschöpft und verwildert in seinem Hause.

Brigitte, die ohne ihn gar nicht gegessen hatte, erwartete ihn blaß und gespannt.

»Ich fürchtete schon, dir sei ein Unglück geschehen,« rief sie ihm entgegen, seinen Unterarm streichelnd. Mehr an Liebkosung pflegte sie sich nicht zu gestatten.

»Päh, Unglück!« schrie er sie an. »Um dem zu begegnen, brauche ich nicht erst aus dem Hause zu laufen. Du bist ein Unglück! Ich bin ein Unglück! Das ganze Leben ist ein Unglück! Es fragt sich bloß, wie wir es länger ertragen.«

Mit jähem Entsetzen wich sie in die Sofaecke zurück, aus der sie hervorgeeilt war, um ihn zu begrüßen, und so versteinerte sie, während eine Sintflut von Vorwürfen und Verwünschungen über sie hinstob.

»Glaubst du, daß das immer so weitergeht? Glaubst du, daß ich mich noch mehr verelenden lasse? Hat deine Hausfraulichkeit noch nicht bemerkt, daß ich von einem Tage zum anderen tiefer 'runterkomme? Muß ich erst gänzlich zuschanden sein, ehe du merkst, was daran schuld ist? Zuerst ging der Mensch vor die Hunde, dann ging der Künstler vor die Hunde, und um das, was noch übrig ist, da beißen sich noch nicht einmal die Hunde.«

Während er so im Zimmer umhertobte, folgte sie ihm mit stieren, verängstigten Augen. Auf ihren weiß gewordenen Lippen bebte bisweilen der Ansatz einer Frage, aber wenn sie auch den Mut gefunden hätte sie auszusprechen, so würde er sie überschrien haben.

Endlich, als er matt und heiser in einen Sessel sank, bemüht, den wildgehenden Atem zur Ruhe zu zwingen, kam sie mit drei, vier schwankenden Schritten aus ihrem Winkel geschlichen.

»Und – du – glaubst – daß ich an dem allen – schuld bin?« fragte sie mit einem Starren des Blickes, in dem ein schicksalhafter Entschluß sich durchzuringen schien.

Er sprang von neuem hoch.

»Schuld! Schuld! Wenn das so einfach wäre! Ich möchte eher fragen, wer ist nicht schuld? Du bist schuld, ich bin schuld, die Ehe ist schuld, die bürgerliche Moral ist schuld! Alles, was uns zusammengepfercht hat, ist schuld! Und nun sitzen wir drin in dem gottgewollten Käfig und beißen uns an den Gittern die Lefzen blutig!«

»Da – gibt es doch bloß – ein Mittel,« stammelte sie.

»So? Weißt du eins? Ich weiß keins.«

Damit sank er brütend in sich zusammen. Und gewahrte auch nicht mehr, daß sie, sich an den Möbeln entlangschiebend, das Zimmer verließ.

Eine Flucht von verzerrten Bildern und Gedanken drängte sich aus dem fiebernden Hirn. Fort! Hinaus! Sich retten! Fahrt um die Erde zum Beispiel! Sprung in den Ozean. Schiff fährt davon. Man schreit – man sinkt. Schluß. Aus … Oder man – und so weiter.

Wie lange er dagesessen hatte, wußte er nicht. Eine viertel, eine halbe Stunde vielleicht. Da hörte er draußen im Flur ein Rascheln, ein leises Durcheinander von zwei weinenden, bittenden Stimmen.

Eine unklare Angst trieb ihn empor.

Und als er die Tür aufriß, da fand er im Halbdunkel des Vorraums Brigitte in Hut und Mantel dicht am Ausgang stehend, während Mi sich mühte, ihr das Köfferchen, das sie in der Hand trug, zu entreißen.

»Wo willst du hin?«

Keine Antwort.

»Wo willst du hin?«

Da warf sich Mi zwischen ihn und sie.

»Gnädige Frau sagt, sie muß aus dem Hause. Lassen Sie das nicht zu, Herr Professor. Gnädige Frau weiß ja gar nicht wohin.«

»Komm herein!«

Er riß sie am Oberarm zu sich heran und schlug die Tür hinter ihr zu.

»Was soll das? Heißt das, daß du mich verlassen willst? Und Atta verlassen willst? Und alles das hier?«

Ohne Regung stand sie da. Das Köfferchen hing immer noch in ihrer Hand. Es war dasselbe rührende Segeltuchköfferchen, das sie bei sich getragen hatte, als sie mit ihm auf die Wohnungsuche nach Dresden gefahren war.

»Nun rede doch endlich einmal.«

Gehorsam öffneten sich die zitternden Lippen. »Was soll ich noch reden? Ich bin dir eben zuviel. Darum muß ich dich von mir befreien, das ist doch nur meine Pflicht.«

Und als er sie so stehen sah in all ihrer schlichten, leidvollen Wehrlosigkeit, da stieg ihm jäh der Gedanke empor, daß hier etwas geschah, das, auf die Leinwand gebannt, ein Bild von erschütternder Tragik in die Welt setzen mußte.

Und auf dem Umwege über seine Kunst kam ihm auch das Bewußtsein des Wahnsinns, in dem er sich an ihr verging.

Er tastete nach ihr und löste den Handgriff des Koffers aus ihren Fingern.

»Komm! Laß! Sei vernünftig, Brigitte! Ich bin zu heftig gewesen. Ich sehe es ein. Wenn ich mich unglücklich fühle, darfst du meine Worte nicht auf die Wagschale legen.«

Dabei versuchte er, sie neben sich auf den Sitz herniederzuziehen.

Aber sie versteifte sich in zaghafter Abwehr.

»Sieh mal, Steffen,« sagte sie leise zu ihm herab, »daß ich dir eine Last bin, das wußte ich ja von Anfang an. Aber ich dachte, ich könnte sie dir allmählich mildern. Und ich tu' ja mein Bestes. Ich tue alles, was ich dir an den Augen absehen kann, ich habe meinen Willen aufgegeben, mein ganzes Eigenleben habe ich aufgegeben. Ich bin gar nicht mehr da. Ich bin bloß noch du … Und wenn dir auch das nicht genügt, ja, dann muß ich eben gehen … Von Stolz und von Würde rede ich gar nicht mehr. Aber das siehst du doch ein: dann muß ich gehen.«

»Und was soll aus Atta werden?«

Sie zuckte empor. »Atta muß eben – bei dir bleiben … Mademoiselle ist gut zu ihr.«

»Und was aus den andern Kindern?«

Sie zog hilflos die Achseln zusammen. »Ich weiß nicht,« sagte sie. »Meine Witwenpension habe ich bei der Heirat verloren, das weißt du. Mein bißchen Vermögen ist schon seit Dresden so gut wie hin. Ich will versuchen, wieder Geschichten zu schreiben. Vielleicht werden sie genommen. Und wenn nicht, dann kann ich noch Stunden geben. Ach, es wird schon gehen.«

Da hielt er sich nicht länger. Das Bild, das sie darbot, war zu hold, war zu erschütternd, um nicht selbst einen Kieselstein zum Schmelzen zu bringen.

Er glitt vor ihr in die Kniee und barg heiß aufschluchzend den Kopf in den Falten ihres Kleides.

Sie legte die Hände auf seinen Scheitel und strich sacht an den Ohren vorbei über seinen Hals und sein Kinn.

»Steh lieber auf,« flüsterte sie, »es kann jemand kommen.«

Und als er nun aufsprang, ließ sie sich doch bewegen, sich neben ihn auf das Sofa zu setzen.

Er umklammerte ihre Hände. »Nach Atta habe ich dich gefragt,« sagte er, »und nach den anderen auch. Aber nach uns beiden nicht … Fühlst du denn nicht, daß wir gar nicht mehr auseinandergehen können? Daß wir zusammengewachsen sind, als wäre der eine ein Stück des anderen? Was auch kommen mag, wir müssen's zusammen ertragen … Und wenn ich dich zerfleisch' wie eben heut, dann mußt du's auch ertragen und mußt denken: Er zerfleischt ja auch sich. Wirst du, Brigitte?«

»Ich sagte ja schon, Steffen, daß ich keinen anderen Willen mehr hab' als den deinen.«

Er zog sie an sich, und so saßen sie lange.

Da erst bemerkte er, daß er vor Hunger zitterte, und sagte es ihr.

Eilfertig sprang sie empor. »Ich will dir rasch einen Tee machen,« rief sie; »denn bis zum Abendbrot dauert es noch.« Damit lief sie hinaus.

Steffen fürchtete, daß in ihr – wie oft nach schweren Erregungen – ein Anfall sich vorbereitete. Doch als sie zurückkam, die noch immer verstört blickende Mi mit der Tablette hinter sich, da lag nur ein mütterlich sorgendes Lächeln auf dem schon wieder rosig geäderten Angesicht.


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