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Dreiunddreißigstes Kapitel

Brigitte fuhr von dannen, um sich in Nauheim neue Herzkraft zu holen.

Drei Jahre lang hatte sie die Zauberwirkung dieser Bäder entbehren müssen, weil die Kosten zu hoch gewesen waren; endlich ließen sie sich wieder erschwingen.

Vom Abteilfenster her lachte sie in fröhlicher Spannung auf Steffen hernieder, und als der Zug schon im Fahren war, rief sie ihm noch zu: »Wenn du deine Freundin siehst, grüße sie schön.«

Oh, es dauerte nicht gar lange, bis er sie sah. Noch am selben Tage ging er zu ihr.

Im »Adlon« hatte sie ein Wohn- und ein Schlafzimmer inne, so daß er sie ohne Hinderung oben in ihrem Heim aufsuchen konnte.

Zweimal war er bisher bei ihr gewesen und hatte es Brigitte verschwiegen. Denn trotz ihrer Willfährigkeit machte er sich's zum Gesetz, sie mit nichts Weiblichem zu behelligen, so daß sie der Meinung sein konnte, er habe aller Erotik Valet gesagt.

Es war ihm auch seit langem etwas Wesentliches nicht mehr begegnet. Eintagserlebnisse kamen und gingen, und im übrigen sorgte ab und zu eins der Modelle dafür, daß er nicht Not litt, denn dem Grundsatz, sich ihnen fernzuhalten, war er schon lange untreu geworden.

Bei allem hungerte ihn nach Frauenbesitz schon manches verlorene Jahr lang. Körper gab's genug auf der Erde. Die schönsten der schönen prunkten tagtäglich vor ihm. Nach einer Vollnatur spähte er aus – nach einer Leidenschaft spähte er aus, und die hatte sich nirgends gefunden.

So war es um ihn bestellt, als Astrid aufs neue in sein Leben trat. Ausgelöscht war die Erinnerung an sie niemals gewesen, aber sie hatte sich zu einem Wunschtraum verflüchtigt, der seine Flügel zu hoch spannt, um für Irdisches jemals erreichbar zu sein.

Und nun erschien die Entschwundene plötzlich in schlichter Leibhaftigkeit vor ihm, gleichsam vom Schicksal ihm entgegengeworfen, so daß es war, als brauche er nur die Arme zu breiten, um sie an seiner Brust zu empfangen.

Freilich stand sie in ihrer triumphierenden Jugend hoch über seinem Begehren, und einen eigentlichen Willen zum Glück hatte er auch nicht mehr, dazu war er längst zu bescheiden geworden.

Aber eine unbewußte Zuversicht riß ihn zu ihr hin, und sogar etwas Sieghaftes erwachte in ihm, als er sie so ratbedürftig und so ganz auf ihn angewiesen sah.

Mit seiner Hilfe hatte sie ein Atelier gefunden und ließ gerade Möbel, Bilder und Bücher aus ihrer Heimat kommen, um es wohnlich zu machen. Bis sie ihn einladen würde, das hatte er ihr versprechen müssen, sollte er nicht wieder dort anklopfen. Wochen waren seither verflossen, und noch immer hieß es: Geduld. – –

Als er gegen sieben Uhr im »Adlon« landete, fand er sie in der Halle, zum Ausgehen gerüstet.

»Ich wollte in irgend ein Theater,« sagte sie, »denn auch das beste Buch hilft einem im Hotelzimmer nicht über den Abend hinweg. Ich darf kaum annehmen, daß Sie frei sind, sonst würde ich Sie bitten, mit mir zu kommen.«

Und als er ihr erzählte, wie frei er war, da flog ein kleines Lächeln der Befriedigung – der Besitzergreifung beinahe – über ihr verschlossenes Gesicht.

Und zugleich änderte sie ihren Plan.

»Schließlich – ins Theater kann man ja immer. Wenn's Ihnen recht ist, würde ich vorziehen, daß wir die nächsten Stunden verplaudern.«

Er schluckte einen Ausruf der Freude hinunter, um sich nicht allzusehr zu verraten.

»Lassen Sie uns irgendwo hingehen,« fuhr sie fort, »wo keine so unverschämten Hotelkronen brennen und wo man still sitzen kann, ohne daß allerhand Snobs einen mustern.«

Er kannte ein kleines Weinrestaurant, wo es halbdunkle Nischen gab und ein Essen, das in Berlin seinesgleichen kaum hatte.

Dorthin führte er sie, und als die Speisen abgeräumt waren und der alte Burgunder die Köpfe heiß gemacht hatte, da war die Stunde gekommen, in der sich bewähren mußte, ob Vertrauen zu Vertrauen hinstrebte.

Die Erinnerungen tauchten in jene Pariser Tage zurück.

»Vielleicht sind Sie nicht schöner als damals, aber persönlicher sind Sie gewiß. Man hat das Gefühl, in Ihnen etwas Einmaligem gegenüberzustehen, für das sich ein Ähnliches auf Erden nicht findet. Und jene herbe Jungfräulichkeit –«

Sie zuckte ein wenig zusammen.

»Ich weiß, wie die Dinge standen,« beruhigte er. »In dem Worte sollte nichts Schielendes liegen … – die hat sich inzwischen in ein schenkendes Weibtum verwandelt. Glückselig der Mann, dem es sich schenken will.«

»Es will gar nicht! Es hat an dem einen Mal genug.«

›Es war also jener, den sie geheiratet hat,‹ schoß es ihm durch den Kopf. Und laut sagte er: »So viel Unglück hat dies eine Mal über Sie gebracht?«

»Es hat mich fürs Leben zur Bettlerin gemacht – sonst nichts.«

»Sehen Sie nur genauer nach,« tröstete er, mit einem Versuche zu scherzen. »Es wird sich noch mancherlei vorfinden, das ausreicht, um sich und den andern reich zu machen.«

»Welchen andern?«

»Wie kann ich das wissen? Vielleicht wissen Sie's heute selber noch nicht. Ich sage mir nur, daß ich eines Tages mit brennendem Auge hinter Ihnen herschauen werde, von allen Furien des Neides gehetzt, wie es schon einmal geschah.«

Überrascht und, wie es schien, auch ein wenig erfreut schlug sie das Auge zu ihm auf.

»So viel bin ich Ihnen damals gewesen?«

»Wie Sie noch fragen können! Wir waren wochenlang täglich zusammen, und dann wiesen Sie mich ohne ein Wort des Abschieds von Ihrer Tür.«

»Ich habe Ihnen ja gesagt, wie sehr ich das später bereute. Und dann war es auch nicht ganz meine Schuld … Ich war aufs Land gegangen mit jemandem, den ich lange nicht gesehen hatte, und meine Bonne war beauftragt, keinem zu sagen, wohin. Daß sie Sie mit den anderen in gleicher Weise abfertigte, das habe ich nicht gewollt.«

»Diese Ausrede lass' ich nicht gelten. Sagen Sie lieber, Sie haben an mich überhaupt nicht mehr gedacht.«

Sie sann vor sich nieder. »Möglich!« erwiderte sie, die Schultern hebend, »verhext, wie ich war.«

»Und wie Sie noch sind.«

Erschrocken fuhr sie auf. »Woher wissen Sie das?«

»Dazu gehört nicht viel Menschenkenntnis. Wer Sie beobachtet, weiß: Sie sind noch immer nicht ganz von dieser Erde. Und daß Sie den Weg zu mir fanden, war auch nichts weiter als Hilflosigkeit.«

Sie schwieg und starrte ins Weinglas.

Langsam schob er die Hand nach vorne und streichelte mit dem kleinen Finger die ihre, die nicht weitab auf dem Tische lag.

Unter dieser Berührung schauerte sie zusammen und zog sich mit jäher Bewegung zurück.

»Sie schneiden mir mein Geheimnis fetzenweise aus der Brust,« sagte sie. »Woher nehmen Sie das Recht dazu?«

»Wir Männer haben kein Recht, das ihr uns nicht gebt,« erwiderte er. »Sie sehen doch, ich taste an Ihrer Seele herum und suche nach einer verborgenen Tür. Wenn Sie sie mir nicht zeigen, komme ich nirgends hinein.«

Wieder blitzte sie ihn an: »Und was wollen Sie von mir?«

»Was wollten Sie von mir? Ich meine, als Sie jetzt nach Berlin kamen und ein Stück Ihres künftigen Lebens auf mich einrichteten? … Da Sie es mir nicht sagen, werd' ich es Ihnen sagen: Sie besannen sich auf mich als einen gefälligen Begleiter, der keinerlei Ansprüche erhob und sich wortlos verabschieden ließ … Sie sagten sich: Einen Liebhaber kann ich nicht brauchen, aber dieser Mann ist ungefährlich, und zu alt für mich ist er wohl auch. Daß er daneben in seiner Kunst etwas kann und ist, wird den Vorwand abgeben, ihm nahe zu sein, sobald ich einen brauche, der meine geistige Sprache spricht und mir die Zeit vertreibt. War es nicht so?«

Von neuem sann sie vor sich nieder, dann sagte sie: »Es ist nicht leicht, sich so zu prüfen, daß die Wahrheit nackt zutage tritt. Denn auch vor sich selber verschleiert man sie gern. In einem haben Sie jedenfalls unrecht: daß ich Ihre Kunst als Vorwand benutzt haben sollte. Dafür hege ich einen viel zu großen Respekt vor ihr, und auch die meine gilt mir zu viel, um sie so zu erniedrigen … Aber in manchem mag Ihre Annahme das Richtige treffen, vor allem darin, daß – –. Nein, gewisse Dinge kann man nicht aussprechen; die Zunge versagt sich einem … Nur so viel müssen Sie von mir wissen: Seit ein paar Jahren irre ich in der Welt herum und weiß nichts mehr mit mir anzufangen. Die richtige mondäne Vagabundin … In Indien spielte ich die Jägerin auf Großwild, in Oberägypten ging ich mit einer Expedition nach dem biblischen Goldland. Und noch mehr solcher phantastischen Dinge … Ach Gott, es ist ja zum Beispiel ganz schön, im warmen Wüstensande zu schlafen, die Sterne so groß wie die Lampen über sich und keinen Laut im Ohr als das Käuen der ringsum knienden Kamele … aber wenn man Sehnsucht hat, und diese Sehnsucht ist vergiftet, dann hilft auch das nichts … Geld hab' ich zu dem allen genug – weit mehr noch als früher, dafür habt ihr Deutschen gesorgt, als ihr im Kriege Dänemark reich werden ließt … Aber was mach' ich damit? … Und zuletzt hab' ich mir gesagt: Du warst keine ganz schlechte Schülerin – Rysselberghe hat sogar geäußert, ich sei seine beste – warum sollst du nicht noch einmal von vorne anfangen? … Und nun bin ich hier, und draußen ist Mai, und alles ist, wie es war.«

»Ich fürchte,« erwiderte Steffen, »es wird auch so bleiben, – wenn Sie es nicht über sich gewinnen, sich einem Menschen so weit zu nähern, daß Sie nicht anders können, als ihm anzuvertrauen, was Sie verzehrt.«

»Ich wüßte einen solchen Menschen,« flüsterte sie, ins Leere blickend.

»Und der wäre?«

»Ihre Frau.«

Eine kleine Mißempfindung zuckte in ihm auf, denn er hätte lieber den eigenen Namen gehört, dann dachte er an das, was Brigitte verschwiegen geblieben, aber alle seine Bedenken fallen lassend, erwiderte er: »Sie haben recht. Meine Frau wäre so eine. Doch da meine Frau nicht da ist, wollen Sie nicht mit mir als ihrem Stellvertreter vorliebnehmen?«

Sie sah ihm fest und prüfend ins Gesicht.

»Vorausgesetzt,« erwiderte sie, »daß Sie nicht Rechte daraus herleiten, die – die – – Ich sagte vorhin schon: Gewisse Dinge, die kann man nicht aussprechen. Dies müssen Sie fühlen. Vor allem nicht jetzt … und nicht hier … auch in dem öden Hotelzimmer nicht.«

»Wollen Sie zu mir kommen?«

»Nein, nein, das wohl am wenigsten. Warten Sie ein paar Tage noch, dann wird mein kleines Nest fertig sein. Ich werde mich sehr beeilen. Inzwischen sehen wir uns lieber nicht … Da oben, wo ich – bei Tage wenigstens – wirklich zu Hause bin, da werd' ich dann freier mit Ihnen reden können.«

Er gab sich zufrieden, und bald darauf gingen sie heim.

Die Mainacht duftete, und während Astrid duldete, daß er die Hand in der Beuge ihres Armes ruhen ließ, zitterte in ihm eine Hoffnung, über die sich klar zu werden fast eine Vermessenheit war. – –

Fünf, sechs Tage hörte er nichts von ihr. Er schlief nicht, und hätte ihn die Aufgabe, die ihm gestellt war, nicht so fest in den Klauen gehalten, so würde er auch nicht gearbeitet haben.

Da endlich kam ihre Karte: »Morgen um fünf. Mit einem Strauß, bitte! Denn es ist mein Einweihungsfest. Astrid.«

Er ging zum Blumenhändler. Nichts war ihm gut genug. Schließlich blieb er an einem Cattleyenbusch hängen, der für seinen immer noch sehr schmalen Geldbeutel bei weitem zu kostbar war. Und er, der früher mit dem Gelde geworfen hatte, schämte sich seines Zögerns.

Als er die vier Treppen bis unter das Dach hinaufstieg, fragte er sich, wer öffnen würde. Sie oder Vibeke, die stämmige Laaländerin, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht hatte und die sie bei Adlon immer umgab. Denn wenn sie für eine Zeugin gesorgt hatte – mochte die noch so wenig von dem Gesprochenen verstehen –, dann blieb alles im Banne üblicher Formen.

Nein doch – und ein Freudenschauer ging ihm heiß durch die Glieder –, sie selbst stand an der Türe, im Malerkittel und mit lockergeknoteten Haaren.

»Ich habe tüchtig arbeiten müssen,« sagte sie und zog, ihn zu begrüßen, einen Staubhandschuh von der Rechten. »Um einen so illustren Gast zu empfangen, schien's mir immer noch viel zu schlecht.«

Dafür gab es nun auch zum Bewundern genug.

Den weiten Raum hatte sie – wohl ein wenig nach seinem Muster –in zwei Teile geteilt. Der eine –größere – war gefüllt mit allerhand Handwerkszeug und trotz einigen Teppichen noch immer so kahl, wie unbeirrbare Arbeit es gern hat, der kleinere, durch hohes, nach außen gewandtes Kirchengestühl zu einem Wohngemach gestaltet, das jedem künstlerisch geschulten Auge eine Wohltat sein mußte. – Rotbraun erschimmernd die edlen Hölzer der Wände, mit den Goldflecken frühzeitlicher Heiligtümer betupft. Perser über den Fußboden und den niedrigen Diwan geworfen, so daß alles zu einer scheinbaren Wirrnis von Decken und Kissen zusammenwuchs. Ein hochlehniger Sessel, gleichfalls mit Kissen bedeckt, dessen strengliniges Schnitzwerk nur hie und da aus der weichen Bepolsterung hervorsah. Und auf einem niedrigen, altarähnlichen Schranke, von Silberspitzen umhangen, gleich einem Rauchopfer das dampfende Teezeug, dessen sich wölbende Flamme dem Bilde den Mittelpunkt gab.

Als er ihr sein Entzücken aussprach, nahm sie den Strauß aus seiner Hand und sagte: »Blumen fehlten noch. Die Ihrigen sollten die einzigen sein.«

Sie holte eine schlanke, halbmannshohe Vase, wie ein durchsichtiger Lilienstengel anzuschauen, aus dem dunkelsten Winkel. Wasser war schon darin, und über dem kristallenen Kelche wiegten sich nun die phantastischen Blüten, als wären sie aus [ihm] erwachsen.

Er fragte: »Wo darf ich mich setzen?«

»Wo Sie wollen,« erwiderte sie. »Auch auf die Erde, für mich ist es eins.«

Lachend warf er sich lang, so daß sie wie vom Himmel herab auf ihn niedersah.

»Die Tasse werde ich neben Sie stellen,« sagte sie, »dann können Sie ruhig dableiben.«

»Das dürfte nicht angehen,« erwiderte er, nach dem Nebenraum weisend, mit dem ein von Engelfluchten umrahmtes Tor den dämmrigen Winkel verband, »denn erst muß ich wissen, was Sie da eigentlich machen.«

»Sie haben recht,« erwiderte sie. »Wie gerne wir Künstler auch als Mensch mit dem Menschen verkehren wollen, die Befugnis dazu empfangen wir doch immer erst aus dem, was wir können.«

Und dann reichte sie ihm wirklich die Tasse herunter und setzte sich neben ihn auf den Diwan, so daß ihre hochspannigen Füße nicht weit von seiner Schulter den Boden berührten.

»Nun liege ich alter Kerl Ihnen zu Füßen,« sagte er, »wie ein junger Seladon, der um Sie herum scharwenzelt. Das will mir nicht sehr behagen.«

»Merkwürdig,« erwiderte sie, »dasselbe Widerstreben hatte auch ich. Daß wir uns doch nie dem Augenblick hingeben dürfen! Ob uns nun die Moral oder die Ästhetik den Spion ins Haus schickt, über die Achsel guckt er uns immer.«

Daraufhin sprang er sofort in die Höhe. »›Was nicht zu dir paßt, das mußt du meiden,‹ so ähnlich heißt's, glaub' ich, bei Goethe. Und zu dem, was wir vorhaben, paßt es erst recht nicht. Bitte, zeigen Sie mir jetzt Ihre Arbeit.«.

Ohne zu widersprechen, führte sie ihn in den größeren Raum, dessen nüchterne Helle ihn wohltuend straffte.

Von einer Leinwand wanderte er schweigend zur andern, und ihr Auge sog jede Andeutung des Beifalls oder der Ablehnung aus seinen Mienen in sich auf.

»Rysselberghes Einfluß sieht man wohl hie und da,« nahm er endlich das Wort, »aber auch ein Eigenes ist darin, wozu ich Sie von Herzen beglückwünsche. Und mich beglückwünsche ich, daß Sie den Verirrungen der Jüngsten ferngeblieben sind, denn sonst hätten wir uns nichts zu sagen gehabt.«

»Was mich gewarnt hat,« gab sie zur Antwort, »war ein Gefühl, wie man es hat, wenn man mit einer Lampe im Freien sitzt und die halbtoten Insektenleiber häufen sich ringsum. So häufen sich längst schon die Opfer dieser Revolution, und ich mochte nicht gerne zu ihnen gehören.«

»Hiermit werden Sie sich schwere Kämpfe ersparen,« erwiderte er, »selbst wenn man Sie fürs erste noch so beschimpft.« Und auf ein paar Bilder weisend, die mit der Vorderseite nach der Wand gekehrt standen, fragte er: »Was haben Sie dort?«

Sie biß die Lippen aufeinander. »Nichts,« sagte sie, »nichts, das zu zeigen wäre.«

Er verstand auf der Stelle.

»Und wo ist der Spiegel, der dazu gehört?« forschte er lächelnd, denn in der Tat, der Stehspiegel fehlte.

Statt einer Antwort wandte sie schroff den Kopf zur Seite.

›Was ist mit der Frau geschehen,‹ dachte er, ›die ich einst in unschuldiger Nacktheit auf dem Holzpferde sitzend fand?‹

Wie mit dem Messer eingekerbt gruben sich die Bitterkeitsfalten um die Mundwinkel herum in das blühende Fleisch, und da sie noch immer nicht antwortete, fuhr er fort: »Ein Gramlächeln haben Sie sich angeschafft, um das Sie niemand auf Erden beneiden wird.«

Sie raffte sich sichtlich zu einem Entschlusse zusammen. »Kommen Sie zurück,« sagte sie, »jetzt will ich Ihnen erzählen.«

Und als die Zigaretten glühten und er in dem hochlehnigen Armstuhl saß, begann sie, auf dem Kopfkeil des Diwans zusammengekauert: »Mit neunzehn brannte ich durch. Meine Brüder tobten, aber mein Vormund schickte mir, was ich wollte … Ich war zusammengebacken aus Schönheitsgier und aus Trotz gegen die Welt, der ich entstammte. Darum genügte mir das Akademische nicht und Deutschland ebensowenig … So tauchte ich also nach zwei Jahren in der Pariser Bohème unter, in der die bürgerlichen Moralbegriffe nur nach dem Grade ihrer Lächerlichkeit abtaxiert werden … Aber so klug war ich doch, um alsbald zu bemerken, daß auch in ihr eine Art Moral regierte, mochte sie sich noch so komisch gebärden, und daß sich jede Verwilderung hier genau so rächte wie dort … Dies und ein angeborener Instinkt – ›Zuchtwahl‹ nennt man es wohl – sorgten dafür, daß ich mich nicht verlor … Aber mit allem, was jung und vielleicht schön an mir war und womit ich der Kunst dienstbar sein konnte, glaubte ich nicht geizen zu müssen … ›Griechentum‹ heißt das Phantom, dem man nachjagt, nicht wahr? – ohne daß man sich klarmacht, daß man ein Produkt anderer Zeiten und anderer Breiten ist, die jene verschollenen Lebensgesetze zum Widersinn stempeln … Und als einmal einer mir sagte: › Tiens, Astride, ich bin sicher, du hast einen guten Akt. Sitz mir doch einmal eine Stunde,‹ da tat ich ihm gern den Gefallen, schon weil es für die Begriffe daheim eine Ungeheuerlichkeit war … Aus dem einen wurden mehrere, und ich hatte es nicht zu bedauern, denn sie respektierten mich alle. Sie würden den totgeschlagen haben, der es gewagt hätte, sich an mir zu vergreifen … Außerdem wußten sie, daß ich die Sitzungen nur gewährte, wenn es galt, eine schwere seelische Aufgabe zu bewältigen, für die ihre Modelle nicht ausreichten … Aber was gewiß nicht recht von mir war und wahrscheinlich ein Ausfluß von Eitelkeit, da sie ja viel Aufhebens damit machten, das war, daß ich manchmal Zeugen dazu lud, wie zum Beispiel damals auch Sie … Und so ein Jahr vorher den Mann, der für mich Schicksal wurde … Vom Handwerk war natürlich auch er, sonst hätt' ich's gewiß nicht getan … Er kam an unsere Tische genau so wie Sie. In seinen Manieren stach er von allen sehr ab. Jene undefinierbare schweigsame Sicherheit hatte er, mit der die Engländer zu herrschen verstehen … Wenn die andern lärmten, saß er da und ließ die großen, weichen Kuhaugen umherwandern … Weich, weich – der und weich! … Und eines Tages hatte er mich beim Genick … Wir gingen durch die Mainacht, geradeso wie Sie und ich vor acht Tagen … Es war zwei Uhr früh und nichts mehr offen. ›Erlaubst du, daß ich mit dir 'raufkomme?‹ fragte er. – Sie wissen, wir duzten uns alle. – ›Warum nicht?‹ sagte ich … Manchmal saßen sie einzeln und in Gesellschaften bei mir oben bis an den Morgen, ohne daß etwas Ungehöriges jemals geschehen wäre … Aber als wir in jener Nacht oben angelangt waren, da nahm er mich, ehe ich wußte, was mir geschah. Wie ein Blatt fällt, so fiel ich … Ich hab's auch niemals bereut … Zu irgendwem gehören mußt' ich ja schließlich … Bald stellte sich's heraus, daß er mindestens so reich war wie ich, und dazu noch aus vornehmem Hause … Mir machte das wenig, denn ich wollte ja nichts von ihm … Kam er mir mit kostbaren Geschenken, so warf ich sie ihm lachend vor die Füße, bis er es bleiben ließ. Und den Gedanken an eine Heirat würde ich ebenso ausgelacht haben … Dann fuhr ich mit ihm auf seiner Jacht durch die Meere – aber nur ein einziges Mal, denn die Mienen der Schiffsleute gefielen mir nicht … Nach England sollte ich nicht kommen, das wollte er nicht, aber auf Pariser Boden, da wuchsen wir allmählich zusammen, und das so sehr, daß mir die Welt schließlich nur noch aus ihm bestand. Und er ließ mich glauben, daß es ihm mit mir genau so ging … Und dann kam der Krieg … Den Rausch, mit dem er begann, habt ihr erlebt, wie wir ihn drüben erlebten … Kriegstrauungen wurden die Mode. Selbst Paare, die sich für ein paar Tage zusammengetan hatten, fanden sich plötzlich durch Gesetz fürs Leben aneinander gebunden … Und darum erschien es mir nur natürlich, daß er vor seiner Abfahrt zum Heere mit mir auf sein Konsulat ging, aus dem ich als seine Frau wieder herauskam … Im übrigen sollte alles beim alten bleiben, – erst wenn der Krieg aus war, wollte er Schritte tun, um mich seiner Familie zuzuführen. Und England blieb mir verschlossen wie bisher … Aber dann, während er vor dem Feinde lag, wurde die Angst um ihn so grauenvoll, daß ich kaum noch bei Sinnen war. Und eines Tages schrieb er aus seiner Heimat, daß er verwundet sei … Da brach ich mein Versprechen und fuhr hinüber. Nicht eigentlich zu ihm fuhr ich, ich wollte nur dieselbe Luft atmen, die er atmete … Ich meldete es ihm auch – wie hätte ich es ihm verschweigen können! – und bekam den sehr nachdrücklichen Wunsch zurück, mich ihm niemals zu nähern … Aber die Kreise, die ich um ihn zog, wurden immer enger. Er war nun in der Genesung und saß in Brighton, um sich für die Front wieder kräftig zu machen. Da – halb verrückt vor Bangen – fuhr ich eines Tages hin und stellte mich an den Weg, auf dem er daherkommen mußte. Und er kam. Lahmend, auf den Arm einer alten Dame gestützt … Oh, wie gut ich sie kannte von seinen Bildern her! Und wie oft war sie durch meine Träume gegangen, obwohl er auch jetzt in den Briefen nie von ihr sppach! … Und da – da geschah das Fürchterliche, das mir die Welt und die Zukunft für immer zerstört hat … Er kam – kam näher und näher – er sieht mich – er stutzt – bleibt stehen und bittet nach rückwärts weisend die Dame, mit ihm wieder umzukehren. Die Glieder wurden mir steif – und so ging er – und ging und ging aus meinem Leben … Noch an demselben Tage verlangte ich in einem Briefe die Scheidung – und eine Stunde später war seine Einwilligung in meinen Händen … Das übrige besorgten die Advokaten … Vielleicht hätte noch einmal manches gut werden können, hätte er nicht die Widerklage erhoben und die Unwürdigkeit meiner Lebensführung, die durch mein Modellstehen erwiesen sei, als einen seiner Gründe geltend gemacht. Obgleich er kein Glück damit hatte, so habe ich diese Schmach doch niemals verwunden. Sie bewog mich, auch seinen Namen fallen zu lassen. Sie wird an mir fressen, solange ich lebe … So, nun kennen Sie die ganze banale Geschichte von der Himmelsstürmerin, die schließlich hinter dem Manne herweint wie irgend ein verlassenes Taglöhnerweib.«

Sie schwieg, und er tat wie sie. Bewegt und erschüttert war er gewiß. Dennoch kämpfte er mit einer kleinen Enttäuschung, denn er hatte Seltsameres erwartet.

Und dann geschah etwas, was er sich niemals hatte träumen lassen.

Astrid Helsted sprang auf, stellte sich mit wild aufbrennenden Augen dicht vor ihn hin, so daß ihre Kniee die seinen berührten, und die Hände in seine Schultern einkrallend, rief sie: »Wissen Sie, daß Sie der einzige sind, dem ich das alles jemals erzählt habe? Werden Sie mich nun entsprechend verachten? Oder werden Sie mir die Schande tragen helfen? Noch immer bin ich in Gefahr, daran zugrunde zu gehen. Und während ich ihn erschießen will – dieser Mord ist beinahe eine fixe Idee bei mir –, heule ich um ihn die ganzen Nächte hindurch … Und so scheu bin ich geworden, und so klein bin ich geworden! … Wissen Sie, als ich zum erstenmal Ihre Klingel gezogen und meine Karte hineingeschickt hatte, da wäre ich vor Herzklopfen beinahe noch umgedreht, weil ich dachte, Sie hätten von jener Sitzung Ihrer Frau erzählt und sie würde mich nun abweisen lassen … Und als das süße Mädelchen mir melden kam, die gnädige Frau lasse bitten, da wäre ich ihm beinahe um den Hals gefallen … Und wie gerne wäre ich erst Ihrer Frau um den Hals gefallen! – Nicht als Tochter, nein! Dem Alter nach ginge es vielleicht. Aber der Mensch ist es, der es mir angetan hat, der stille, schlichte, große Mensch. Man möchte immer vor ihr niederknien, und statt dessen muß ich sie gar noch betrügen! … Was starren Sie mich so an? … Was starrst – du – mich – so an? … Du willst mich, und ich muß dir zu Willen sein … Dabei lieb' ich dich gar nicht … Ich liebe ja jenen und werd' es wohl immer tun! … Und du wirst es tragen müssen, daß ich nach ihm schreie, während ich in deinen Händen bin.«

Da riß er sie zu sich nieder, so daß sie zwischen seinen Knien hing und, um sich an ihm zu halten, die Arme um seinen Nacken schlug.

Und so weinte sie lange.

Er küßte ihren Hals, ihre Wangen und jede Stelle ihres Kopfes, die ihm erreichbar war. Dazwischen sprach er leise mit dankbaren und begütigenden Worten auf sie ein: »Ich weiß, daß ich nicht der Richtige bin für dich … daß ich gar nicht das Recht hatte, dir meine Liebe zu zeigen … Ich bin zu alt und auch zu müde für dich … du brauchtest einen andern, der dich in den Wirbel einer jungen Leidenschaft hineinreißt, und ich kann dir nur geben, was ein Leben voll Wirrnis und Kummer übriggelassen hat … Jener andere ist aber nicht da, und da mußt du nun mit mir vorliebnehmen … Und wenn es nicht mehr als ein halbes Jahr dauert, so lange bis jener kommt. Es darf vielleicht gar nicht mal länger dauern, denn du mußt innerlich freibleiben für das große Erleben, das kommen muß, damit du jenes Gespenst endgültig los wirst … Ich will nicht mehr als ein Lückenbüßer, als ein Platzhalter sein für ihn – und wenn du mir mit ihm davongehst, werde ich nicht mehr neidisch sein, wie ich war. Ich werde wissen: Was ich von dir und vom Leben noch raffen konnte, das hab' ich gehabt – und werde dir dankbar bleiben, solange ich lebe.«

Er bog mit beiden Händen ihren Kopf zurück, um ihren Mund küssen zu können.

Sie aber verstand seine Bewegung falsch und rief aus ihren Tränen heraus: »Laß mich nicht los! Stoß mich nicht weg! Nicht für eine Sekunde nur … Ich will bei dir bleiben, damit die Gedanken nicht wiederkommen – damit ich nicht wieder ich selber werde … Ich bin so satt an mir, ich leide so furchtbar an mir – nimm mir was davon ab! Nimm mich ganz! Nimm mich ganz!«

Damit wölbte sie ihre Lippen rings um die seinen. Und so wuchsen die beiden zusammen.


Es war gegen Mitternacht, als Steffen Tromholt zu Hause ankam.

Nach dem Rausche der folgenden Stunden hatten sie jenes Gasthaus aufgesucht, in dem sie sich damals seelisch nähergekommen waren, hatten in schweigsamem Frieden gegessen, getrunken, geraucht und Pläne geschmiedet für die kommende gemeinsame Zeit.

Nun stand er in seinem Schlafzimmer und wußte nicht, was mit all seinem Glücke beginnen.

Er war so gewöhnt, das Große und Schöne, das ihm begegnete, mit Brigitte zu teilen, daß ihm dieses Alleingelassensein fremd und bedrückend erschien.

Am liebsten hätte er sich hingesetzt und ihr das ganze Erlebnis geschrieben. Aber das ging ja nicht an. Im Gegenteil! Er mußte froh sein, daß sie nicht da war, sie hätte ihm sonst das alles mit einem Blick von der Stirn abgelesen.

Aber sie fehlte ihm nun einmal. Daran war nichts zu ändern.

Darum ging er in ihr Zimmer, setzte sich auf das leergelassene Bett, und ihr spitzenumsäumtes Kopfkissen streichelnd, ließ er Augenblick für Augenblick noch einmal an sich vorüberziehen.

Und dabei – ihm selber erschien es höchst blöde – murmelte er immerfort: » Liebe Brigitte! Liebe Brigitte!«


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