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Vierunddreißigstes Kapitel

Aber je mehr sich Steffen Tromholt an das Zusammensein mit seiner neuen Freundin gewöhnte, je vollständiger sie sein Denken und Tun erfüllte, mit desto größerem Bangen sah er Brigittens Heimkunft entgegen.

So leidenschaftlichen Anteil nahm sie von alters her an allem, was ihm begegnete, daß sie unbedingt wissen mußte, was die Stunden des Fernseins ihm brachten. Die Sitzungen, die die Vorstandschaft des Künstlervereins ihm bescherte, kannte sie ganz genau, schrieb sie doch selber die Einladungen aus, und was ihn bei Gelegenheit heimlich in Anspruch nahm, verlangte so wenig Zeit, daß es unbeachtet vorüberstrich.

Seit langem fiel es ihm nicht mehr ein, ohne daß berufliche Notwendigkeiten ihn zwangen, an den Abenden wegzubleiben. Der Geselligkeit wich er aus, und Theater wie Konzerte fanden schon längst keinen Platz mehr in dem Programm seiner Muße.

Weltflucht regierte das Dasein, ohne daß er wußte, wie er dazu gekommen war.

Und so hatte es weitergehen sollen bis an den Tod.

Da plötzlich kam dieser Umsturz.

In den Schauern des neuen Glückes sah er ein, daß er noch lange nicht alt genug war, um verzichten zu müssen, daß das Leben ihm blühte wie jedem anderen, der es zu werten und zu packen verstand, und daß er bittersten Mangel gelitten hatte, ohne daß er es wußte.

Doch, doch! Er hatte es immer gewußt. Daher die Bitterkeit, die sein Wesen durchdrang, daher der Eheabscheu, der ihn – in der Theorie wenigstens – noch immer beherrschte.

Aber was sollte nun werden?

Ihr mit dem Geschehenen frech ins Gesicht springen? Waffen besaß sie ja nicht. Das wehe Lächeln vielleicht, das einzige, womit sie sich wehrte, wenn er heftig gegen sie wurde oder wenn sie sich sonst irgendwie von ihm gequält fand.

Freilich, dies Lächeln war Waffe genug, denn dahinter barg sich das kranke Verzagen einer zermürbten, ihm hingeopferten Kraft. Manchmal, wenn er es sah, war ihm zumute, als müsse er vor ihr niederknien, geradeso wie Astrid gesagt hatte, den Kopf in ihrem Schoße bergen und bitten: »Verzeih!« Aber man durfte ja kein Theater machen, und darum ließ er es meistens bei einem gutwilligen Streicheln bewenden, oder er tat auch gar nichts, wie die Stimmung es gerade verlangte.

Also ein System von Lügen aufbauen! Was für Lügen? Sie sah von weitem jeden Kieselstein auf seinem Wege. Sie wußte im voraus, welchen Möglichkeiten er entgegengehen konnte. Nicht ein einziges Mittel gab es, ihrem Hellsehertum zu entrinnen. Wenn man nicht allenfalls auf die harmlose Gläubigkeit baute, mit der sie sich manches aufbinden ließ, was man an Schwindeleien für sie zusammengerührt hatte. Oftmals ersann er zum Scherze irgend eine Ungeheuerlichkeit, und immer fiel sie blindlings darauf herein.

Hierin lag die einzige Hoffnung, die blieb, wenn er dem neuen Glücke nicht feige den Rücken zuwenden wollte.

Und dieses Glück wuchs von Tag zu Tag. Es war nicht auszudenken, zu welchen Höhen es ihn noch emporreißen konnte. Er ging wie auf Wolken. Er taumelte durch die Frühlingswelt wie irgend ein grüner Junge, der Vogelstimmen und Blütenrausch als Widerspiel der eigenen Herzenssehnsucht zum ersten Male empfindet.

Fast eine Woche lang arbeitete er gar nicht. Er ging nur im Atelier umher, stunden- und stundenlang, pfeifend, an seinem Kalkstummel saugend und den Himmel anhimmelnd.

Oder er blieb vor dem Drehspiegel stehen und besah sich. Zweifellos! Über ihn war eine neue Jugend gekommen. Der Graukopf lockte sich üppiger denn je, und die kahlwerdende Stirn ließ sich so unauffällig bedecken, daß den Mangel niemand gewahrte. Umso froher und ausgeschlafener glänzten die Augen, und die Falten auf Backen und Hals verschwanden in wachsender Straffheit.

›Wie wird sie sich an mir freuen, wenn sie mich beim Aussteigen wiedersieht!‹ Mehr als einmal ertappte er sich über diesem Gedanken, und doch war es ja Astrid, für die er jung sein mußte.

Und wenn er sich genugsam im Spiegel geprüft hatte, dann rannte er wieder umher und sang und rauchte in trotziger, faulmachender Seligkeit.

So nahte die Tagesstunde, in der er mit der Geliebten zusammen sein konnte. Dem gemeinsamen Mittagessen ging er zumeist aus dem Wege, denn einmal wollte er die Beziehungen zu ihr nicht allzusehr plakatieren, dann aber – es war beschämend genug – zeigten sich seine Mittel der großstiligen Lebensführung, an die sie gewöhnt war, durchaus nicht gewachsen. Er mußte sehr rechnen, damit seine Börse die Kosten der Abende zu bestreiten vermochte, und manchmal steckte er das Zehnfache zu sich, aus Angst, daß angesichts einer höheren Rechnung seine Barschaft versagen würde. Ihr aber, der das alles nichts galt, fiel es nicht im entferntesten ein, irgend einen Einfall zu unterdrücken, mochte er noch so kostspielig sein.

Einen Vorteil hatte diese neue Art des Lebens gewiß: Wenn sie sich in den mondänen Gaststätten herumtrieben und irgend ein Typ ihm auffiel, dem er sonst niemals begegnet wäre, dann zog er alsbald Bleistift und Block aus der Tasche und legte ihn fest, so daß allmählich eine ganze Menagerie entstand, mit der er auf die Märkte gehen konnte.

Auch die Theaterlogen brachten Beute genug und schließlich selbst Trambahn und Straße.

Ein Jammer war's, daß er den Kreidenkasten nicht mitnehmen konnte, aber das hätte Aufsehen erregt, und deshalb mußte er sich damit begnügen, die Farbenwerte einzuzeichnen und alles, was sonst noch nötig war, dem Spiel des Erinnerns zu überlassen.

So geschah es von selber, daß er am nächsten Morgen frisch an die Arbeit ging, damit sich nicht alsbald verwischte, was das innere Auge noch festhielt.

Und ohne daß er wußte wie, entstand in lebendigen Farben Skizze auf Skizze und Bild auf Bild.

›So werde ich doch nicht ganz mit leeren Händen vor ihr dazustehen haben,‹ dachte er und arbeitete schließlich so ausdauernd, daß selbst die Zusammenkünfte mit Astrid darunter zu leiden begannen.

Und das war gut so, denn auf diese Weise konnte man einander nicht zur Gewohnheit werden.

An seinem Gestrichel nahm sie lachenden Anteil, ohne sich um die Möglichkeit einer späteren Ausführung jemals zu kümmern. Mehr Satire wünschte sie sich und ahnte nicht, daß in der schlichten Abschilderung weit mehr Satire lag, als die wildeste Verzerrung gebracht hätte. Von dem, was er später draus machte, sprach er nichts, und sie fragte auch niemals.

Inzwischen kamen Brigittens Briefe Tag für Tag, und er antwortete redlich. Sie zu vernachlässigen hätte er nicht übers Herz gebracht, denn er wußte von früher her, mit welcher Sehnsucht sie nach dem Briefträger ausschaute. Von einer Besserung schrieb sie nur zögernd und schob alles Hoffen auf künftige Nachkur hinaus. Über die gesellschaftlichen Forderungen beklagte sie sich, und wie müde es mache, sich für die Abendtafel noch einmal umzuziehen.

»Müde, müde, müde,« das war ihr A und O.

Oft war ihm bange vor ihrem Siechtum und all den Sorgen, die es ihm auferlegte.

Aber je näher ihre Heimkunft rückte, desto mehr verschwanden seine Bedenken, und als der Tag gekommen war, da fühlte er nichts als die Freude, sie wiederzuhaben.

Der Zug hielt, und er durchspähte das schwarze Gewühl.

Dort stand sie, und der erste Blick trieb ihm den Herzschlag zum Halse.

›Unerholt!‹ sagte er sich. Zum erstenmal unerholt, denn sonst war sie trotz der Reisestrapazen stets rosig und frisch vom Trittbrett gesprungen.

» Lieber Steffen!« Auch dieser Ruf klang nicht so jauchzend froh wie sonst, wenn ihre Liebe ihn grüßte.

Und als sie nebeneinander im Auto saßen – der Tag war mild, und sie durften den Luftzug über sich hinstreichen lassen –, da gab es kein eifriges Schwatzen wie sonst – wieviel hatte sie nicht stets zu erzählen gehabt! – stumm saßen sie heute Hand in Hand, und er dachte: ›Ach wie hab' ich sie lieb, diese alte Frau!‹

Als die Mädchen belobt und die Blumen gestreichelt waren, stand sie still da und sah ihn auffordernd an.

Er wußte wohl, was das hieß. Nicht einmal den Reisestaub abzuschütteln gönnte sie sich die Zeit.

»Was Besonderes wirst du nicht finden,« sagte er, aber sein Schmunzeln verriet ihr sofort, wie hinterhältig er war.

Und als sie, von glückseliger Erwartung beflügelt, die Wendeltreppe emporstieg, da schien es fast, als sei sie wieder gesund.

In weitem Bogen reihte sich Leinwand an Leinwand, Karton an Karton. Er hatte wohlweislich alles so aufgestellt, um den größten Effekt zu erhaschen.

Ratlos stand sie da und sah bald ihn, bald die Bilder an. Dann sagte sie endlich: »O Gott, was ist das? – Ich dachte, die Venus mit ihrem Adonis fertig zu finden oder vielleicht – – Und nun ist mit einmal ein ganz neuer, ein ganz junger Steffen gekommen – Gesellschaftskritiker, oder wie soll ich es nennen? … Und das hast du mir in den Briefen alles verheimlicht, du Schwindelmatz, du?«

Nun war das alte Jauchzen wieder da und jede Sorge zerstoben.

Dann, als sie am Abendbrottische saßen, fing sie aufs neue von den Bildern zu reden an: »Wie bist nur du zu all deinen Schätzen gekommen? Dazu müßte ja eigentlich ein jahrelanges Studium gehören, und das hast du in ein paar Wochen zustande gebracht! Wie? Sag mir bloß, wie?«

Statt einer Antwort holte er den Zeichenblock aus der Tasche und reichte ihn ihr.

Sorgsam durchmusterte sie Blatt nach Blatt.

»Nun versteh' ich langsam,« sagte sie. »Du bist mit Astrid auf den Bummel gegangen und hast dir das alles in den Schoß fallen lassen. Ich möchte wohl wissen, ob es auf Erden irgendwas gibt, das du nicht kannst.«

›So sieht ihre Eifersucht aus,‹ dachte er. ›Und darum hab' ich mich so gequält.‹

Aber ganz ohne Eifersucht schien sie doch nicht, nur hatte sie ein anderes Gesicht als die der anderen Frauen.

Als sie im weißen Frieden ihres Bettes wohlig dalag und er zu ihr trat, um gute Nacht zu sagen, da behielt sie seine Hand zwischen den ihren und wollte sie gar nicht mehr loslassen.

»Ach, ist das schade!« sagte sie still vor sich hin.

» Was ist schade?«

»Da fängst du nun eine neue Art zu arbeiten an – und alle werden es miterleben – Astrid wird es miterleben – und ich muß bald fort.«

Ein plötzlicher Jammer stieg in ihm hoch, denn er mußte des ersten Eindrucks gedenken, als er sie wiedergesehen hatte, und der spricht ja meistens die Wahrheit.

»Du mußt nicht bald fort,« tröstete er, die Nägel in ihre Handfläche einkneifend. »Das geht nun schon viele Jahre so, und du bist eher kräftiger als schwächer geworden. Das kann noch ebensoviele weitergehen.«

»Nicht viele,« rief sie bittend zu ihm empor, als ob er darüber entscheiden könnte. »Nur eines! Ein einziges nur! Und dann bist du mich los.«

»Brigit,« schrie er auf.

Sie lächelte ihn an mit einem leisen, rätselhaften Lächeln, das gar nicht mehr von dieser Welt war, und streichelte unentwegt seine Hand, bis er sie zum Einschlafen antrieb.

Da legte sie gehorsam den Kopf auf die Seite, schob die vielerlei Kissen zurecht, die sie jetzt brauchte, um gegen die Atemnot geschützt zu sein, und schlief hinüber …

Wenn Steffen geglaubt hatte, daß sie seinen Zusammenkünften mit Astrid irgend eine Mißstimmung in den Weg legen würde, so war er sehr im Irrtum gewesen. Hatte er nach ihrer Meinung die Freundin etliche Zeit nicht gesehen – dieses und jenes Begegnen blieb ihr verschwiegen –, dann fing sie ihn selber zu mahnen an.

»Vernachlässige Astrid nicht!«

Oder: »Deine Freundin wird denken, daß ich dich ihr fernhalten will!«

Und so sorgte sie immer aufs neue.

Mit banger Spannung hatte er Astrids erstem Besuche entgegengesehen.

Aber seine Angst war überflüssig gewesen.

Als ihm eines Tages Loni gemeldet hatte, die »fremde Dame« sei unten, da fand er die beiden Frauen geradeso herzhaft lachend beisammen wie damals, als er noch nicht geahnt hatte, wer da war.

Welche von ihnen den heiteren Ton anschlug, der so wenig zu der geheimen Tragik paßte, die über dieser Verstrickung lag, wußte er immer noch nicht. Gewiß war's Brigitte, um die herum keine Tragik gedieh, mochte sie selbst auch – –

Still doch! Wegschieben, was an dunkeln Gedanken die Seele belagerte, und froh sein, daß es war, wie es war.

Hand in Hand saßen sie beide, und jede streckte ihm lachend die freigebliebene entgegen, so daß er nur zuzugreifen brauchte, und der Ring war geschlossen.

Im übrigen schien seine Gegenwart gar nicht sehr nötig, so unermeßlich viel hatten sie sich zu erzählen.

»Geh nur! Geh nur! Wir wollen dich gar nicht.«

Aber als er dann mit dem Aufbruch Ernst machte, hielten ihn beide zurück, indem sie meinten, ohne ihn wäre es doch nichts Rechtes und er möge nur immer dabeisein.

Wie seltsam das alles! Und ein Glücksgefühl stieg in ihm hoch, das er noch niemals im Leben gekannt hatte.

Hier war Segen, hier war Sonntäglichkeit, hier war Erfüllung!

Erfüllung endlich!

Alles, wonach er ein Leben lang in quälendem Darben verlangt hatte, plötzlich war es als Göttergeschenk zu ihm herniedergestiegen!

Und klar gezeichnet lag der künftige Weg.

Kein Geständnis, kein Losspruch, kein grämliches Dulden! Und nach der anderen Seite hin kein Trumpfen auf Freiheit und Künstlermoral, keine freche Ehe im Dreieck, um die eine hämische Welt sich das Maul reißt. Rücksicht hier, Heimlichkeit dort und wohliger Einklang zwischen den Seelen, die sich hochgemut und adlig genug fühlen, um in Gold zu wandeln, was der Menge zu Schmutz wird.


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